Ausstellung:Das Leben in seiner schweren Leichtigkeit

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Bilder, Objekte, Texte und Seemannslieder: Anton Kirchmair bei der Eröffnung seiner Ausstellung in der Neuen Galerie Landshut. (Foto: Sebastian Beck)

Der Künstler Anton Kirchmair zeigt in der Neuen Galerie Landshut eine Ausstellung, in der er mit fragilen und zum Teil minimalistischen Objekten den Rätseln der menschlichen Existenz nachspürt.

Von Hans Kratzer, Landshut

Am Dienstag hat Anton Kirchmair sein im hinteren Bayerischen Wald gelegenes Anwesen verlassen, was er immer seltener tut, um sich auf den Weg nach Landshut zu begeben. Dort läuft seit gut eineinhalb Wochen seine aktuelle Ausstellung, die den markanten Titel "Zeichnen nach Gehör und andere Leichtigkeiten" trägt. Um es gleich vorweg zu sagen: Sie hinterlässt beim Betrachter einen nachhaltigen Eindruck, gerade weil der 1943 geborene Kirchmair in seinem Streben nach Perfektion einen Höhepunkt erreicht hat. Die Ausstellung ist bis ins kleinste Detail in einer bewundernswerten Feinheit konstruiert. Aber es ist der Krieg, der auch Kirchmair keine Ruhe mehr lässt. Deshalb ist er daheim unruhig geworden, er müsse die Ausstellung nochmals umstellen, sagt er, man muss sie hier anpassen und dort ergänzen. "Das ist aber auch meine Art und Weise zu arbeiten", sagt er. Erst wenn er die Zeit hatte, sich auf einen Raum einzulassen, dann geht es bei ihm richtig los. Deshalb schaut fast jede Kirchmair-Ausstellung am Ende anders aus als bei der Vernissage.

Sein Herzensthema ist die Zerbrechlichkeit der Welt im Großen wie im Kleinen, die durch die aktuellen Kriegsgräuel noch offenkundiger vor Augen tritt, als sie es eh schon tut. Gerade in der Landshuter Ausstellung kommt dieses Phänomen nachhaltig zum Ausdruck. Sie stupst den Menschen förmlich an, in seiner offenkundigen Hilflosigkeit sensibler zu werden für die vielen kleinen Wunderdinge, aber auch für die Abstrusitäten des Lebens, die man im Alltag kaum oder selten wahrnimmt. Gerade seine Kunst, das betont Kirchmair immer wieder, ist stets im Fluss, seine Projekte finden kein formales Ende, sie hören niemals auf.

Kirchmair hat eine ganz eigene Sicht auf die Welt entwickelt

Anton Kirchmair blickt auf ein bewegtes Leben zurück, viele seiner Erfahrungen sind so tief in seinem Hirn gespeichert, dass er sie jederzeit abrufen und künstlerisch verarbeiten kann. Auf diese Weise hat er eine ganz eigene Sicht auf die Welt entwickelt, die er dann durch langes Nachdenken geschärft hat. Gerade in den vergangenen 25 Jahren, die er nun zusammen mit seiner Frau Martha in seiner Einöde in der Gemeinde Haidmühle verbracht hat. Dabei ist er ja eigentlich ein geborener Stadtmensch, der sich vom Puls einer City gerne mittreiben lässt. Stattdessen aber streift er oft nächtelang ohne Lampe und Smartphone durch die stillen Grenzwälder, eine wahrhaft existenzielle Erfahrung, die für ihn nicht selten in Erinnerungen an das kriegszerstörte München münden, in jene Zeit, in der er seine Mutter durch die Dunkelheit der Stadt bis zur Freibank begleitet hat.

Ein zu Kohle gebranntes Stück Brot hat Kirchmair ungeschützt auf einen schlanken hohen Sockel gestellt. Diese Fragilität ist Ausdruck seiner Lebenseinstellung. (Foto: Neue Galerie Landshut)

Im Zentrum des Obergeschosses der Neuen Galerie hat er soeben ein Stückl Brot platziert, das er verdorrt hinter einer Tiefkühltruhe gefunden und dann zu Kohle gebrannt hat. Ein höchst fragiles Objekt, wenn es runterfällt, ist es kaputt. Und doch hat er es ungeschützt auf den schlanken hohen Sockel gestellt. "Dieses Brot prägt meine Einstellung zum Leben", sagt Kirchmair. "Es erinnert mich an die spartanische Kindheit, an das inbrünstige Mittagsgebet als Dank für das tägliche Brot."

