Film:Verlockung Kinosessel

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Oscar-Statue in Los Angeles: Wird es das Kino, wie wir es kannten, noch lange geben? (Foto: Matt Sayles/AP)

Vor der Oscar-Nacht in Los Angeles: Das Filmtheater kann sich gegen die Streaming-Dienste behaupten, wenn es sich geschickt anstellt.

Kommentar von Susan Vahabzadeh

Am Sonntagabend werden die Oscars vergeben, und in der Filmbranche galt die Zeit um diesen Termin herum als eigene Jahreszeit. Auch bei uns waren die Kinostarts lange darauf ausgerichtet. Fast alle Filme, die unter Oscar-Verdacht standen, liefen im ersten Jahresviertel an, damit die Preise noch ein paar Kinozuschauer mehr in die Säle locken. Das ist in diesem Jahr nicht so. Die Pandemie hat Entwicklungen im Kino verstärkt, die es auch vor ihr schon gab. Und deswegen kann man die Hälfte der zehn Filme, die für die Haupttrophäe nominiert sind, an diesem Wochenende zu Hause auf dem Sofa sehen. Beispielsweise die beiden Favoriten: "Coda" hat sich Apple TV+ unter den Nagel gerissen, "The Power of the Dog" ist ein Netflix-Film. Im Kino sind diese Filme zwar kurz gelaufen, andernfalls würden sie sich für die Oscars gar nicht qualifizieren - aber danach landen sie schnell auf ihren jeweiligen Plattformen.

Der Filmtheaterbetrieb hat sich immer noch nicht normalisiert: Im vergangenen Jahr gingen gerade mal halb so viele Menschen weltweit ins Kino wie in den Jahren vor der Pandemie. Aber sie hat das nicht ausgelöst, nur beschleunigt. Es war vorher schon absehbar, dass einzelne Filme wie "Spider-Man: No Way Home" Massen anziehen, der Rest des Kinos aber mit rückläufigen Zuschauerzahlen zu kämpfen hat und das Kino einen immer kleineren Anteil am Gesamtumsatz der Filmbranche hat.

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Ist das Kino also am Ende, haben Filme nur noch bei den Streamingdiensten eine Zukunft? Eher nicht. Neue Filme sind zwar auf diesen Plattformen viel leichter zu haben als je zuvor - aber das heißt nicht, dass sie von mehr Leuten gesehen werden. Kinozuschauer kaufen Tickets und werden somit auch gezählt. Die Streamingdienste würden selbst dann nicht einmal verraten, wie viele Menschen einen ihrer Filme gesehen haben, wenn sie es wirklich zuverlässig wüssten. Das Geschäftsmodell läuft ja so: Statt die Zuschauer zwei Mal im Jahr mühevoll ins Kino zu locken, verkauft man ihnen eine Art Dauerkarte für den Platz auf dem eigenen Fernsehsessel, egal, ob noch drei Leute daneben sitzen oder der Fernseher nie eingeschaltet wird. Ob ein einzelner Film das Publikum besonders beeindruckt, spielt für den Umsatz gar keine Rolle, solange die Zuschauer den Streamingdienst nicht kündigen. Jetzt bereits stehen uns da jeden Abend tausende Optionen offen - kaum jemand hat da noch einen Überblick.

Verfügbar und beliebig

Bislang dominieren vier Anbieter: Amazon, Netflix, Apple TV+ und Disney+; davon gehört nur Letzterer einem traditionellen Filmstudio. Andere Studios, Warner etwa, wollen aber auch noch eigene Plattformen etablieren. Nur: Wer soll denn, zusätzlich zum Fernsehen, sieben Dienste abonnieren? So viele Filme kann niemand mehr anschauen - und je unwahrscheinlicher es ist, dass Freunde und Bekannte tatsächlich dieselben Filme aus der Flut der Empfehlungen herausgefischt haben, desto kleiner wird der Raum, den diese Filme in unserem Leben noch einnehmen. Sie sind dann keine Erfahrung mehr, die man teilt, erscheinen plötzlich als permanent verfügbar, und wie so oft geht mit der leichten Verfügbarkeit eine Entwertung einher. So ist es auch der Musikindustrie ergangen. Mit Studioaufnahmen können Musiker nicht mehr viel Geld verdienen, aber es gab einen Boom der Live-Konzerte. Das sollte der Filmtheaterbranche Hoffnung machen: Ein Kinobesuch ist etwas Besonders, noch ein Film im Fernsehen, Streaming hin, Oscarnominierung her, ist es eben nicht.

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