Großbritannien:Hello, again

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Eindeutiger Drall in Richtung West: Der britische Premier Boris Johnson. (Foto: POOL/REUTERS)

Putins Hoffnungen auf Spaltung des Westens werden auch von London enttäuscht. Denn bei allem Brexit: Das Land entdeckt in der aktuellen Krise rasant seine Nähe zu Europa wieder.

Kommentar von Alexander Mühlauer

Wenn es in der jüngeren Geschichte Westeuropas eine Zäsur gibt, die Wladimir Putin gefallen musste, dann ist es der Brexit. Der britische EU-Austritt steht schließlich sinnbildlich für das, was der russische Präsident anstrebt: die Spaltung Europas. Doch die Hoffnung in Moskau, dass der Brexit nicht nur einen Keil zwischen die verbleibenden EU-Staaten treibt, sondern auch die Nato destabilisiert, hat sich nicht erfüllt. Der Graben zwischen Großbritannien und Kontinentaleuropa ist zwar größer geworden, aber nun sorgt ausgerechnet Putin dafür, dass London wieder näher an Brüssel heranrückt.

Mit seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine hat Russlands Präsident der britischen Regierung vor Augen geführt, wie sehr die sicherheitspolitischen Interessen mit jenen der EU verknüpft sind. Seit Putins Invasion ziehen Großbritannien und die EU-Staaten an einem Strang. Geheimdienst-Informationen werden umgehend ausgetauscht, Wirtschaftssanktionen eng untereinander abgestimmt, natürlich auch mit den USA. Die westlichen Verbündeten agieren vereint, sie haben einen gemeinsamen Gegner: den Machthaber in Moskau.

Johnson und seine Minister müssen feststellen: Großbritannien ist fest in Europa verankert

Für die britische Regierung bedeutet Putins Krieg eine Abkehr von Illusionen, die der Brexit genährt hat. "Global Britain", also das Vorhaben, sich ökonomisch und sicherheitspolitisch ein Stück weit von Europa abzunabeln und sich stärker in Richtung Indo-Pazifik zu orientieren, spielt jetzt keine Rolle mehr. Premier Boris Johnson und seine Ministerriege durchlaufen in diesen Tagen einen Prozess der politischen Läuterung. Sie müssen feststellen: Großbritanniens Platz in der Welt liegt ganz eindeutig in Europa - und das nicht nur geografisch.

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Johnson dürfte mit dieser Erkenntnis kein großes Problem haben. Er gilt ja nicht zu Unrecht als extrem wandlungsfähig. Und so fällt es ihm nicht schwer, den fast schon verloren geglaubten britischen Pragmatismus wiederzubeleben, der viele seine Amtsvorgänger auszeichnete. Johnson will derzeit nichts von Fischerei-Konflikten mit Frankreich wissen. Er will den Streit um Nordirland nicht weiter anfachen. Er will, jedenfalls Stand jetzt, eine Politik machen, die sich von realpolitischen Zwängen leiten lässt - und nicht von ideologischen Hirngespinsten.

Es wäre allerdings blauäugig, darauf zu vertrauen, dass dies so bleibt. Johnson hat keinerlei Scheu davor, auf Anti-EU-Kurs umzuschalten, wenn ihm das innenpolitisch von Nutzen ist. Sollte also die Partygate-Affäre wieder hochkochen und Putins Krieg aus den Schlagzeilen verdrängen, wird Johnson alles tun, um seine eigene Haut zu retten. Ganz grundsätzlich geht es ihm darum, innerparteilich unangreifbar zu sein. Dabei hilft ihm nun sein entschlossenes Auftreten gegenüber Putin. Beispielhaft stehen dafür die frühen Waffenlieferungen an die Ukraine und Johnsons Einsatz, russische Banken aus dem Zahlungsnetzwerk Swift zu verbannen.

Johnson wäre aber nicht Johnson, wenn er nicht Gefahr laufen würde, mehr zu versprechen, als er einlösen kann. Da wäre etwa der Kampf gegen Putins Oligarchen-Freunde. Auf der Sanktionsliste der EU stehen mehr als 25 Namen, auf jener der Briten nicht mal die Hälfte. In der britischen Öffentlichkeit steigt deshalb der Druck, sich auch in dieser Frage der EU anzunähern. Da kann man nur sagen: Just do it. Im gemeinsamen Interesse.

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