Sein Verhältnis zu diesem Stück Brot unterstreicht er in einem berührenden Text: "wer noch einmal ein stück brot wegwirft / hat mein vater zu mir gesagt / dem soll die hand abfaulen / ich habe mich / immer daran gehalten / - ehrlich gesagt - / hat es ein paar / wenige ausnahmen gegeben / sonst habe ich mich / immer daran gehalten / nicht aus angst / sondern aus tiefem / verständnis für die worte / meines vaters / für ihn / der zwei weltkriege / und den schlimmen hunger / der weltwirtschaftskrise er- und überlebt hat."

Sein Umgang selbst mit den unscheinbarsten Hervorbringungen prägt Kirchmairs Schaffen immer intensiver. Seine Entwicklung in Richtung Hochsensibilität spiegelt sich in dem faszinierenden Bildnis seiner schwangeren Frau ebenso wider wie in den abstrahierten Naturzeichnungen und in den auf einer langen Plattform aufgereihten Durchschaubildern. Und sogar in jenem Amselnest, das in einer Ecke versteckt liegt und verkündet, wie sehr das Leben mit der Kunst verknüpft ist.

Minimalistisch, reduziert, filigran: Käfig, der sich in der Ausstellung als überraschend verwandlungsfähig erwiesen hat. (Foto: Sebastian Beck)

Kirchmair arbeitet mit den leichtesten Materialien, die es gibt, selbst Staubkörner und Rußpartikel verwandelt er in Kunst. Ansonsten realisiert er seine Installationen mit dünnen Holzschichten, er greift zu Holzkohle und Papier und gerne verwendet er auch Zahnstocher als Verbindungsstücke. Von der Galerie aus fällt der Blick auf eine Wiese zwischen Galerie und Isar, auf der eine schwere Metallplastik thront. Es ist das glatte Gegenprogramm zu Kirchmairs fragiler Kunst, die nicht nur Leichtigkeit, sondern auch Deutlichkeit ausstrahlt. Die Objekte laden unmittelbar dazu ein, Kirchmair auf seiner Suche nach Antworten zu begleiten.

Kirchmair ist gelernter Werkzeugmacher, er fuhr als Seemann über die Meere, weshalb er seine Ausstellungen gerne mit Seemannsliedern begleitet. Später wurde der vierfache Vater Kunsterzieher, seit 1992 arbeitet er als freischaffender Künstler. Das alte Haus, das er um ein Atelier erweitert hat, liegt auf einer fast tausend Meter hohen Rodungsinsel im Grenzland zwischen Bayern und Böhmen. In dieser Abgeschiedenheit kommt Kirchmair den Dingen des Lebens sehr nahe. Auf seiner Hausbank gesellt sich schon mal eine Kreuzotter zu ihm. Erst vor wenigen Tagen hat er zwei Wölfe fotografiert, als sie direkt an seinem Anwesen vorbeigelaufen sind. Gewiss kommt er in diesem Reservat den Antworten auf die Grundfragen der Existenz näher als in der Großstadt.

In seiner Kindheit war München eine Stadt ohne Geräusche und Farben

Kirchmair ist im zerbombten München aufgewachsen, in einer toten Stadt, wie er sagt, ohne Geräusche und Farben. Trotzdem denkt er gerne zurück. "Weil die Stadt vollkommen uns Kindern gehörte." Damals gab es dort außer ein paar Ami-Lastern keine Fahrzeuge, auf der Straße erlebten die Kinder eine Freiheit, die heute unvorstellbar ist und deren Verlust Kirchmair tief bedauert. Die Unfreiheit und das Eingesperrtsein der heutigen Kinder, auch das gehört zu seinen Kernthemen.

Der Bezug zur Jugend kommt nicht von ungefähr. 20 Jahre lang unterrichtete er als Kunsterzieher an der Knabenrealschule in Landshut, an der Knabs, wie sie damals hieß. In der dortigen Turnhalle verwirklichte er 1981 eines seiner schönsten Projekte, wie er selber sagt, serielle Malerei. Es freut ihn narrisch, dass er gerade jetzt in Landshut erlebt, auf welch fruchtbaren Boden seine Pädagogik gefallen ist. Nie hat er einen Verweis erteilt, auch wenn "die Hundskrippln" nicht immer so taten, wie er das wollte. Doch jetzt kreuzen sie scharenweise in seiner Ausstellung auf der Mühleninsel auf und erweisen ihrem alten Lehrer freudestrahlend und mit leuchtenden Augen die Ehre.

Anton Kirchmair: Zeichnen nach Gehör und andere Leichtigkeiten. Neue Galerie Landshut, Gotischer Stadel auf der Mühleninsel, bis 27. März, Fr.-So. 14-17 Uhr, Do. 18-20 Uhr

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