76-Jähriger kandidiert bei Grünen-Urwahl:Einmal oben mitmischen

Lesezeit: 4 min

Trittin? Göring-Eckardt? Oder doch Alfred Mayer? Der ist 76 und noch ohne nennenswerten politischen Erfolg. Jetzt kandidiert er überraschend bei der Urwahl des Grünen-Spitzenduos für die Bundestagswahl 2013. Aus Verzweiflung.

Renate Winkler-Schlang

"Ich kandidiere aus Verzweiflung", sagt Grünen-Politiker Alfred Mayer - und ohne Chance auf Erfolg. (Foto: Carmen Wolf)

Alfred Mayer kommt zu spät zum Treffpunkt. In die Redaktion. Zu Hause mochte er keinen Besuch empfangen: "Junggesellenchaos." Er habe nur noch schnell ein Buch kaufen müssen, entschuldigt er sich und zieht "Die Kugel und das Opium" von Liao Yiwu aus einer Plastiktüte: "Das ist für Jürgen Trittin", sagt er: "Ich habe ihn als Außenminister vorgesehen. Und in dem Buch steht, wie es wirklich war auf dem Platz des Himmlischen Friedens."

Der 76-jährige Alfred Mayer aus Waldtrudering mischt sich gerne ein - und nun mischt er, äußerlich um Understatement bemüht, ein paar Wochen ein bisschen mit in der großen Politik: Er ist einer der Überraschungskandidaten der Urwahl des Grünen-Spitzenduos für die Bundestagswahl 2013.

Er wird dort nicht gewinnen. Keine Chance. Aber: Warum tut er sich das dann an? "Ich kandidiere aus Verzweiflung", sagt er, während er seinen grünen Rucksack abnimmt, seinen seit Jahren aus der Mode gekommenen, etwas schmuddeligen hellblauen Anorak auszieht und sich ein Bier aufmacht. Schließlich ist er mit seinem neuen Klapprad gekommen. Davon zeugt auch das zerzauste graue Haar.

Das Rad habe er sich beim Kandidatenforum in Berlin gekauft, um dort mobil zu sein. Im Hostel habe er übernachtet, zwischen lauter jungen Leuten, berichtet der Grüne und strahlt. Seine Wangen sind wie immer ge rötet. In der Bahn habe er das Rad mitgenommen: "Natürlich Bahncard 50", sagt er.

"Ich werde ja gar nichts, das weiß ich ja selber", erklärt der frühere Rechtspfleger und Amtsanwalt, den viele als aufmüpfigen, nimmermüden Streiter für alle möglichen Anliegen kennen, obwohl er außer einem Mandat im Truderinger Bezirksausschuss in den neunziger Jahren nie ein politisches Amt oder einen Posten in der Partei innehatte - und obwohl er zugeben muss, auch nie einen nennenswerten politischen Erfolg erzielt zu haben. Bei den Foren erkläre er den Besuchern immer, sie sollten lieber aussichtsreicheren Kandidaten ihre Stimme geben.

"34 Jahre und nichts geschehen"

Warum also das Ganze? Und welche Verzweiflung? Der rote Faden im Gespräch geht oft verloren. "Ich schweife gerne ab und ich rede zu langsam", sagt er selbstkritisch und um seine blauen Augen kräuseln sich Lächelfalten. Um die Verzweiflung zu erklären muss er zurück zu den Anfängen, zur Gründung der Grünen vor 34 Jahren: "Endlich gab es eine Partei, die dem Umweltschutz Nachdruck verleiht." Inzwischen aber sei für ihn klar: "34 Jahre und nichts geschehen."

Unterm Strich stehe es um die Erde viel schlimmer als damals. Daher stelle sich die Frage, "ob die Grünen weiter so handzahm sein sollten und sich über zwei Prozent Stimmenzuwachs frenetisch freuen sollten. Alle vier Jahre zwei Prozent mehr: Dann dauert es noch 40 Jahre, bis wir die Regierung stellen", behauptet er: "Das ist mir zu lang. Ich habe ja nur noch 30 Jahre." Darum also kandidiere er, ohne ein ernsthafter Kandidat zu sein: "Ich will die Grünen aufmüpfiger machen."

Im Aufmüpfigsein, da hat Alfred Mayer Erfahrung. "Als Leserbriefschreiber hab' ich angefangen", sagt er und nimmt noch einen Schluck vom Bier. Alle habe er sie noch zu Hause archiviert: "40 Jahre Leserbriefe!" Morgens auf dem Weg zur Arbeit die SZ lesen, gleich an den Rand die Ideen vermerken, im Büro binnen fünf Minuten alles tippen und in der Mittagspause selber bei der Redaktion einwerfen: So war das. Einmal seien gleich drei von ihm an einem Tag erschienen. Alles, was die Umwelt und was seine Stadt München betraf, kommentierte er: "Sobald jemand so getan hat, als könnte man nichts machen."

Spitzenpersonal in spe bei den Grünen
:Roth für Grün in Ewigkeit, Amen

Katrin Göring-Eckardt, Renate Künast, Claudia Roth und Jürgen Trittin - seit Jahrzehnten wird das Bild der Grünen von den gleichen Personen bestimmt. Gibt es wirklich niemanden sonst, der an der Spitze mitmischen könnte? Wir hätten da noch ein paar Kandidaten.

Lokale Berühmtheit erlangte er dann als Rauchallergiker: Mayer, der wegen des vielen Rauchs auf Versammlungen zwischenzeitlich von den Grünen zur ÖDP gewechselt war, kämpfte für ein rauchfreies Sitzungslokal seines Bezirksausschusses, erstritt sich damals sogar vor dem Verwaltungsgericht regelmäßige Lüftungspausen, obwohl im Sitzungszimmer gar keiner qualmte: Ihn störte auch der Rauch, der aus der Wirtsstube herüberwehte.

Wer brauchen kann, was ein anderer auf dem Wertstoffhof abgebe, der solle es auch mitnehmen dürfen: Für diese für ihn völlig logische und alternativlose, in München aber ebenso aussichtslose Idee kämpfte Mayer auf so vielen Bürgerversammlungen, dass das Auditorium schon aufstöhnte, sobald Alfred Mayer nur angekündigt wurde.

Ob ihm das nicht weh tat? Nein, antwortet er, er wisse das ja, kenne ja die Menschen, das nehme er in Kauf. Wieder lächelt er. Und dennoch könne er einfach nicht anders. "Wie der kleine David", vergleicht er sich: "Keiner hat sich rangetraut an den großen Goliath . . ." Als das schöne alte Eingangsgebäude zum Prinzregentenbad und -stadion abgerissen werden sollte, magerte Mayer ab: Er kämpfte mit Hungerstreik, bekam einige Publicity - blieb aber wieder ohne Erfolg.

"Sonst macht es ja keiner", ist seine Begründung, warum er immer weitermacht. Jetzt also auf Bundesebene. So viele Ideen könne er nun an die Partei-Profis herantragen. Er könne auf seinen Blog "Demokratie von unten" verweisen, auf seinen Wunsch geheimer innerparteilicher Wahlen, auf seinen Widerwillen gegen die Fünf-Prozent-Hürde. Vor allem die Absurdität steten Wirtschaftswachstums wolle er anprangern. Einzelne könne er leichter überzeugen. Er fürchte sich nicht, vor Massen zu reden, komme aber nicht so gut an. "Wahrscheinlich hätte ich einen Rhetorik-Kurs machen sollen." Aber dann müsste er diese Finessen auch noch beachten zu all seinen vielen, vielen Argumenten.

Zu spät für den Postweg

Diese umfassende, üppige Argumentesammlung in seinem Kopf ließen ihm am Samstag vor Bewerbungsschluss seine Kandidatur für die Urwahl auch urplötzlich als wirklich unabdingbar erscheinen. Leider zu spät für den Postweg. Unmöglich aber gibt es für Mayer nicht. Er setzte sein Bewerbungsschreiben auf, kopierte es und fuhr in letzter Minute von Waldtrudering zum Hauptbahnhof zum Nachtzug nach Berlin. Er bat ungeniert zwei vertrauenserweckende Reisende, in Berlin gleich einen Taxler mit seinem Brief zum Grünen-Hauptquartier zu schicken. Jeweils 20 Euro schenkte er ihnen dafür und je zehn fürs Taxi. Beide hielten Wort. Die doppelte Bewerbung kam an: Für Mayer bestens investierte 60 Euro.

Jetzt kennt er die Großen seiner Partei und weiß plötzlich nicht mehr, ob ihm die Leutseligkeit von Claudia Roth besser gefällt, das Vertrauenserweckende von Katrin Göring-Eckardt oder das Staatsmännische vom Jürgen Trittin, seinem Wunsch-Außenminister. Aber zu lang aufhalten lässt er sich von all dem auch nicht. Er fahre von den Foren meist nachts gleich zurück: "Ich habe zu viel zu tun." Da seien die ihm wichtigen Anträge fürs Stadtforum der Grünen oder die Pflege seiner Solaranlagen auf von ihm mit vielen Schulden geretteten alten Häusern in den neuen Bundesländern.

Grünen-Spitzenkandidatur
:Letzte Chance für Claudia

Einst managte sie eine politische Rockband, seit neun Jahren führt Claudia Roth als Parteivorsitzende die Grünen. Nun will sie Spitzenkandidatin für ihre Partei werden. Es ist vielleicht ihre letzte Chance nach der Bundestagswahl auch Ministerin zu werden. Ihre bisherige politische Karriere

Bildern.

Eine Grundveranlagung zum Einmischen sieht er bei sich aber nicht. Wenn alles passen würde, dann würde er sich nur seinen liebsten Hobbys widmen: dem Eistanz im Prinze und dem argentinischen Tango im Hofgarten. Im Freien fühle er sich als Freiheitsliebender am wohlsten, bekennt er. Und braust ab mit seinem Klapprad aus Berlin.

© SZ vom 25.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: