Angesichts der dramatischen Corona-Lage gewinnt die Debatte über eine allgemeine Impfpflicht weiter an Fahrt. Man müsse anfangen, darüber nachzudenken, forderte der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach am Sonntagabend bei Bild TV. "Ich würde das auf keinen Fall mehr ausschließen und tendiere dazu zu sagen: Das hilft uns jetzt nicht akut, aber wir müssen uns einer Impfpflicht nähern." Anders sei die Impfquote offensichtlich nicht zu erreichen, die nötig wäre, um die Ausbreitung des Coronavirus zu stoppen.
Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Michael Theurer sagte dagegen, seine Partei halte dies für verfassungswidrig. Auch der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag, Thorsten Frei, äußerte sich sehr skeptisch. Eine allgemeine Impfpflicht dürfte "wegen des schwerwiegenden Eingriffs in das Recht auf körperliche Unversehrtheit unter den derzeitigen Rahmenbedingungen auch unverhältnismäßig und damit verfassungswidrig sein", sagte er der Welt.
Während sich zuletzt Ministerpräsidenten wie Daniel Günther (CDU, Schleswig-Holstein) und Markus Söder (CSU, Bayern) offen für eine Impfpflicht gezeigt hatten, will ihr Kollege aus dem Saarland, Tobias Hans (CDU), davon im Moment nichts wissen. "Die Impfpflicht ist nicht die Debatte, die wir jetzt brauchen", sagte er in der ARD-Sendung "Anne Will". "Jetzt bitte ich doch wirklich, alle Kraft darauf zu konzentrieren zu impfen." Jetzt sei ein Zeitpunkt, "wo die Zahlen so intensiv steigen, wo ich Menschen überzeugen kann, sich impfen zu lassen, weil sie auch merken, sie verlieren ihre Freiheiten", führte Hans aus. "Die Anreize waren nie größer als jetzt."
Nach dem Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte sprach sich auch der Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers, für eine Impfpflicht für Erwachsene aus - falls die Impfquote bis zum Frühjahr nicht entscheidend steigen sollte. Freiheit verlange Verantwortung, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Und wenn diese Verantwortung nicht wahrgenommen wird, dann brauchen wir eine Impfpflicht."
Der Präsident des Robert Koch-Instituts, Lothar Wieler, äußerte sich abwägend. Die Impfpflicht sei "ein Mittel, und da bin ich ganz bei der (Weltgesundheitsorganisation) WHO, das wir alle nicht wollen", sagte er im "Heute-Journal" des ZDF. "Es ist wirklich niemand, der gerne eine Impfpflicht haben möchte. (...) Aber wenn man alles andere versucht hat, dann sagt die WHO: Dann muss man auch über eine Impfpflicht nachdenken."
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sprach sich bei "Anne Will" dafür aus, nun zunächst vor Weihnachten zu klären, wie eine Impfpflicht in bestimmten Einrichtungen rechtssicher umgesetzt werden kann. "Und dann wird eine Debatte weitergehen, aber in der Reihenfolge." Die Bundesländer hatten den Bund gebeten, in bestimmten Einrichtungen wie Krankenhäusern und Pflegeheimen eine Impfpflicht für alle einzuführen, die Kontakt zu besonders Gefährdeten haben.
Die Präsidentin des Deutschen Pflegerats, Christine Vogler, forderte für den Fall einer Impfpflicht in Pflegeheimen eine klare Gesetzesvorgabe, "dass Pflegeeinrichtungen ungeimpften Mitarbeitern kündigen dürfen". "Wenn der Gesetzgeber fordert, dass nur Geimpfte und Genesene in Pflegeheimen arbeiten dürfen, haben die Einrichtungen gar keine andere Wahl, als sich von diesen Mitarbeitenden zu trennen", sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. "Wer zum Einfallstor für Corona im Pflegeheim wird, kann dort einfach nicht arbeiten." (23.11.2021)
Schleswig-Holstein und Sachsen verschärfen Corona-Regeln
Erneut werden in mehreren Bundesländern die Corona-Regeln verschärft. Von diesem Montag an werden im besonders betroffenen Sachsen weite Teile des öffentlichen Lebens eingeschränkt. Außer Bibliotheken bleiben alle Kultur- und Freizeiteinrichtungen, Bars, Clubs und Diskotheken geschlossen. Keine Einschränkung gibt es für Geschäfte der Grundversorgung. Zudem gelten in sächsischen Corona-Hotspots zusätzliche Ausgangsbeschränkungen für ungeimpfte Menschen. Diese dürfen, sobald im jeweiligen Landkreis die Wocheninzidenz bei mehr als 1000 liegt, zwischen 22 und sechs Uhr nicht mehr ohne triftigen Grund vor die Tür gehen.
