USA:"New York Times" fällt auf Hochstapler herein

Lesezeit: 4 min

Die "New York Times" hat schwere Fehler bei einem erfolgreichen Podcast über die Dschihadistenmiliz Islamischer Staat einräumen müssen. (Foto: Johannes Eisele/AFP)

Die renommierte US-Zeitung ist offenbar von einem Schwindler getäuscht worden. Der Mann hatte sich als IS-Kämpfer ausgegeben - und einer Reporterin für einen Podcast grausige Märchen erzählt.

Von Willi Winkler

Der Hochstapler möchte immer etwas Besseres sein - schöner, größer und möglichst sehr, sehr reich. Es geht um sein Ansehen in der Welt und wie es sich verbessern ließe, egal wie. Im Familiengeschäft in einem Vorort von Toronto mitzuarbeiten, ermöglicht zwar eine solide Existenz, aber keine, die einem dieses bessere Ansehen verschaffen würde. Als Shehroze Chaudhry 2016 vom Studium an der pakistanischen Universität in Lahore nach Kanada zurückkehrte, behauptete er, er sei bei der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) in Syrien gewesen. Über Facebook verkündete er: "Ich bin der größte Stachel im Fleisch der hiesigen Ungläubigen", verkaufte aber weiter Döner.

Der Reporterin Rukmini Callimachi von der New York Times, die bereits aus dem Krieg im Irak berichtet hatte, gelang es über Mittelsmänner, Chaudhry zu sprechen. Chaudhry nannte sich jetzt Abu Huzayfah und erzählte mit viel Liebe zum Detail, wie er als einer der IS-Kämpfer Feinde und Ungläubige umgebracht hatte. "Das Blut war warm, es spritzte überall. Wir haben ihn dann am Kreuz aufgehängt."

Callimachi hatte keine Zweifel an dieser Schilderung, denn schließlich waren das "Details, die nur er wissen konnte". Diese Einzelheiten kannte tatsächlich niemand außer Huzayfah, denn er hatte sie höchstpersönlich erfunden. In einem Interview mit dem Guardian erklärte Callimachi 2018 Huzayfahs Bekenntnisse als Versuch, sich zu seiner Schuld zu bekennen, "weil ihn seine Taten arg belastet haben". Sie habe die Beichte des vermeintlichen Terroristen als "edelmütige Tat" empfunden. In einem kühnen Vergleich sah sie sich damit offenbar in einer Situation wie im Nachkriegsdeutschland die Fans von Hitlers bekennungseifrigem Rüstungsminister Albert Speer. Für die Reporterin war Huzayfah "nicht der Nazi, der behauptet, den Holocaust hat es nie gegeben, sondern der Nazi, der bereit ist, sich einem Gespräch zu stellen, und dabei Rechenschaft über seine Taten ablegt".

Nicht nur Callimachi glaubte die grausigen Märchen aus dem noch grausigeren Orient. Die Redaktion der New York Times war begeistert und wollte die Geschichte so gut es geht vermarkten. Es entstand der mehrteilige Podcast "Caliphate", eines der ganz großen Prestige-Projekte der Zeitung in den vergangenen Jahren, der als erfolgreicher Einstieg in die Multimedia-Zukunft galt, ein Traum.

Kreuzigen, foltern, enthaupten: Es war der islamische Terrorismus, wie er aus Serien wie Homeland so vertraut ist, dass die Geschichte einfach wahr sein musste. Wenn ein angeblicher IS-Schlächter auf die Frage, wie er sich denn auf seine Hinrichtungen vorbereite, bereitwillig schildert, wie er an Puppen übte, dann lässt das Bedürfnis nach einem Faktencheck offenbar schnell nach. Es war der Experte, der mit unbezweifelbarer Sachlichkeit erläuterte, "dass man wissen muss, wie man das Messer an einem Menschen ansetzt". Es sei letztlich "so ähnlich wie bei einem Medizinstudenten", also "aufschlitzen, enthaupten, erstechen, alles eine Frage der Übung". In der Branche gilt diese Art der Berichterstattung als terror porn, aber das war für die Zeitung kein Grund, nicht nach dieser Vorgabe zu berichten .

Der Podcast "Caliphate" - der nichts mit der gleichnamigen aktuellen schwedischen Netflix-Serie zu tun hat - wurde mehrere Millionen Mal aufgerufen und 2019 mit dem angesehenen Peabody Award ausgezeichnet. Rukmini Callimachi wurde zum vierten Mal für den Pulitzer-Preis vorgeschlagen.

Sehr bald hatte es jedoch Zweifel an ihrer Geschichte gegeben. Die Stempel in Chaudhrys Pass stimmten nicht mit seinen Erzählungen überein. Die Fotos aus Syrien, die er vorwies, waren vor seinem angeblichen Aufenthalt dort entstanden. Chaudhry nahm einen Teil seiner Beichte zurück, behauptete, er sei bei den geschilderten Exekutionen nur als Augenzeuge dabei gewesen. Im Parlament in Ottawa kam die Anfrage, warum sich ein bekennender Terrorist und Mörder in Kanada frei bewegen dürfe. Im vergangenen September wurde er verhaftet und wegen "geschwindelter terroristischer Taten" angeklagt. Die New York Times gab eine interne Untersuchung in Auftrag, die am Freitag zu einem verheerenden Ergebnis gelangte: Die Zeitung war auf einen Hochstapler hereingefallen.

Die offizielle Erklärung war vornehmer formuliert, die Geschichte habe nicht "den für die Berichterstattung der Times üblichen Maßstäben entsprochen". Der Chefredakteur Dean Baquet wollte allerdings Callimachi nicht die Alleinschuld an dem Debakel geben. "Hier hat nicht eine einzelne Reporterin versagt, sondern das ganze Haus." Anders als sonst in der Zeitung war die Verifikation für diesen Podcast lax gewesen, dafür aber, wie die konkurrierende Washington Post mutmaßte, die Freude über das neue Tool umso größer.

Baquet, der in den vergangenen Monaten bereits einige Turbulenzen in der Redaktion zu überstehen hatte, zeigte sich selbstkritisch: "Wir waren in die Tatsache verknallt, dass wir ein IS-Mitglied gefunden hatten, das in der Lage war, sein Leben im Kalifat und seine Verbrechen zu schildern", erklärte er in einem Interview im National Public Radio. "Wir waren so verknallt, dass wir auch nicht aufmerksam wurden, als wir Beweise dafür hatten, dass er einiges erfunden hatte."

Die New York Times hat den Peabody Award inzwischen zurückgegeben. Rukmini Callimachi wurde innerhalb der Redaktion versetzt und soll sich nicht mehr mit Terrorismus befassen. Auf Twitter entschuldigte sie sich wie ein Schulmädchen für "Nachlässigkeit und Fehler". Außerdem: "Ich verspreche, es in Zukunft besser zu machen."

Und US-Präsident Donald Trump ließ es nicht an Schadenfreude mangeln: "Mit mir machen sie das jeden Tag", twitterte er über seine Feinde von der New York Times . "Ich warte auf eine Entschuldigung." Für den Hinweis, dass sich einer seiner ehemaligen Berater auf Callimachis Podcast berufen hatte, um eine Welle von IS-Anschlägen in den USA zu prophezeien, war in dem Tweet kein Platz mehr.

Der nächste Gerichtstermin für Shehroze Chaudhry, den vermeintlichen IS-Helden Abu Huzayfah, ist für den 25. Januar angesetzt. Ihm drohen fünf Jahre Haft.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusNew York Times
:"Wir waren wie Fischer, die ihre Netze gut vorbereitet hatten"

Mark Thompson hat die New York Times in den vergangenen acht Jahren geprägt wie kaum ein anderer: Keine Zeitung ist in der digitalen Welt erfolgreicher als die "Times". Nun geht er. Ein Zoom-Treffen mit dem großen Manager des Wandels.

Von Caspar Busse und Hannes Vollmuth

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: