Anschläge in München:Mit einem Denkmal allein wird die Trauer nicht verheilen

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Die Fahnen wurden auf Halbmast gesetzt, doch die Spiele gingen weiter: Das Münchner Olympiastadion nach dem Attentat. (Foto: Horst Müller)

Der Amoklauf vom OEZ ist ein neuer Einschnitt in Münchens Geschichte. Schon die Anschläge auf Olympia 1972 und das Oktoberfest 1980 zeigen: Mit dem Gedenken tut sich die Stadt schwer.

Von Karl Forster

Dreimal tödlicher Terror in München. Drei fürchterliche Anschläge in der Stadt, die so stolz ist auf die nach dem Krieg hier gewachsene fröhliche Friedfertigkeit. Drei Ereignisse, die schwärende Wunden schlagen. Die Geiselnahme während der Olympischen Spiele 1972, das Attentat auf dem Oktoberfest 1980 und nun die tödlichen Schüsse eines Amokläufers am Olympia-Einkaufszentrum. Wie wird die Stadt, wie werden ihre Bewohner mit diesem neuen Schrecken umgehen? Die Errichtung eines Denkmals nahe dem OEZ, wie jetzt im Stadtrat fraktionsübergreifend beantragt, kann nur ein Weg des Erinnerns sein. Die Bewältigung des Grauens findet im Kopf statt. Im Kopf jedes einzelnen Bürgers. Und deswegen auch ganz individuell. Jeder denkt und gedenkt für sich allein.

Die Cellophanhülle einer Zigarettenschachtel landet auf der eisernen Platte, die vor dem Gedenkstein in den Boden eingelassen ist. Der Wind hebt sie auf, sie fliegt in Richtung Olympiadorf. "Grenzstein des Lebens, nicht der Idee" steht auf der Platte. Über ihr: der horizontale, auf einem Sockel ruhende zehn Meter lange Granitbalken mit elf hebräisch eingefrästen Namen und einem in lateinischen Buchstaben: Anton Fliegerbauer.

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Polizeiobermeister Fliegerbauer war am 6. September 1972 um 0.10 Uhr auf dem Militärflugplatz Fürstenfeldbruck von einer verirrten Kugel tödlich am Kopf getroffen worden. Um 2.40 Uhr dieser Nacht informierte Hans "Johnny" Klein, Pressesprecher der Olympischen Sommerspiele von 1972, die Welt über die missglückte Befreiungsaktion nach der Geiselnahme der israelischen Sportler durch acht Mitglieder der palästinensischen Terrororganisation "Schwarzer September". Die hatte um 4.10 Uhr am 5. September 1972, einem Dienstag, begonnen. Einen Tag später waren alle Geiseln tot, auch fünf der acht Terroristen, und viele Polizisten und Soldaten zum Teil schwer verletzt.

Es war das totale Fiasko, hervorgerufen durch Unfähigkeit in Planung und Ausführung der Befreiungsaktion, durch unzureichende Ausrüstung und, als Summe alles Negativen, durch mangelnde Erfahrung im Umgang mit Terror. Der sollte von nun an die heile Welt Mitteleuropas, die Wirtschaftswunder-Heiterkeit Deutschlands und auch Münchens gemütliche Fröhlichkeit nach diesen Olympischen Spielen immer mehr in den Würgegriff nehmen. Man gründete damals die GSG 9.

Trotzdem verbindet München mit der Jahreszahl 1972 weniger den Terroranschlag als viel mehr Namen wie Ulrike Meyfarth, die, 16 Jahre alt, Gold gewann im Hochsprung; oder die Leichtathletin Heide Rosendahl mit zweimal Gold und einmal Silber. Wer die olympische Jahreszahl hört, denkt auch an die grandiose Architektur des Stadions, denkt an Otl Aichers Piktogramme, vor allem an dessen Dackel Waldi, der keck die Schnauze reckt, als strotze er vor Optimismus.

Trauergottesdienst nach dem Oktoberfestattentat, 1980 Der Opfer des Terroranschlags auf das Münchner Oktoberfest gedenken bei einem ökumenischen Gottesdienst in der St.-Pauls-Kirche Schausteller, Mitglieder des Stadtrates, Münchner Bürger und Schulkinder. (Foto: George Aczel)

Es gab ja auch Anlass zur Fröhlichkeit damals. Anno 1972 wird im deutschen Fernsehen die erste Folge von "Raumschiff Enterprise" ausgestrahlt. Die Bayerische Landesbank wird ebenso gegründet wie in Kalifornien der Automatenhersteller Atari. Und: Es erscheint der erste Playboy auf Deutsch. Genug Ablenkung also, um das Blut von Olympia zu verdrängen. Außerdem war dies ein Krieg zwischen fremden Mächten gewesen, auf deutschem Boden zwar.

Aber der Nahe Osten war damals noch recht weit weg. Zum 40. Gedenktag des Attentats beschlossen Stadt und Land 2012, eine weitere Gedenkstätte zu errichten. Sie wird gerade am Kolehmainenweg nahe der Namenssäule errichtet. Der Gedanke lässt sich nicht verscheuchen, dass man noch immer ein etwas schlechtes Gewissen hat wegen der Geschehnisse von damals.

Ein böses politisches Spiel

Als der Fotograf Oswald "Ossi" Baumeister am Abend des 26. September das Oktoberfest verlassen will, kauft er, etwas überteuert, an einem Stand noch schnell einen Ilford-Schwarz-Weiß-Film, weil all seine Rollen schon belichtet waren. Eine alte Fotografen-Regel heißt ja: Laufe nie mit leerer Kamera herum. Es sollte sich lohnen: Seine Bilder, so schrecklich sie auch waren, gingen um die Welt. Baumeister war der erste Fotograf an jener Stelle, an der der 21 Jahre alte Gundolf Köhler die Bombe gezündet hatte. 13 Menschen starben an diesem Freitagabend, 211 wurden verletzt, 68 so schwer, dass sie für ihr Leben gezeichnet sind. Anders als beim Olympia-Attentat aber ist die Katastrophe vom Oktoberfest 1980 nach wie vor sehr präsent in den Köpfen und Seelen der Münchner Bürger.

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Beide hatten ähnliche Gewaltfantasien gehegt wie der Münchner Amokschütze. Wo dieser sich nach den Schüssen zwei Stunden lang versteckt hielt, hat die Polizei nun geklärt.

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Das liegt zum einen sicher daran, dass der Täter ein Deutscher war, ein junger Mann aus Donaueschingen. Ein bitterer zweiter Grund dürfte aber auch darin liegen, dass von der ersten Minuten an diese 13 Münchner Toten und Hunderte Verletzten für ein böses politisches Spiel missbraucht wurden. Denn es war Endspurt im Bundestagswahlkampf Schmidt gegen Strauß. Und Strauß wusste sofort nach der Explosion: Das waren die Linken.

Neonazis sollen eine Rolle gespielt haben

Er blieb noch dabei, als schon am Wochenende Medien von Spuren schrieben, die in Richtung Rechtsextremismus deuteten; und auch als eindeutige Verbindungen Köhlers zur neonazistischen "Wehrsportgruppe Hoffmann" aufgedeckt wurden. Weil nun bis heute nicht klar ist, ob der Bombenleger vom Oktoberfest 1980 ein Einzeltäter war oder Helfer hatte, weil Material aus der Asservatenkammer vernichtet wurde, obwohl der Fall immer noch nicht geklärt ist, weil auch der BR-Journalist Ulrich Chaussy mit professioneller Hartnäckigkeit die Einzeltäterthese öffentlich infrage stellt, bleibt das Wiesn-Attentat nicht nur an den Jubiläumstrauertagen präsent.

Zwei Parallelen gibt es zwischen Attentat Olympia und Bombe Oktoberfest: Beide Male hieß es nach ersten Trauerfeiern: The games, the show must go on. Und: Bei beiden Anschlägen sollen Neonazis eine Rolle gespielt haben. Beim Olympiaattentat als Helfer der Terroristen, wie das Bundesamt für Verfassungsschutz später behauptete; beim Oktoberfest 1980 als Täter, ob alleine oder nicht.

Man hat David S., dem Amokläufer vom OEZ, schon viele Rollen verpasst: Rechtsextremist, Terrorist, psychisch Kranker, Weltenhasser. Mag sein, dass die Wahrheit nie ganz ans Licht kommt. Das macht die Erinnerung an diesen Abend nicht leichter.

© SZ vom 30.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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