Kann man sich unmöglich machen, bevor man überhaupt richtig angefangen hat? Bis Montagmorgen hat die angehende Ampelkoalition viel dafür getan, sich so früh zu diskreditieren wie kein anderes Regierungsbündnis zuvor. Tagelang tat sie so, als ändere sich an der eigentlichen Pandemiebekämpfung nichts, wenn sie in dieser Woche die "epidemische Notlage von nationaler Tragweite" auslaufen lässt - sie behauptete, lediglich die Entscheidungskompetenz über Maßnahmen zurückzugeben, von der Exekutive an die Legislative.
Was sie am Montagmorgen vorlegte, hat diese Beschwichtigung dementiert - zum Glück. Nun macht sie doch wieder Maßnahmen möglich, die in ihren bisherigen Plänen nicht vorgesehen waren, vor allem Kontaktbeschränkungen und 2-G-Regelung. Grünen-Chef Robert Habeck sagte in der ARD, was dies heißt: "Lockdown für Ungeimpfte."
Ein erschreckendes Interview von Wolfgang Kubicki
Damit justiert die Ampel ihre Corona-Politik hoffentlich nicht nur nach, sondern stellt sie auch auf eine neue intellektuelle Grundlage. An der musste zweifeln, wer zuvor das Interview von FDP-Vize Wolfgang Kubicki im Spiegel gelesen hatte - ein nach wie vor lesenswertes, weil erschreckendes Dokument. Es zeigt, wohin es führt, wenn man auf der Basis eines verqueren Verständnisses von Freiheit sowie aus Rechthaberei sich die Fakten zurechtinterpretiert; nur damit sie irgendwie ins eigene Argumentationsgebäude passen.
Weil bestimmt bald der oder die Nächste mit solcher Logik kommen wird: Kubicki gab in dem Interview den großen Beschwichtiger. Er plapperte die alte Behauptung nach, zu keinem Zeitpunkt der Pandemie habe eine Überlastung des Gesundheitssystems auch nur gedroht. Selbst wenn das stimmte - es wäre nichts anderes als der Beleg, dass all die Zumutungen (Lockdown, Kontaktbeschränkungen, Maskenpflicht) zumindest ihre Wirkung hatten. Und wie die Lage jetzt ist, das berichten so viele Chefärzte und Intensivmediziner: Sie haben kaum noch freie Betten, sie weisen Patienten ab und verschieben Krebs-Operationen.
Kubicki brachte auch das Argument, mit dem viele nach wie vor 2 G ablehnen: Es gehe doch auch von Geimpften ein Infektionsrisiko aus. Ja, stimmt - aber nicht das Risiko, die Intensivstationen zu überfüllen. Dort landen fast nur die Ungeimpften. Die Befürchtung des CSU-Politikers Alexander Dobrindt, ein Chaos anzurichten, kontert er mit den Worten, Dobrindt sei "der Vorsitzende einer kleinen Landesgruppe einer künftigen Oppositionsfraktion. So what?" Es mag Themen geben, bei denen solch Kampfgockelei ganz amüsant sein mag. Corona gehört nicht dazu.
Was drei grüne Gesundheitsminister forderten, war bemerkenswert
Die bisherige Bundesregierung und die meisten Landesregierungen haben es zusammen mit den Ungeimpften zugelassen, dass die Katastrophe erneut übers Land hereingebrochen ist. Nun geht es darum, bitte schnell die richtigen Sachentscheidungen zu treffen und die richtigen Signale zu setzen.
Das beste Signal wäre nach wie vor, die "epidemische Notlage" zu verlängern - die Gefahr ist einfach zu groß, dass ihr Auslaufen vom flüchtigen Publikum verstanden wird als das, was nicht gemeint ist: Entwarnung. Die richtige Sachentscheidung ist immerhin, dass die Landtage je nach Lage in ihrem Bundesland die Regeln verschärfen dürfen: Veranstaltungen oder auch den Verkauf von Alkohol verbieten oder beschränken. Diese Forderung hatten bereits am Wochenende die grüne Gesundheitsministerin von Brandenburg sowie ihre beiden grünen Kollegen aus Baden-Württemberg und Hessen erhoben. Sie müssen eben nicht erst lernen, was es heißt zu regieren.
Grundsätzlich ist ohnehin jede Maßnahme sinnvoll, die den Kliniken hilft, sowie den Ungeimpften klarmacht, was sie anrichten. Michael Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft hat höhere Versicherungsbeiträge oder einen Selbstbehalt für ungeimpfte Corona-Patienten vorgeschlagen - sehr erwägenswert. Alle, die jetzt noch ungeimpft bleiben, geben damit ein Statement ab. Sie haben das Recht, so viel Feedback wie nur möglich zu erhalten.