In Schleswig-Holstein greift von heute an eine neue Landesverordnung: Bei Freizeitveranstaltungen gilt drinnen 2 G, also Zugang nur für Geimpfte und Genesene. In Baden-Württemberg dürfen Ungeimpfte von Montag an im Schwarzwald-Baar-Kreis, im Ostalbkreis und im Landkreis Biberach zwischen 21 Uhr und fünf Uhr nur noch aus triftigem Grund ihre Wohnungen verlassen. (22.11.2021)
Corona-Pandemie:Warum der Alpenraum ein Impfproblem hat
Deutschland, die Schweiz und Österreich haben in Westeuropa die niedrigste Impfquote. Religionswissenschaftler Michael Blume erklärt, wo Menschen besonders anfällig für Verschwörungsmythen sind - und was das mit den Bergen zu tun hat.
Inzidenzwert steigt auf 386,5
Die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz ist erneut auf einen Höchststand gestiegen. Das Robert-Koch-Institut (RKI) gab die Zahl der Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner und Woche am Montagmorgen mit 386,5 an. Zum Vergleich: Am Vortag lag der Wert bei 372,7, vor einer Woche bei 303,0, vor einem Monat bei 95,1. Die Gesundheitsämter in Deutschland meldeten dem RKI binnen eines Tages 30 643 Corona-Neuinfektionen.
22 Landkreise haben inzwischen eine Inzidenz von mehr als 1000. Bei den Bundesländern weisen Bayern (640,0), Thüringen (648,1) und Sachsen (960,7) die höchsten Werte auf. Deutschlandweit wurden laut RKI binnen 24 Stunden 62 Todesfälle verzeichnet. Vor einer Woche waren es 43 Todesfälle gewesen. (22.11.2021)
Kinder- und Jugendärzte fordern Impfpflicht
Angesichts der vierten Corona-Welle fordert der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte eine allgemeine Impfpflicht für Erwachsene. Dies sei auf der Delegiertenversammlung am Sonntag in einer Resolution beschlossen worden, teilte der Verband mit. "Impfungen tragen zu einer Rückkehr zur Normalität und zur Wiedereinsetzung der Grundrechte aller Bürger, aber insbesondere der Grundrechte der Kinder und Jugendliche bei", heißt es in der Mitteilung.
Verbandspräsident Thomas Fischbach sagte demnach, Kinder und Jugendliche hätten seit Beginn der Pandemie die größten Opfer gebracht. Unter den Lockdown-Maßnahmen hätten sie mehr gelitten als andere Gruppen. "Viele haben psychosoziale Störungen entwickelt, Adipositas, Spielsucht und Lernrückstände." Vor allem Kinder aus sozial prekären Familien hätten gelitten - und litten weiterhin. "Das können wir nicht länger hinnehmen als Gesellschaft, wenn wir nicht eine ganze Generation verlieren wollen." (21.11.2021)
- Kinder- und Jugendmedizin - "Wir haben Tage gehabt, da konnten wir kein neues Kind aufnehmen" (SZ Plus)
Kindermediziner warnen vor neuerlichen Schulschließungen
Angesichts der verschärften Maßnahmen zur Eindämmung der vierten Corona-Welle haben Kinder- und Jugendmediziner vor erneuten Schulschließungen gewarnt. "Ich plädiere dringend dafür, den Schulbetrieb während der gesamten vierten Welle aufrechtzuerhalten", sagte der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ), Jörg Dötsch, der Rheinischen Post.
Er verwies auf Untersuchungen, wonach die Ansteckung bei Kindern und Jugendlichen eher nicht in den Schulen, sondern hauptsächlich im familiären Umfeld erfolge. Die Schulen trügen im Gegenteil dazu bei, Infektionen bei Kindern zu kontrollieren - vor allem das regelmäßige Testen, Masketragen und die Hygienemaßnahmen seien dabei ausschlaggebend.
Dötsch begrüßte die klare Absage der Ampel-Parteien an erneute Schulschließungen. Es sei zu hoffen, dass sie sich auch dann noch daran erinnerten, wenn sich die Lage weiter verschärfe und weitergehende Maßnahmen notwendig werden sollten. (21.11.2021)
Biontech-Gründer: Impfschutz nach neun Monaten noch sehr hoch
Der Schutz vor einer schweren Corona-Erkrankung ist beim Biontech-Impfstoff nach Angaben von Unternehmensgründer Uğur Şahin bis zum neunten Monat sehr hoch. Dies zeigten kürzlich veröffentlichte Studien, sagte Şahin der Bild am Sonntag. Der Impfschutz beginne aber "ab dem vierten Monat" abzunehmen.
Şahin sprach sich für Auffrischungsimpfungen aus. "Ein Booster schützt zum einen den Geimpften sehr gut vor Erkrankung, er hilft aber auch, weitere Ansteckungsketten zu unterbrechen." Das könne uns über den anstehenden schwierigen Winter helfen. Şahin sagte dem Bericht zufolge: "Wichtig ist die Tatsache, dass die dritte Impfung den Schutz wieder anhebt. Entsprechend erwarten wir, dass er länger anhält als der Schutz nach der Doppelimpfung und nachfolgende Auffrischimpfungen vielleicht nur jedes Jahr - ähnlich wie bei Influenza - gebraucht werden." (21.11.2021)
Kritik an Spahn wegen Biontech-Obergrenze
Das Bundesgesundheitsministerium sieht sich wegen geplanter Bestellbeschränkungen für den Corona-Impfstoff von Biontech zu Gunsten des Präparats von Moderna scharfer Kritik aus den Ländern ausgesetzt. Schleswig-Holsteins Gesundheitsminister Heiner Garg (FDP) warf dem geschäftsführenden Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vor, er rationiere mit Biontech ausgerechnet den Impfstoff mit der höchsten Akzeptanz in der Bevölkerung. Entsprechende Kritik kam auch vom baden-württembergischen Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne), der von einem "fatalen Signal" sprach. Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) protestierte ebenfalls. Das sei inakzeptabel, sagte er der Deutschen Presse-Agentur in München. Die Präsidentin der Ärztekammer Niedersachsen, Martina Wenker, bezeichnete den Plan als eine "weitere Fehlorganisation" durch den geschäftsführenden Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Die Kinder- und Jugendärzte in Niedersachsen schlossen sich der Kritik an.
Das Bundesgesundheitsministerium hatte in einem Schreiben an die Länder für die nächsten Wochen Begrenzungen bei Bestellmengen für den Impfstoff von Biontech/Pfizer angekündigt, damit das Präparat von Moderna bei den Auffrischungsimpfungen vermehrt zum Einsatz kommt. Andernfalls drohten eingelagerte Moderna-Dosen ab Mitte des ersten Quartals 2022 zu verfallen, was vermieden werden müsse. Praxen sollen demnach vorerst maximal 30 Dosen Biontech pro Woche bestellen können, Impfzentren und mobile Impfteams 1020 Dosen. Für Bestellungen von Moderna soll es keine Höchstgrenzen geben.
Spahn reagierte inzwischen auf die Kritik: Er bedaure den zusätzlichen Stress für die "engagierten Helferinnen und Helfer vor Ort in den Arztpraxen und Impfzentren", wies aber darauf hin, dass sich das Lager mit Biontech-Impfstoff aufgrund der großen Nachfrage sehr schnell leere. Allein in der neuen Woche würden fast sechs Millionen Dosen an die impfenden Stellen geliefert. Aus Deutschland gehen überdies voraussichtlich fast 8,8 Millionen Dosen Biontech über die Initiative Covax als Spende an Drittstaaten. Spahn versicherte, dass trotzdem jeder, der sich impfen lassen will, einen guten, sicheren und wirksamen Impfstoff bekomme.
