Der 17. November 1985 war auch ein Sonntag, traditionell also der Wochentag, an dem sich das Volk abends vor dem Fernseher zusammenkuschelt wie auf einem großen Bärenfell. Seit 1985 misst die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) die Einschaltquoten für die Fernsehsender, und gleich in den ersten Monaten ihrer Arbeit registrierte sie sensationelle Werte.
Eine Sendung namens "Schwarzwaldklinik" brach Rekord um Rekord, und den Gipfel erklomm Dr. Brinkmann eben an jenem Novemberabend vor 29 Jahren. 27,97 Millionen Zuschauer saßen vor den Apparaten, wie das damals noch hieß, und schauten Episode Nr. 7 ("Die Schuldfrage"). Das wollte niemand verpassen.
Vergleichbare Werte
Da hört sich die Zahl von 34,65 Millionen Zuschauern, welche die Fernsehexperten der Nürnberger GfK im Zusammenhang mit dem WM-Finale Deutschland gegen Argentinien (1:0) ermittelt haben, gar nicht mehr so mächtig an. Und doch ist es der höchste Wert der Geschichte.
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Der eine übt professionelle Distanz, dem anderen ist selbige völlig egal. Einer verschwindet, der nächste macht sich mal locker. Diese WM hat viele Moderatoren- und Expertentypen gesehen. Eine Analyse von Kahn bis Müller-Hohenstein.
Laut GfK sind beide Zahlen tatsächlich direkt miteinander vergleichbar, obwohl die Bundesrepublik heute um fünf Bundesländer und damit rund 20 Millionen Menschen größer ist als damals, obwohl heute in gut zwei Millionen Haushalten mehr als vier Fernseher stehen. "Beides sind Zuschauerzahlen, sie sind vergleichbar", sagt Jan Saeger von der GfK. Die Gesellschaft misst wie eh und je die Quote, indem sie TV-Geräte in 5000 Haushalten mit Zusatzmodulen bestückt, die das Seh- und Umschaltverhalten speichern.
Und trotzdem kommt man so nicht weiter. Schon die Bezeichnung Fernsehgerät ist nicht mehr eindeutig. Früher war das der Kasten, auf den man drückte, wenn Karl-Heinz Köpcke rausgucken sollte. Heute? Ist ein Tablet mit ARD-App ein Fernseher oder ein Computer, ist ein Smartphone mit Livestream ein Telefon- oder TV-Gerät? Und wo bleiben die Millionen, die auf Fanmeilen in München, Berlin und Hamburg, in den Kinos von Singen bis Solingen, in Kneipen oder vor dem Beamer im Schützenzelt zugesehen haben?
Die alle würden nicht erfasst, sagt Jan Saeger. Fliegen unterm Messradar. Sonst hätten ja mindestens 45 Millionen nicht geschaut, was auch abzüglich aller Menschen ohne selbstbestimmtes Seh- und Umschaltverhalten sowie Fußballhasser ein absurder Wert wäre.
Zahlen für die Charts-Gesellschaft
Die Zahl von 34,65 Millionen TV-Zuschauern ist somit einfach nur noch eine Zahl. Etwas zum Spielen für die Charts-Gesellschaft. Das Erste kann jetzt sagen, dass bei seiner Übertragung des Endspiels noch mehr Menschen zugeschaut haben als beim Halbfinale im Zweiten (32,57 Millionen). Die GfK-Daten sind Hochrechnungen aus der repräsentativen Erfassung von "5000 Haushalten in Deutschland mit Haupteinkommensbeziehern deutscher Nationalität oder EU-Nationalität, also deren Mitglieder und Besucher". Heißt: Privates Viewing auf Nachbars Couch ist erfasst, Public Viewing auf dem Rathausplatz nicht. Und Argentinier waren bei der Zählung ganz raus.
Die absolute, echte Zuschauerzahl, räumt die GfK ein, hätte sich nur durch eine Vollerhebung ermitteln lassen, durch eine Volkszählung in 120 Minuten. Doch wer hätte sich da schon zum Zählen bereit erklärt? Vermutlich nur Menschen, die vor 29 Jahren auch die Schwarzwaldklinik verpasst hätten.