USA unter Obama:Die Weltpolizei ist zurück

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Obama bei einer Rede am 26. September. Er hat eingesehen, dass er nicht Bundeskanzler ist. Sondern US-Präsident. (Foto: AP)

Obamas Amerika ist nüchterner, realistischer und weniger rücksichtslos als das der Bush-Jahre. Mit dem Vorgehen gegen die IS-Terroristen kehrt nun die Weltmacht zurück. Doch wären die USA nicht gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" eingeschritten - es hätte niemand getan.

Kommentar von Nicolas Richter

Eine Zeit lang hat Amerika versucht, Deutschland zu sein. Die Amerikaner haben Arbeitsplätze geschaffen, ihre Autobahnen neu geteert und die Welt mehr als Geschäftsfeld bearbeitet denn als Schlachtfeld. Bundeskanzler Barack Obama überlegte hin und wieder, einen Diktator zu bestrafen, ließ es aber doch bleiben, weil das Parlament nicht wollte und er eigentlich selbst keine Lust hatte.

Jetzt hat Obama dieses jüngste Experiment amerikanischer Selbstfindung beendet - mit Angriffen auf Terroristen in Syrien und mit einer selten klaren Rede bei den UN. Vor einem Jahr noch klagte Obama über seinen beschränkten Einfluss auf die Welt, jetzt fordert er Terroristen auf, vom Schlachtfeld zu fliehen. Vor Kurzem noch beschwichtigte er, das Ausland wirke bloß wegen der neuen Medien so chaotisch, jetzt warnt er vor systemischem Versagen der Weltgemeinschaft im Angesicht unzähliger Zumutungen.

Er musste einsehen: Er ist nicht der Bundeskanzler

Obama hat sich korrigiert. Er hat einsehen müssen, dass er nicht der Bundeskanzler ist, der in Notlagen bloß ein paar Gewehre an die Kurden schickt. Nein, Obama ist US-Präsident und nach amerikanischem Verständnis damit der Führer der freien Welt. Nach der Rücksichtslosigkeit der Bush-Jahre und dem Rückzug der frühen Obama-Jahre folgt jetzt die dritte Interpretation amerikanischer Stärke seit dem 11. September 2001: Die Weltmacht kehrt zurück, aber sie hat sich verändert, sie ist schlanker und nüchterner und realistischer.

Obamas Amerika ist deutscher geworden: Es geht weniger Risiken ein, sichert sich mehr bei Verbündeten ab und zählt öfter sein Geld. Obama erkennt jetzt zwar deutlich an, dass die USA als Hüter einer globalen Mindestordnung unentbehrlich sind, er möchte aber Verantwortung und Kosten nicht allein tragen.

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Misstrauen, das für eine halbe Generation reichen dürfte

Soll sich die Welt freuen über die Rückkehr der USA in den Weltpolizeidienst? Die Vereinten Nationen haben Obama in dieser Woche eher verhalten empfangen; seit 2001 hat sich so viel Misstrauen über Amerika gesammelt, dass es für eine halbe Generation reichen dürfte. Gleichzeitig aber herrschte in New York eine - oft stille - Erleichterung darüber, dass sich die USA in diesem Seuchen-, Kriegs- und Terrorjahr doch noch einmischen. Diese verhaltene Anerkennung ist richtig, sie trägt den Schwächen der USA Rechnung, aber eben auch deren Verdiensten.

Wären die USA nicht gegen den "Islamischen Staat" eingeschritten, hätte es niemand getan. Obama hätte den IS auch zum Problem der Araber erklären und sich dem Freihandel mit Asien widmen können. Dann aber hätte der IS die Kurden überrannt und seine Enthauptungs-Clips bald auch aus der Türkei, Jordanien und dem Libanon gesendet. Der IS hätte Vergewaltigungen weiter für gutes Regieren erklärt, seine Kriegskasse gefüllt und Scharen junger Männer angezogen, die den Nahen Osten verwechseln mit einem apokalyptischen Videospiel.

Nichts spricht dafür, dass Europäer oder Araber diesem Irrsinn allein entgegengetreten wären. Obama, der eigentlich hoffte, die Welt werde ohne US-Soldaten friedlicher sein, hat eher das Gegenteil bewiesen: Niemand ist bereit, Ordnung zu schaffen, wenn es Amerika nicht tut. Während die USA jetzt mit Präzisionswaffen die Öllager der Terroristen angreifen, rechnet die Bundeswehr nach, wie viele ihrer Hubschrauber überhaupt noch fliegen können. Das - berechtigte - Klagen der Deutschen über die NSA-Spionage hat man in Washington auch deshalb nie ernst genommen, weil man wusste: Spätestens nach der nächsten Katastrophe sind die Europäer wieder sehr dankbar für den US-Sicherheitsapparat.

Natürlich bleiben etliche Gründe für Vorbehalte gegen die Weltmacht. Das Verhältnis Amerikas zum Rest der Welt ist erratisch und unberechenbar geblieben, es schwankt zwischen Ahnungslosigkeit und Alarmismus. Zuletzt hat das Volk seinem Präsidenten genau jene militärische Zurückhaltung übel genommen, wegen der es ihn zweimal gewählt hat.

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Sie rügten Obamas Schwäche - und schlichen sich selbst davon

Syriens Zerfall hat in den USA kaum jemanden interessiert; als der IS dann aber Amerikaner ermordete, klangen Washingtons rechte, oft widerlegte "Falken", als wollten sie Syrien am liebsten persönlich bombardieren. Statt dann ernsthaft über das Mandat für eine neue Intervention zu reden, verschwanden die Abgeordneten in ihren Wahlkreisen, wo sie vermutlich Obamas "Schwäche" rügten, obwohl sie sich selbst davongeschlichen hatten.

Zum Glück also ist Obama noch zwei Jahre lang Präsident. Im Welt-Durcheinander zahlt es sich aus, dass im Weißen Haus ein Multilateralist sitzt, aus dessen Sicht die USA nur verwundbar sind, wenn sie überreagieren. Obamas Leitmotiv - "Mach kein dummes Zeug!" - klingt so vernünftig, als sei es deutsch, und er ist dafür oft verspottet worden. Gewiss, seine Doktrin minimaler Einmischung stand ihm manchmal selbst im Weg: Hätte er sich früher um den Nahen Osten gekümmert, müsste er die Dinge jetzt wohl nicht mit solch großem Aufwand richten.

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Aber Vernunft bleibt ein guter Ratgeber, und Obama hat am Ende auch vernünftige Gründe dafür gefunden, Syriens Terroristen anzugreifen. Er wollte nicht einer jener US-Präsidenten werden, die Völkermorde geschehen ließen. Und womöglich hat er aus den Provokationen Russlands und Chinas gefolgert, dass die US-geprägte Nachkriegsordnung zuletzt doch grundsätzlicher bedroht war, als er es wahrhaben wollte. Hätte er sich weiter herausgehalten, hätte Russland als Nächstes vielleicht die Balten bedrängt, China die Japaner und der IS die Jordanier.

Ein Helfer, nicht ein Gestalter

Obama führt nun einen anderen Krieg als einst George W. Bush. Bush hat Amerikas Macht überschätzt, Obama dagegen ist überzeugt, dass diese Macht endlich ist. Er führt jetzt einen Hightech-Krieg aus der Luft, vorerst ohne Bodentruppen, eine verschärfte Version der bisherigen Drohnentaktik. Er sieht sich als Helfer, der ein Sicherheitsproblem löst, nicht als Gestalter, der sich ausliefert.

Die Grenzen und Widersprüche in Obamas Nahost-Strategie sind offensichtlich. In seiner Rede vor den UN hat er Ausmaß und Gründe des Extremismus in der muslimischen Welt richtig analysiert, er hat aber auch erklärt, dass dieses Problem letztlich nur die Muslime selbst lösen können.

Obama wird sich darauf beschränken, den IS so einzudämmen, dass er möglichst wenig Schaden anrichtet - das ist Containment, nicht viel mehr. Statt also einen Sieg über das "Netzwerk des Todes" zu verheißen, sollte Obama seinem Volk und der Welt ehrlicherweise sagen, dass man noch lange keine "Mission erfüllt"-Banner ausrollen wird, vielleicht auch nie. Es würde ausdrücken, was Obama ohnehin glaubt und was die Rückkehr Amerikas im Kern definiert: Eine Supermacht, die es bleiben möchte, erkennt, dass sie mächtig, nicht super ist.

© SZ vom 27.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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