TV-Kritik: Anne Will:Brüderle kümmert sich

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Ein bisschen von allem, meistens aber mit ausschweifender Erklär-Rede: Der bislang wirkungslose Wirtschaftsminister Brüderle lavierte sich durch die ARD-Talkshow von Anne Will. Das reizt zu bissigen Fragen.

Hans-Jürgen Jakobs

Als er im November 2009 seine Minister-Antrittsrede hielt, brauchte der Neue ganze neun Minuten. Elf Jahre hatte er gekämpft für seinen Traumjob als Bundeswirtschaftsminister, und dann diese Kurz-Nummer! Die Koalition kämpfe für den Mittelstand, verkündete er.

"Bewusste Vertuschung oder fehlendes Wissen?", befragt TV-Talkerin Anne Will ihren hohen Gast Rainer Brüderle zu einer seiner Weich-Aussagen. (Foto: dpa)

In der Wirtschaftskrise wiederum machte Rainer Brüderle, 64, durch vorschnelle Orakeleien, die Griechenland-Hilfe werde teurer als gedacht, die Kanzlerin nervös. So war sie wohl recht froh, dass in der entscheidenden Sitzung zum Euro-Rettungsschirm nicht der etatmäßig zuständige FDP-Mann den erkrankten Finanzminister vertrat, sondern Innenminister Thomas de Maizière den Job übernahm.

Und jetzt sitzt der Mann, den sie in der Politik schon mal als "Brüderle Leichtfuß" oder "Schnelles Brüterle" verspotten, bei Anne Will in der ARD. Er soll etwas zu Spekulanten und Gegenmaßnahmen sagen, zum Thema: "Erst zocken, dann abkassieren". Das ist für den einstigen rheinland-pfälzischen Wirtschaftsminister offenkundig nicht leicht. Immerfort stellt Brüderle nach einer Moderatoren-Frage selbst lauter Fragen, oder er gibt sich langatmigen Erklärungen hin.

Möchte die Talkgastgeberin beispielsweise wissen, ob die Regierung chaotisch arbeite, verneint dies Brüderle mit Blick auf die "globalisierte Welt". Und sagt ganz weltmännisch: "Wir brauchen den D'accord." All die eingeleiteten Maßnahmen wie Verbot von Leerverkäufen listet Brüderle amtlich korrekt auf. "Die Regierung handelt", bilanziert der Wirtschaftsminister. Als Anne Will doch mehr zum Chaos wissen möchte, erinnert sich Brüderle immerhin, dass der Start nicht gut gewesen sei - und dass man eine Melodie in einer Tonart singen müsse.

Das ist Brüderles Grundtenor in dieser Sendung: Er kümmert sich. War gerade mal in Brüssel. Bringt es auf den Weg. Aber von Deutschland aus könne man natürlich in New York und London leider nichts machen. Bei solchen Ausführungen bleibt der Mann durchgehend fröhlich. Provozieren lässt er sich nicht. Sein Naturell ist gefürchtet, weshalb er oft nach seiner Bewährung als Weinbauminister gefragt wird. In Rheinland-Pfalz war Brüderle als Wirtschaftsminister einst auch für Winzer zuständig. In Washington wiederum hat der Kaufmannssohn bei einer seiner vielen Reisen den Merksatz hinterlassen: "Ich kenne die Welt hinter der Theke, nicht nur an der Theke."

Phänomen Problembär

Bei Anne Will ist sein Kästchen mit der Aufschrift "Aphorismus" leer. Es fällt ihm schwer zu sagen, ob er für oder gegen die Finanztransaktionssteuer ist. Wenn es gelänge, sie auf Derivate und Computerhandel zu beschränken, ja, dann sei das sinnvoll, führt Brüderle aus, aber in Wirklichkeit müssten in einem solchen Falle ja alle Bürger zahlen. Und das wolle die FDP nicht. