Energiewende in München:Volle Windkraft voraus

Lesezeit: 4 min

Windpark vor Bremerhaven: Global Tech I. (Foto: Henthorn)
  • Die Stadtwerke München wollen künftig die gesamte Stadt mit grünem Strom versorgen. Dazu müssten sie allerdings 7,5 Millionen Terawattstunden bereitstellen.
  • Um dies zu schaffen, investiert der Betrieb in große Projekte außerhalb München, etwa in Windparks in der Ostsee.
  • Momentan erzeugen die Stadtwerke etwa ein Drittel des Bedarfs aus regenerativen Quellen.

Von Katja Riedel

Wenn man München etwas vorhalten möchte, dann vielleicht das: München ist nicht Kopenhagen. Denn Kopenhagen peilt für das Jahr 2025 an, als erste Hauptstadt klimaneutral zu sein: Sie will nur so viel Kohlendioxid ausstoßen, wie Parks und technische Anlagen binden können. Kopenhagen will das Wasser reiner machen, Müll vermeiden. Und die Stadt will so viel erneuerbare Energie produzieren, wie sie selbst und der Großraum verbrauchen. Und vor allem: Kopenhagen wird all dies vor der eigenen Haustür erreichen. Mit dem Wind der Ostsee, an der sie liegt, und mit der schier unerschöpflichen Wasserkraft, aus der auch andere skandinavische Großstädte wie Oslo schon seit Jahrzehnten Energie gewinnen.

Sind die Stadtwerke München (SWM) also Aufschneider? Ist die Rede von der so vorbildlichen Münchner Energiewende übertrieben, das angeblich einzigartige Ziel, als erste Millionenstadt so viel grünen Strom produzieren zu wollen, wie ganz München verbraucht, gar nicht einmalig?

Errichterschiffe heißen die großen Kähne, die die Bauteile aufs Meer bringen und in den Boden treiben. (Foto: SWM)

Die Isar ist nicht die Ostsee

Die Antwort beginnt mit einer unverrückbaren Erkenntnis - und mit einem strategischen Nachteil: München liegt nicht am Meer, sondern an der Isar, in der Nähe befinden sich weitere Flüsse, deren Strömung sich München schon seit der Wende zum 19. Jahrhundert zunutze macht. Und in München weht, wie in großen Teilen Südbayerns, deutlich weniger Wind als in Mittel- und Norddeutschland. Die Sonne scheint öfter als in Hamburg, aber nicht so stark wie in Spanien.

Wind, Wasser, Sonne und Biomasse zusammengenommen, kann es München also nicht schaffen, den gesamten Strombedarf der Großstadt aus erneurbaren Energien zu decken: Alle Fernseher und Kühlschränke, alle U- und S-Bahnen, alle Fertigungsbänder in Fabrikhallen am Laufen zu halten, dazu ist eine Menge Strom nötig, nämlich 7,5 Terawattstunden - eine Zahl mit zwölf Nullen.

Ein Drittel des Bedarfs ist bereits gedeckt

So viel grünen Strom in eigenen Anlagen und Beteiligungen zu erzeugen, hat der Münchner Stadtrat seiner Tochter, den wirtschaftlich eigenständigen SWM, 2008 aufgetragen. Jetzt ist ein Ziel erreicht, das sich Politik und Unternehmen damals als Zwischenetappe gesetzt hatten, und das die SWM feiern: Seit Mai liefern all diese neuen Projekte so viel grünen Strom, wie die Bürger in ihren Wohnungen, die U-Bahn und Elektroautos verbrauchen. Zehn Jahre vor Erreichen der Zielgeraden ist ein Drittel des Bedarfs gedeckt: 2,5 Terawattstunden grünen Strom speisen die SWM nun in das europäische Netz ein.

Heizkraftwerk Nord
:Schmutziges gutes Geschäft

Die Stadtwerke rühmen sich für den Ausbau der erneuerbaren Energien. Im Heizkraftwerk Nord aber wird tonnenweise Kohle verfeuert. Umweltschützer fordern die Umstellung auf Gas, doch im Rathaus sieht man das anders.

