WDR-Themenabend zu Rassismus:Weil sie wollen müssen

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Ein Talk hier und da löst noch lange nichts: Aber Till Nassif, Roxanna-Lorraine Witt, Svenja Flaßpöhler und Aladin El-Mafaalani (v. l. n. r.) haben es wenigstens versucht. (Foto: Claus Langer/WDR)

Bei einem Themenabend über Rassismus gibt sich der WDR geläutert und selbstkritisch. Aber wieder geht es nicht ohne Rumpeln.

Von Christiane Lutz

Da sitzen sie nun also, vor regenbogenfarbenem Hintergrund und dem Schriftzug "Warum hat Rassismus mit uns allen zu tun?" und finden auch keine einfache Antwort auf die Frage des Moderators Till Nassif: "Wie mache ich es denn jetzt richtig?"

Zweieinhalb Stunden hat der WDR am Donnerstagabend im Programm freigeräumt, um mit Menschen zu diskutieren, die von Rassismus betroffen sind, und nicht nur über sie zu reden. Dass sie da überhaupt sitzen wollen, ist erstaunlich, nach allem, was dem vorausging.

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Das Ganze ist natürlich ein Wiedergutmachungsversuch des WDR. Eine Reaktion auf die Sendung Die letzte Instanz, die Ende Januar zum wiederholten Mal ausgestrahlt wurde und in der ausschließlich weiße Gäste heiter darüber diskutierten, was man eigentlich noch sagen dürfe. Ein wohliges Im-eigenen-Saft-Schwimmen war das, jetzt schon ein peinlicher Tiefpunkt des öffentlich-rechtlichen Fernsehens 2021.

Den ursprünglichen Sendungstitel hatte man dann noch schnell entfernt

Sechs Gäste waren nun für den Themenschwerpunkt Rassismus angekündigt, kurz vor der Live-Sendung haben drei Expertinnen zurückgezogen. In der Sendung erklärt Moderator Nassif, die Frauen hätte unter anderem der ursprüngliche Titel gestört: "Freiheit, Gleichheit, Hautfarbe!", den man (zu Recht, weil selten dämlich) dann noch schnell entfernt hat. Die Journalistin Hadija Haruna-Oelker, eine der Frauen, schreibt auf Twitter, das stimme so nicht, sie sollte medienkritisch über Rassismus sprechen. Dann habe man ihr mitgeteilt, dass sich daran etwas geändert habe, zudem sei sie nicht recht über den Ablauf der Sendung informiert gewesen. Mit Sheila Mysorekar, der Vorsitzenden des Vereins Neue deutsche Medienmacher, und der Wissenschaftlerin Roxanna-Lorraine Witt findet der WDR zwar rasch Ersatz. Aber die Absage zeigt, wie kompliziert die Debatte um Rassismus inzwischen ist und wie vermint das Gelände für alle, die vermeintlich Gutes wollen.

Der WDR gibt sich jedenfalls reumütig und lernfähig, auch Programmdirektor Jörg Schönenborn sitzt auf der Bühne. Er sagt, es sei "beschämend" gewesen, nachdem ihm aufgegangen war, wie verletzend ein Gespräch über den Namen einer Grillsoße auf Roxanna-Lorraine Witt, Wissenschaftlerin und Sinteza, gewirkt haben könnte. Witt ist ziemlich sauer: Zu sagen, dass sich jemand verletzt gefühlt haben könnte, sei falsch, weil es suggeriere, es sei eine Frage der Empfindlichkeit. Es sei aber einfach Rassismus.

Wo die Grenze zwischen Empfindlichkeit und Rassismus verläuft, versucht die Philosophin Svenja Flaßpöhler anzusprechen. Debatten darüber, ob nur eine schwarze Frau eine schwarze Autorin übersetzen dürfe, wie jüngst tatsächlich geführt im Fall der Lyrikerin Amanda Gorman, brächten niemanden weiter, im Gegenteil, "da verliert man Menschen, die antirassistisch sind". Flaßpöhler fungiert hier als schlaue Version der plumpen Soßenverteidiger der letzten Sendung, ihre Kritik wird aber direkt niedergebügelt. Es gehe darum, argumentiert Witt, schwarzen Übersetzern Zugang zu Positionen zu verschaffen, die sie jahrhundertelang nicht hatten.

Es ist anstrengend und es macht Arbeit, miteinander zu reden. Ein Talk hier und da löst noch lange nichts

Und wie dorthin kommen? Sheila Mysorekar, Vorsitzende des Vereins Neue deutsche Medienmacher, fordert mehr Diversität in den Redaktionen. Soziologe Aladin El-Mafaalani plädiert für eine gesunde Streitkultur, "denn wenn immer mehr Leute am Tisch sitzen und was vom Kuchen wollen und am Ende gar das Rezept infrage stellen, wird es ungemütlich".

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So unsäglich der Anlass dieser Runde ist und so sehr das Ganze nach Reinwaschungsaktion des WDR riecht: So ehrenwert ist es doch, dass sich die Teilnehmenden dem aussetzen. Es ist laut, es ist anstrengend und es macht Arbeit, miteinander zu reden. Weil, Überraschung, auch Betroffene erleben Rassismus unterschiedlich. Ein Talk hier und da löst noch lange nichts. So dämmert auch Till Nassif irgendwann, dass er an dem Abend keine knackige Antwort auf seine Frage bekommt, wie es die "normalen Leute", die zuschauen, denn "richtig" machen können.

Roxanna-Lorraine Witt lässt Programmdirektor Schönenborn dann auch nicht davonkommen, als der von der bunten Welt redet, in der wir leben. "Sind Sie auch bereit, Sendezeit frei zu machen? Führungspositionen frei zu machen?", fragt sie. Er: "Die Antwort ist: Ja!" Daran wird er sich jetzt messen lassen müssen.

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