"Das Hauptproblem ist, dass wir den Moderna-Impfstoff nach der neuesten Stiko-Empfehlung bei bestimmten Personengruppen nicht einsetzen dürfen", sagte Martina Wenker der dpa. Er sei gut, effektiv und hervorragend geeignet für über 30-Jährige, aber "alle unter 30 Jahre - Kinder, Jugendliche und Erwachsene und zudem alle Schwangeren - müssen mit Biontech geimpft werden." Die Arztpraxen hätten ihre Patienten teils auf Wochen vorbestellt und entsprechend Impfstoff von Biontech bestellt. "Jetzt soll die gesamte Impflogistik schlagartig umgestellt werden. Das geht nicht", warnte Wenker mit Blick auf die unterschiedlichen Größen- und Dosierungsbedingungen der Impfstoffe Biontech und Moderna. (20.11.2021)
RKI-Chef Wieler warnt vor fünfter Welle
Lothar Wieler, der Chef des Robert-Koch-Instituts, warnt vor einer fünften Corona-Welle. Wenn die Impfquote weiter so niedrig bleibe, könne die wellenartige Pandemie-Ausbreitung weitergehen, sagte der RKI-Chef der Deutschen-Presse-Agentur. Es sei bitter, dass sich bisher nicht mehr Menschen für einen Schritt entschieden hätten, mit dem die Pandemie leicht hätte bekämpft werden können.
Es gelte nun, große Feiern, Großveranstaltungen und Menschenansammlungen in Innenräumen unbedingt zu vermeiden. "Die Auswirkungen davon würde man nach zwei Wochen an den Infektionszahlen sehen", sagte Wieler. Auch in den bisher vergleichsweise nicht so stark betroffenen Bundesländern müsse man vorbeugen. Dort habe man "mit Kontaktbeschränkungen die Chance, die Zahlen auch niedrig zu halten. Dort, wo die Zahlen hoch sind, ist es eigentlich sehr spät, wenn nicht zu spät", sagte der RKI-Präsident.
Das RKI strebt eine Impfquote von mindestens 85 Prozent bei den 12- bis 59-Jährigen und von 90 Prozent bei den Senioren ab 60 Jahren an. Der RKI-Chef gestand ein, dass die Ziele der Impfkampagne in der Öffentlichkeit mitunter schwierig zu kommunizieren seien. "Was von manchen Menschen vielleicht nicht so ganz verstanden wird, ist, dass es keinen hundertprozentigen Schutz gibt und dass der Schutz vor Infektion nicht so hoch ist wie der vor schwerer Erkrankung."
Die Steigerung von Impfaktivitäten wirke sich nicht so schnell auf die Fallzahlen aus wie das Verringern von Kontakten. Das Impfen wirke mittelfristig. "Der Impfstoff ist der Weg aus der Pandemie. Aber es ist deshalb nicht so, dass andere Maßnahmen völlig vernachlässigt werden können", sagte Wieler.
Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hatte Wieler bereits am Freitag drastische Worte gefunden. "Ganz Deutschland ist ein einziger großer Ausbruch," hatte Wieler gesagt. Deutschland sei in einer nationalen Notlage, in manchen Regionen könne die medizinische Versorgung nicht mehr gewährleistet werden. Große Beachtung fand auch das Video einer Telefonschalte mit sächsischen Politikern, die Wieler mit mahnenden Worten über die Lage informierte. "Jeden Tag sterben derzeit 400 Menschen und wir können das nicht mehr verhindern", hatte Wieler gesagt. ( 20.11.2021)
5,6 Millionen Menschen in Deutschland "geboostert"
In Deutschland haben mittlerweile 5,6 Millionen Menschen eine Auffrischungsimpfung gegen das Coronavirus erhalten. Allein in dieser Woche seien bisher 1,7 Millionen Bürger "geboostert" worden, teilte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) auf Twitter mit. "Das Tempo nimmt weiter zu, danke an alle, die mithelfen, es weiter zu steigern!"
Nach Angaben des Robert Koch-Instituts kamen allein am Freitag 357 000 sogenannte Booster-Impfungen hinzu. Insgesamt wurden an dem Tag 475 000 Impfdosen gegen Corona gespritzt (Stand: Samstag, 9.08 Uhr.) 56,5 Millionen Menschen und damit 67,9 Prozent der Gesamtbevölkerung sind mittlerweile vollständig gegen das Coronavirus geimpft. 58,6 Millionen Menschen wurden mindestens einmal geimpft. Das entspricht einer Quote von 70,4 Prozent. (20.11.2021)