#liebegewinnt:Die Doppelmoral der katholischen Kirche

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Für einen "Geist des Miteinanders": Homosexualität soll in der Kirche künftig kein Kündigungsgrund mehr sein. (Foto: Henning Kaiser/dpa)

Stur hält die Amtskirche an ihrer Lehre fest und will gleichgeschlechtlichen Paaren den Segen verweigern. Wäre sie nur genauso konsequent, wenn es um die Taten geweihter Missbrauchstäter geht.

Kommentar von Annette Zoch

Regenbögen färben in diesen Tagen vielerorts die Kirchen - sie hängen an Türmen, Altären, Emporen, sie schmücken Priestergewänder und die Hälse von katholischen Gläubigen. Segnungen homosexueller Paare gab es schon - in einzelnen Gemeinden, Hauskapellen. Neu ist aber, dass die Segnungen dieser Tage, rund um den 10. Mai, öffentlich geschehen, nicht mehr im Verborgenen. Raus aus den Hinterzimmern, rein in die Kirchenschiffe haben die Organisatoren der Aktion #liebegewinnt ausgegeben.

Mit ihrem Papier "Responsum ad dubium", Antwort auf einen Zweifel, in dem sie Segnungen für Homosexuelle kategorisch verbot, hat die römische Glaubenskongregation das Gegenteil erreicht von dem, was sie wollte: Statt eine Debatte zu beenden, hat sie diese erst so richtig angefacht und in die breite Öffentlichkeit getragen. Mehr als 2600 Priester, Ordensleute und Angehörige pastoraler Berufe unterzeichneten einen von den beiden Pfarrern Burkhard Hose und Bernd Mönkebüscher gestarteten Aufruf gegen das Segensverbot. 280 Theologie-Professoren wandten sich gegen das Papier aus Rom, auch zahlreiche katholische Verbände. In 100 Gottesdiensten in ganz Deutschland (die meisten davon im Nordwesten des Landes) wollen Priester und Seelsorger nun Paare segnen, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung. Dies soll auch ihrem Schutz dienen - je mehr Priester segnen, desto schwieriger wird es für Bischöfe und Rom, gegen sie disziplinarisch vorzugehen.

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Am heutigen Montag wollen katholische Seelsorger in ganz Deutschland homosexuelle Paare segnen. In München hat ein Priester schon damit angefangen - und die Gegner sind auch schon aktiv geworden.

Von Annette Zoch

Tiefe Gräben zwischen Konservativen und Reformorientierten

Die Kontroverse um die Segnungen für Homosexuelle zeigt einmal mehr, dass die Kirchenbasis sehr viel weiter ist als die Amtskirche. Und es ist eine Bewegung in der Breite der Kirche, ähnlich wie die Frauenreform-Gruppe Maria 2.0, die die Segnungsfeiern ausdrücklich unterstützt und in vielen Gemeinden sogar initiiert hat. Die katholischen Seelsorger, die nun öffentlich segnen, sind zwar überwiegend im großstädtischen Milieu zu finden, aber nicht nur: Auch in kleinen Landgemeinden wird gesegnet.

Deutlich wird aber auch, wie tief die Gräben sind zwischen konservativen und reformorientierten Katholiken. "Schisma, Häresie, Exkommunikation" rufen die Erzkonservativen. Die Fronten sind verhärtet, wie will man da je wieder zusammenkommen? Und dabei geht es nicht nur um die Frage, wer den Segen bekommen darf oder nicht. Auch die Frage nach dem Weiheamt für Frauen in der Kirche oder nach dem Zölibat lösen regelmäßig Bluthochdruck aus.

Auch Papst Franziskus weicht dem Thema aus

Warum stoßen sich im Jahr 2021 überhaupt so viele Menschen an einem römischen Papier, das eigentlich nur bestehende Lehre bestätigt? Das "Responsum ad dubium" ist ja kein neuer Lehrtext, und auch wenn viele das gerne anders sähen, Papst Franziskus äußert sich bisher nur vage zur Legitimität homosexueller Beziehungen - im Kern weicht er nicht von der Kirchenlehre ab.

Warum also die Aufregung? Weil die Doppelmoral mittlerweile so offensichtlich ist: Einerseits verweigert die Kirche Paaren, die ein Leben lang Verantwortung füreinander übernehmen wollen, ihren Segen. Erzieherinnen in kirchlichen Kitas, die zu ihrer Partnerin stehen wollen, müssen die Entlassung fürchten. Aber wenn es um die Taten geweihter Missbrauchstäter geht, dann zieht man sich immer noch zu oft auf rein juristische Maßstäbe zurück, wie es jüngst wieder in Köln zu beobachten war. Dann schert man sich nicht mehr um die vermeintliche Moral.

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