Machtwechsel:Israel ist reif für etwas politische Langeweile

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Die Ära Netanjahu ist vorbei - vorerst zumindest. Wirklich ruhig wird es in der israelischen Politik dadurch nicht. (Foto: dpa)

Die neue Koalition in Jerusalem wollte einzig Netanjahu aus dem Amt vertreiben - das hat sie nun vorerst geschafft. Doch ihre Mehrheit aus acht Parteien ist zu dünn, als dass wirklich Ruhe einkehren könnte.

Kommentar von Moritz Baumstieger

Das Drehbuch ist bekannt: Um den Machtverlust abzuwenden, wiegelt der Regierungschef in seinen letzten Tagen im Amt die Anhänger auf. Politiker müssen gar um ihr Leben fürchten. Freilich: Was Donald Trump nichts mehr nützte, half nun auch seinem Geistesbruder Benjamin Netanjahu nicht. Wie in den USA sehnen sich die Bürger in Israel nach einer Regierung, die in Ruhe regiert. Sie wünschen sich Normalität im Parlament und gemäßigte Töne aus dem Premiersamt. Israel ist reif für etwas politische Langeweile.

In den USA verbreitet "Sleepy Joe" Biden (Trump) diese Langweile bereits seit Monaten - kein einziger Tweet des Mannes bleibt im Gedächtnis hängen. Nun vollzieht auch Israel den Machtwechsel. Seit Freitag liegt der Knesset ein Koalitionsvertrag vor, unter dem zum ersten Mal seit zwölf Jahren nicht die Unterschrift von Netanjahu zu finden ist. Am Sonntag nun haben die Abgeordneten den Wechsel der Regierung in einer Vertrauensabstimmung besiegelt.

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Ein Acht-Parteien-Bündnis hat eine neue Regierung gebildet und den Premier nach zwölf Jahren im Amt abgelöst. Sein Nachfolger Bennett verfügt aber nur über eine knappe Mehrheit. Und Netanjahu kündigt bereits Widerstand in der Opposition an.

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Allerdings endet hier der Vergleich mit den USA. Dazu ist das Personaltableau in Israel zu schillernd und das politische System zu leicht aus der Balance zu bringen. Dass die ersehnte Langeweile nicht so schnell eintreten wird, dafür garantiert schon die eine Stimme, die dieser neuen Regierung ihre Mehrheit verschafft. Das Bündnis wird die Disziplin kaum aufbringen, alle Kräfte lange einzubinden.

Für Normalität steht das neue Kabinett schon gar nicht: Acht Parteien haben sich verbündet, von links bis rechts außen, von säkular bis konservativ-islamisch, zum ersten Mal ist auch eine arabische Liste Mitglied einer israelischen Regierung. Dieses eigentlich unmögliche Konstrukt war nötig, um Bibis Geist wieder in die Flasche zu stopfen. Die Konstellation ist anschaulicher Beleg für die Kräfte, die Israels Politik in den vergangenen Jahren zersetzt haben.

Frische Ideen? Erstmal nicht

Die kommenden Monate wird das Kabinett mit Aufräumarbeiten beschäftigt sein. Mutige Entscheidungen zu den Zukunftsthemen sind von dieser unwahrscheinlichen Koalition nicht zu erwarten. Weder in der Siedlungspolitik noch beim Problem der Entfremdung zwischen den religiösen und säkularen Lagern im Land wird die Koalition genug Kraft zum Aufbruch aufbringen. Themen der arabischen Minderheit sollen zwar angegangen werden. Doch Ideen für den festgefahrenen Konflikt mit den Palästinensern sind von einem Premier Naftali Bennett nicht zu erwarten. Er muss sich schon jetzt Verrat an der rechten Sache vorwerfen lassen.

Ihr größtes Ziel hat diese Regierung mit dem Moment der Machtübernahme bereits erreicht: Netanjahu ist der Schutz entzogen, den ihm das Amt bislang bot. Nun entscheiden Gerichte in mehreren Korruptionsprozessen über sein Vermächtnis. Das zweitwichtigste Ziel der Kabinettsmitglieder müsste deshalb lauten, trotz ihrer Differenzen zumindest so lange zusammenzustehen, bis ein Comeback des Ex-Premiers schon rein juristisch kaum mehr möglich ist.

Denn auch da ist Netanjahu seinem Freund Trump in den USA ähnlich: Ruhe wird er auch nach dem Amtsverlust nicht geben. Netanjahu wird zurück an die Macht wollen - und dafür seine Anhänger im Parlament und auf der Straße kontinuierlich anstacheln. Politische Langeweile ist in Israel nicht in Sicht, die Zeit der Spaltung noch lange nicht vorbei.

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