"In aller Ruhe" mit Carolin Emcke:"Care-Arbeit wurde entpolitisiert" - Teresa Bücker über Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft

Lesezeit: 3 min

"Ich bin erst spät zu feministischen Perspektiven und Autorinnen gekommen", sagt Teresa Bücker im Gespräch mit Carolin Emcke bei "In aller Ruhe". (Foto: Paula Winkler/Bearbeitung: SZ)

In Deutschland fehlen die Fachkräfte. Auch weil die im Privaten Care-Arbeit leisten. Warum das auch ein feministisches Problem ist, erklärt Teresa Bücker in der neuen Folge von "In aller Ruhe".

Podcast von Carolin Emcke; Text von Johannes Korsche

Deutschland durchlebt viele Krisen. Eine davon greift sehr in das alltägliche Leben ein, ohne alltäglich die Schlagzeilen zu dominieren: die Care-Krise. In der Sorgearbeit - Pflege, Kinderbetreuung - fehlen Fachkräfte, weshalb sehr viel Care-Arbeit im privaten Haushalt und nicht in öffentlichen Einrichtungen verrichtet wird. Mehrheitlich von Frauen, die dafür ihre eigene berufliche Laufbahn mindestens temporär unterbrechen. Wie kann eine Gesellschaft damit umgehen? Darüber diskutiert Teresa Bücker in dieser Folge von "In aller Ruhe" mit Carolin Emcke.

Teresa Bücker, geboren 1984, ist eine der wichtigsten feministischen Stimmen in Deutschland. Zwischen 2010 und 2014 beriet sie die SPD als Digitalstrategin - erst den Parteivorstand, dann die Bundestagsfraktion. Seit 2019 ist sie Kolumnistin des SZ-Magazins. Von 2014 bis 2019 war sie Chefredakteurin des feministischen Onlinemagazins Edition F. 2017 wurde sie als "Journalistin des Jahres" in der Kategorie "Entrepreneur", 2019 in der Kategorie "Kultur" ausgezeichnet. Als Expertin wird sie regelmäßig zu Konferenzen und in politische Talk-Sendungen geladen, . Ihr Buch "Alle_Zeit" ist mit dem NDR Sachbuchpreis 2023 ausgezeichnet. Darin entwirft Bücker eine Zeitkultur in unserer Gesellschaft, die für mehr Gerechtigkeit, Lebensqualität und gesellschaftlichen Zusammenhalt sorgen könnte.

"Care-Arbeit wird immer noch sehr stark ins Private verschoben"

Sie sei in den 80er- und 90er-Jahren großgeworden, als ihr vermittelt wurde: "Ihr könnt alles werden, was ihr wollt", erinnert sich Teresa Bücker im Gespräch mit Carolin Emcke. Aber: "Wenn ich mich in meinem privaten Umfeld umgeschaut habe - in Westdeutschland, in einem konservativen Umfeld - dann gab es so gut wie keine Frauen, die eigenständig berufstätig waren. Keine, die so etwas wie eine Karriere hatten, sondern es waren überwiegend Hausfrauen, gegebenenfalls Teilzeitbeschäftigte nach einer längeren Familienphase." Prägend sei aber "eine sehr starke geschlechtliche Arbeitsteilung" gewesen. Sie habe als Kind und Jugendliche auch kein feministisches Wissen vermittelt bekommen, sagt Bücker. "Ich bin deswegen erst spät zu feministischen Perspektiven und Autorinnen gekommen und musste mir das alles alleine erarbeiten - auch in Abgrenzung zu dem Umfeld, in dem ich aufgewachsen bin."

Inzwischen ist Bücker selbst ein solches Vorbild geworden. Vor allem weil sie mit einem feministischen Blick auf die Politik und die Gesellschaft schaut und auf Probleme aufmerksam macht. Zum Beispiel in der Sorgearbeit: "Im Bereich Care-Aufgaben muss man als allererstes feststellen, dass dieser Bereich entpolitisiert wurde." Die Folge: "Es wird immer noch sehr stark ins Private verschoben." Denn "bei Care-Aufgaben ist ja der Knackpunkt, dass sie gemacht werden müssen. Die können nicht verschoben werden."

"Eigentlich werden wir an dieser Stelle für dumm verkauft und belogen"

Der Bereich erfahre aber nicht die politische Anerkennung, um ihn gerecht neu zu ordnen. Ein Beispiel: "Es ist so, dass bei den Kindern unter drei Jahren nur knapp über 30 Prozent überhaupt in Kindergärten und Kitas betreut werden. Das heißt, dass über 60 Prozent der Kleinkinder familiär betreut werden", sagt Bücker. "Und wir haben jetzt schon einen Kita-Platz-Mangel von etwa 400 000 Plätzen, der aber abgeleitet aus dem jetzigen Bedarf von Familien ist." Anders ausgedrückt: Der aktuelle Mangel berücksichtigt jene 60 Prozent familiär betreute Kinder noch nicht mal.

Den politischen Umgang mit der Care-Krise, die sich von Kita-Plätzen bis hin zur Sicherung der Rentensysteme durch alle Abschnitte des Lebens ziehe, bewertet Bücker so: "Man könnte es als magisches Denken beschreiben. Weil das, was politisch skizziert wird, in der gesellschaftlichen Realität nicht machbar sein wird." Einerseits sollte wegen des Fachkräftemangels möglichst jede erwerbsfähige Person in Deutschland arbeiten, aber: "Wir haben weder die Kita-Plätze noch die Plätze in Pflegeheimen, die überhaupt die Erhöhung der Erwerbstätigkeit ermöglichen würden." Ihr Fazit: "Also eigentlich werden wir an dieser Stelle für dumm verkauft und belogen."

Welche Wege gibt es aus der Care-Krise? Und warum ist eine feministische Politik sehr zentral, um das Vertrauen in die Demokratie zu stärken? Darüber spricht Teresa Bücker in dieser Folge von "In aller Ruhe".

Empfehlung von Teresa Bücker

Teresa Bücker empfiehlt: "Weißen Feminismus canceln" von Sibel Schick. (Foto: S. Fischer Verlag/Bearbeitung: SZ)

Teresa Bücker empfiehlt: "Weißen Feminismus canceln - Warum unser Feminismus feministischer werden muss", erschienen im S. Fischer Verlag. Das Buch greife Themen auf, "die im deutschen feministischen Diskurs kontrovers sind." Gehe dorthin, "wo der dominante feministische Diskurs in Deutschland Leerstellen hat, beispielsweise bei der Sexarbeit, bei trans Rechten, beim Asylrecht." Das Buch stelle die Frage: "Wie kann man Feminismus inklusiver gestalten?" Laut Teresa Bücker: "Ein hervorragendes Buch."

Redaktion, Moderation: Carolin Emcke

Redaktionelle Betreuung: Johannes Korsche

Produktion: Imanuel Pedersen

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

"In aller Ruhe" mit Carolin Emcke
:"Liberalismus ist Lebensgefühl" - Gerhart Baum über die FDP

Wie blickt der große Liberale Gerhart Baum auf die Welt - und auf den deutschen Liberalismus? Mit wachen Augen und ohne Bitternis. Die neue Folge von "In aller Ruhe" mit Carolin Emcke.

Podcast von Carolin Emcke; Text von Johannes Korsche

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: