"In aller Ruhe" mit Carolin Emcke:"Liberalismus ist Lebensgefühl" - Gerhart Baum über die FDP

Lesezeit: 2 Min.

Podcast "In aller Ruhe" mit Carolin Emcke, Folge 20, Cover, Gerhart Baum (Foto: Stefan Boness/Ipon/imago/Bearbeitung: SZ)

Wie blickt der große Liberale Gerhart Baum auf die Welt - und auf den deutschen Liberalismus? Mit wachen Augen und ohne Bitternis. Die neue Folge von "In aller Ruhe" mit Carolin Emcke.

Podcast von Carolin Emcke; Text von Johannes Korsche

Die Klimakrise, die Corona-Krise, die Demokratie-Krise - eigentlich könnten es gerade geschäftige Zeiten für Politikerinnen und Politiker sein, denen es an Freiheits- und Bürgerrechten liegt. Trotzdem ist eine solche Stimme im deutschen Diskurs nur sehr leise vernehmbar. Hört man dann doch mal eine nachdenkliche, liberale Stimme, gehört sie nicht selten einem Mann: Gerhart Baum, FDP-Politiker und ehemaliger Bundesinnenminister im Kabinett von Bundeskanzler Helmut Schmidt. Er ist in dieser Folge von "In aller Ruhe" mit Carolin Emcke zu Gast.

Das Gespräch fand am 25. Oktober statt. Spätere Entwicklungen im Nahostkrieg konnten demnach nicht mehr diskutiert werden.

Gerhart Baum, 1932 in Dresden geboren, studierte Rechtswissenschaften in Köln. Ein Jahr nach dem Abitur trat er 1954 der FDP bei. Er nahm seitdem mehrere Funktionen innerhalb der Partei ein, unter anderem war er Bundesvorsitzender der Jungdemokraten sowie stellvertretender Bundesvorsitzender der FDP. Von 1972 bis 1994 saß er im Bundestag, von 1978 bis 1982 war er in der sozialliberalen Koalition des SPD-Kanzlers Helmut Schmidt Bundesinnenminister. Von 1992 an war er für die UNO tätig, zuerst als Chef der deutschen Delegation in der UNO-Menschenrechtskommission in Genf und später als UN-Sonderbeauftragter für die Menschenrechte im Sudan. Baum war zudem an mehreren Verfassungsbeschwerden vor dem Bundesverfassungsgericht beteiligt, unter anderem an der Klage, die 2004 dazu führte, dass der "Große Lauschangriff" als verfassungswidrig eingestuft wurde.

"Es gibt Leute, die meinen Frieden allein reicht. Das ist ein großer Fehler."

Er habe zwar Hemmungen, Superlative zu gebrauchen, sagt Gerhart Baum im Gespräch mit Carolin Emcke, aber - mit Blick nach Israel und in die Ukraine - kommt er zu dem Schluss: "Es ist etwas in Gang gekommen, was ich in dieser bedrückenden Realität in meinem ganzen Leben nicht wahrgenommen habe." Sowohl in der globalen Ordnung, als auch in der politischen Landschaft in Deutschland.

Für die einigermaßen friedliche Welt in den vergangenen Jahrzehnten sieht Baum eine große Gefahr: "Putin mit China zusammen strebt ja nicht nur die Vernichtung der Ukraine an, sondern er will eine neue Weltordnung, eine antiamerikanische, antiwestliche Weltordnung." Eine "Weltordnung, die nach den Prinzipien der autoritären Strukturen verfasst ist. Und das ist die Generalherausforderung."

Zur derzeitigen Lage der FDP sagt Baum: "Ich vermisse seit langem bei der FDP eine Perspektive in dieser Zeit, die alles in Veränderung bringt. Eine Perspektive für den Liberalismus. Was ist denn heute Liberalismus? Das ist nicht nur die Bewahrung der Schuldenbremse, sondern das ist ein Lebensgefühl." Das sei ein Freiheitsgefühl. Aber die FDP biete jenen liberal-gesinnten Menschen derzeit keine politische Heimat. Baum empfiehlt seiner FDP, aber auch allen anderen demokratischen Parteien in Deutschland, vor allem: "Eines ist wichtiger denn je: die Wahrheit."

Außerdem sprechen Carolin Emcke und Gerhart Baum darüber, wie ihn seine Mutter mit russischen Wurzeln geprägt hat. Und: Was er sich von der Klimabewegung heute wünscht.

Empfehlung Gerhart Baum

"Im Namen der Deutschen" von Norbert Frei - ein Buch über die Bundespräsidenten und ihren Umgang mit der Shoa. (Foto: C. H. Beck/Bearbeitung: SZ)

Gerhart Baum empfiehlt "Im Namen der Deutschen" von Norbert Frei, erschienen bei C. H. Beck. Der Historiker Frei beschreibt darin, wie die deutschen Staatsoberhäupter im Nachkriegsdeutschland mit den NS-Verbrechen umgegangen sind. Das berühre die "Wurzeln unserer Gesellschaft, wie diese Repräsentanten des Staates" mit der deutschen - gerade zu Beginn ja auch mit ihrer persönlichen - Geschichte im Namen der Bundesrepublik umgegangen sind. "Da findet man zum Beispiel etwas, was ich überhaupt nicht kannte: Dass der Heuss ( Theodor Heuss, erster Bundespräsident der Bundesrepublik, Anm.) 1952 in Bergen-Belsen war. Und da sagt er ganz spontan: "Wir haben von den Dingen gewusst." Aber dennoch war das Wort von der kollektiven Verantwortung nicht durchsetzbar", sagt Baum. Er erinnere sich an die damalige Diskussion. "Man sprach dann von Kollektivscham."

Podcast: Carolin Emcke

Redaktion: Johannes Korsche

Produktion: Imanuel Pedersen

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