Von Dominik Hutter

Dieses muss man sich wie einen großen See vorstellen. In diesen See speisen die Konzerne dort Strom ein, wo sie ihn herstellen. Und sie nehmen ihn dort wieder heraus, wo ihre Kunden ihn verbrauchen. Kritiker bemängeln, dass der Münchner Strom nur zu einem kleinen Teil in der Region München entsteht: Etwa aus Wasserkraft, der stärksten regionalen Energiequelle, kommen gerade einmal 0,35 Terawatt, der Solarstromanteil ist minimal - und an der Autobahn neben der Allianz-Arena dreht sich einsam Münchens einziges Windrad. Im jetzigen Energiemix kommen noch mehr als 1,4 Terawattstunden aus Kohlestrom.

Atomstrom soll wegfallen

Schlimmer noch: Mehr Strom als aus allen erneuerbaren Projekten zusammengenommen kommt derzeit zwar noch aus der Region, jedoch aus einer Quelle, die bald abgeschaltet wird und die so gar nicht passt zu Münchens grünem Konzept: aus dem Atomkraftwerk Isar II, das voraussichtlich 2022 vom Netz gehen wird. Allein um den wegfallenden Atomstrom zu ersetzen, braucht es aber wahre Energiemassen. Um die zu erzeugen, geht das Unternehmen einen anderen Weg, und der führt weit weg von München. In den Norden, vor die deutsche, dänische und walisische Küste und zu Windparks auf hoher See. Er führt aber auch nach Ostdeutschland, nach Frankreich, nach Spanien, wo die SWM an den größten europäischen Wind- und Sonnenenergieparks auf Land beteiligt sind. Es sind Großprojekte mit klingenden Namen - und mit weit mächtigeren Partnern.

Eon, RWE, Vattenfall - Stadtwerke-Chef Florian Bieberbach und sein Vorgänger Kurt Mühlhäuser haben es binnen kürzester Zeit geschafft, mit den Größten der Branche an einem Tisch zu sitzen. Am Anfang habe man sich gewundert über das Selbstbewusstsein der weitgehend unbekannten regionalen Stadtwerke, einem Mittelständler unter Riesen, erzählt Bieberbach. Inzwischen sind er und seine Energiewende-Truppe mit gerade einmal 20 Leuten weiter als mancher der Großen. "RWE hat etwa dasselbe Budget wie wir", sagt Bieberbach und lächelt.

Der Münchner Strom im Überblick. (Foto: Stadtwerke München)

Mehr als drei Milliarden Euro haben die SWM schon in Projekte gesteckt, insgesamt hat die städtische Eigentümerin neun Milliarden Euro für die Ausbauoffensive freigegeben. Und während die ersten Großprojekte mit Fremdkapital finanziert wurden, sollen nun die Einnahmen aus den ersten großen Parks wie etwa DanTysk nahe Sylt, Global Tech I bei Bremerhaven oder Gwynt y Môr in der Bucht von Liverpool neue Projekte finanzieren.

Tatsächlich hat die Krise am Strommarkt die SWM zwar auch erwischt - aber weniger kalt als die Marktführer. Mit einem Umsatz von mittlerweile sechs Milliarden Euro und allerlei Projekten, die in Zukunft Gewinne abwerfen sollen, scheinen die Stadtwerke also besser vorbereitet zu sein als manch größerer Konkurrent, der um seine Zukunft nach dem Atomausstieg bangt.

Opfer der politischen Verhältnisse?

Auch Energieexperten wie Claudia Kemfert vom Berliner DIW sind überzeugt, dass München deutschlandweit eine Vorreiterrolle übernommen habe - trotz des regionalen Defizits. Dass die SWM nicht stärker auf Windenergie in Südbayern setzen, wie dies mit der Tochter Bayernwind eigentlich geplant war, hätte das Unternehmen nicht selbst zu verantworten. Die SWM seien vielmehr Opfer der politischen Verhältnisse geworden. Die bayerische Staatsregierung hatte den meisten regionalen Windparks mit neuen und sehr strengen Regeln zum Mindestabstand den Stecker gezogen.

Wenn sich mehr Stadtwerke wie die SWM für die Energiewende engagierten, könnte dies das Geschäft beleben und Preise senken, glaubt Kemfert.

Dass die SWM mit all ihren Projekten den europäischen Stromsee grüner werden lassen, ist also keine reine Symbolpolitik. Denn davon profitieren auch die Münchner - wie alle anderen Europäer.

© SZ vom 09.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: