Amoklauf:Ein Ring, der verbindet in Trauer und gegen Hass

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Die Gedenkstätte am Olympia-Einkaufszentrum in München (Foto: Getty Images)

2000 Menschen gedenken der Opfer des Amoklaufs in München bei einer Trauerfeier am OEZ. Bei der stillen, fast intimen Feier sprechen auch Angehörige der Opfer.

Von Christian Krügel

Mit einer bewegenden Trauerfeier haben 2000 Menschen am Samstagvormittag der neun Opfer des Amoklaufs am Olympia-Einkaufszentrum in München genau vor einem Jahr gedacht. Der 18-jährige David S. hatte am 22. Juli 2016 in einer McDonald's-Filiale und in der Umgebung neun Menschen erschossen, die meisten waren Jugendliche mit Migrationshintergrund.

"Seit diesem Tag ist nichts mehr wie es war", sagte Arbnor Segashi. Dessen 14-jährige Schwester Armela war eines der Opfer. "Es gibt seitdem keinen Tag, an dem ich sie nicht vermisst habe", sagte Segashi unter Tränen. Armelas Bruder sprach bei der Feier offiziell für die Angehörigen. "Gott trägt unsere Liebsten in den Himmel, wir werden sie immer im Herzen tragen."

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Die Künstlerin Elke Härtel hat den Erinnerungsort geschaffen - mit den Bildern der Opfer. Er soll den Angehörigen helfen.

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Ministerpräsident Horst Seehofer nannte den Amoklauf eine "Tat, die Bayern ins Mark getroffen" habe, die aber auch gezeigt habe, wie sich Menschen gegenseitig beistehen und Hilfe leisten können. Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter sagte, München habe "auf diese furchtbare Prüfung mit einem noch stärkeren Zusammenhalt in der Stadtgesellschaft reagiert" und werde das weiter tun.

Bei der Feier wurde auch die Gedenkstätte der Öffentlichkeit übergeben, die die Künstlerin Elke Härtel geschaffen hat: ein zweieinhalb Meter hoher Ring aus poliertem Edelstahl, der um einen Ginko-Baum liegt. In dem Ring sind Porträts der neun Opfer eingelassen, die die Angehörigen selbst ausgesucht hatten.

Die Familien sollten auch im Mittelpunkt der Feier stehen, die trotz der vielen Repräsentanten von Staat und Stadt und trotz der vielen Zuschauer zu einer stillen, fast schon intimen Gedenkstunde unter freiem Himmel wurde.

Arbnor Segashi, der Bruder eines Opfers spricht bei der Gedenkveranstaltung. (Foto: dpa)

Und die einmal mehr zeigte, wie wenig die Tat des David S. und ihre Folgen verarbeitet und verwunden sind, wie tief der Schmerz bei den Familien noch ist. Allen voran bei Sibel Leyla. Sie verlor vor einem Jahr ihren 14-jährigen Sohn Can. Und entgegen des vorgesehenen Protokolls trat sie bei der Feier selbst ans Mikro - um ihrer Trauer und Wut Stimme zu geben.

Der größte Schmerz sei, "dass ich Dich an diesem Tag nicht beschützen konnte, Can, wie hilfllos Du warst in dieser Stunde", rief sie ihrem toten Sohn zu. Sie sei seitdem begraben von Dunkelheit und Trauer. Sie könne zwar inzwischen wieder stehen und gehen, aber all die Mitleidsbekundungen hülfen nichts: In ihrem Inneren sei Wut und Trauer.

Sibel Leyla musste abbrechen, die Tränen überkamen sie. Eine Freundin las ihre Botschaft weiter, in der auch Anklage mitschwang: So gerne würde sie ihre Wut gegen jemanden richten können, jemanden, der verantwortlich sein muss für die Tat des 18-jährigen David S. "Ich mag nicht glauben, dass ein einzelner Täter verantwortlich ist", vielmehr glaube sie, "dass das System versagt" habe. "Ich mag nicht glauben, dass diese Tat nicht hätte verhindern werden können", hieß es im Redetext von Sibel Leyla weiter.

Damit spielte sie auf die rechtsextreme Gesinnung von David S. an. Der war psychisch krank, litt an Depressionen und an Folgen gezielten Mobbings durch Mitschüler. Die Ermittlungen hatten aber auch ergeben, dass er einem kruden Rechtsextremismus anhing und neben Hitler den rechtsradikalen Attentäter von Utøya verehrte, der auf der norwegischen Ferieninsel einen Massenmord verübt hatte - auch an einem 22. Juli.

Die Tatwaffe hatte sich David S. über das Darknet bei einem Waffenhändler aus Hessen besorgt, bei dem die Staatsanwaltschaft ebenfalls rechtsextreme Tendenzen festgestellt hat. Dennoch gehen die Ermittlungsbehörden weiter davon aus, das David S. ein Einzeltäter war, keine Hintermänner hatte und auch keinem rechtsextremen Netzwerk angehörte.

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Oberbürgermeister Dieter Reiter ging in seiner Rede darauf ein: "Es gilt mehr denn je: Wir müssen auch weiter gemeinsam gegen jede Form von Extremismus, Rassismus und menschenverachtende Gewalt aufstehen." Und: "Wir werden den Mörder nicht über die Menschlichkeit triumphieren lassen." Ministerpräsident Seehofer forderte dazu auf, trotz allem "den Hass in Herzen zu überwinden". Nur wenn das gelinge, siege die Demokratie und eine tolerante, plurale Gesellschaft.

Seehofer und Reiter waren bereits fast eine Stunde vor der Trauerfeier mit den Familien der Angehörigen in einem Zelt zusammengekommen, das die Stadt nahe dem Gedenkort aufgestellt hatten. Dort führten die Politiker sehr vertrauliche und persönliche Gespräche mit den Betroffenen. Im gesamten vergangenen Jahr hatten sie den Kontakt zu den Familien gehalten, wofür Arbnor Segashi bei seiner Rede ausdrücklich dankte. "Das hat uns allen die nötige Kraft gegeben."

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Gemeinsam mit den Angehörigen gestaltete die Künstlerin Elke Härtel auch den Gedenkort, ein "Ring, der uns verbindet in der Trauer und gegen den Hass, den wir trotz allem in uns nicht aufkommen lassen werden", wie Landtagspräsidentin Barbara Stamm sagte.

Die offizielle Feier endete mit einem beeindruckenden religiösen Statement: Die Vertreter der Religionsgemeinschaft beteten mit den 2000 Besuchern gemeinsam und gleichzeitig das "Vater unser" und die Sure 29, jeder in seiner Sprache, Imam Asllan Tahiraj auf Arabisch und Albanisch - mehrere der Opfer stammten aus dem Kosovo. Und viele ihrer Freunde und Klassenkameraden nutzten die Gedenkfeier, um noch einmal Abschied zu nehmen - sie waren die ersten, die nach den Angehörigen und den Politikern Blumen und Kerzen am neuen Gedenkort niederlegten.

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