Wahlsieg von Viktor Orbán:Die verpasste Gelegenheit

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Ein schwarzer Tag für Europa: Bei den Wahlen in Ungarn triumphierte der Rechtspopulist Viktor Orbán. (Foto: ARIS OIKONOMOU/AFP)

Hätte die EU wirklich etwas tun können, um die Demontage der Demokratie in Ungarn zu verhindern? Die Antwort heißt: ja. Aber jetzt könnte es zu spät sein.

Kommentar von Josef Kelnberger

Der Wahlsonntag in Ungarn war ohne Zweifel ein Tiefpunkt in der Geschichte der Europäischen Union. Misst man die EU an den ursprünglichen, freiheitlich-demokratischen Ansprüchen, hat sie nur noch 26 Mitgliedstaaten. Mit Blick auf Polen könnte man sagen: 25 und einen halben.

Bei der Suche nach den Schuldigen taucht immer wieder die EU selbst auf. Hätte sie an irgendeinem Punkt der Geschichte noch verhindern können, dass Viktor Orbán den Staat zu seinen Gunsten umbaut, die Medien unter Kontrolle bringt und das Wahlrecht so ändert, dass er kaum verlieren kann? Die Antwort ist: selbstverständlich ja.

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Alle anderen Staats- und Regierungschefs hätten ihm geschlossen mit einem Rauswurf drohen müssen. Orbán hätte bestimmt nachgegeben, denn sein System lebt vom Geld der EU. Eine geschlossene Front gegen Orbán gibt es jedoch spätestens seit dem Wahlsieg der polnischen PiS-Partei 2015 nicht mehr. Die damalige Flüchtlingskrise hat den Nationalpopulisten in ganz Osteuropa Auftrieb verschafft und dient ihnen bis heute als Stoff, um ihre Wähler gegen vermeintliche westliche Eliten zu mobilisieren.

Orbán tanzt der EU auf der Nase herum

Generell vermeiden es die Regierungen der Mitgliedsländer tunlichst, einander wehzutun - schon deshalb, weil bei den wesentlichen Entscheidungen in der EU Einstimmigkeit gebraucht wird. Dass Orbán der EU auf der Nase herumtanzen kann, das ist die traurige Wahrheit, liegt auch in deren Konstruktion begründet. An der Stelle kommt Angela Merkel ins Spiel.

Die Europapolitik der langjährigen Kanzlerin wird nun genauso infrage gestellt wie ihre Russland-Politik. Sie galt als Orbán-Versteherin und hat immer wieder versucht, ihn einzubinden. Sie mag, genau wie ihre Parteienfamilie, zu nachsichtig gewesen sein. Andererseits hat sie Orbán und dem Polen Morawiecki beim letzten großen Deal, den sie einfädelte, dem gigantischen Corona-Hilfsfonds, zumindest den Rechtsstaatsmechanismus abgerungen. Er kann den Entzug von regulären Haushaltsmitteln zur Folge haben.

In der Kritik steht nun die Kommission unter Ursula von der Leyen wegen ihrer Zögerlichkeit. Sie hat erst an diesem Dienstag, zwei Tage nach der Wahl, den Mechanismus eingeleitet. Von der Leyen wollte Orbán nicht zusätzlich Stoff geben für seinen Wahlkampf mit dem Feindbild EU. Rechtsstaatsmechanismus vorher oder nachher: Beide Vorstellungen, damit ungarische Wahlen beeinflussen zu können, entsprechen einer gewissen Brüsseler Hybris. Schließlich hat es Orbáns Wählerschaft nicht einmal beeindruckt, dass die Kommission die Auszahlung von sieben Milliarden Euro aus dem Corona-Topf verweigert.

Einziger Ausweg: hart verhandeln

Vielleicht ist Zynismus die beste Haltung, um mit einem Mann wie Orbán umzugehen. Jetzt, nach der Wahl, ist die beste Gelegenheit, hart mit ihm zu verhandeln. Nachdem er so viele Wahlgeschenke verteilt hat, ist er auf die Milliarden aus Brüssel angewiesen. Und möglicherweise ist es eine gute Idee, zugleich an die polnische Regierung die 24 Corona-Milliarden auszuzahlen, um die Allianz mit Ungarn aufzubrechen.

Ohne schmutzige Kompromisse wird die EU auch künftig nicht zu steuern sein. Bei den Sanktionen gegen Putin braucht sie eine einheitliche Linie. Und wenn die EU weitere osteuropäische Staaten schneller an sich binden will, um sie Putins Einflussbereich zu entziehen, stößt sie vor allem auf zwei Probleme: mangelnde Rechtsstaatlichkeit und Korruption.

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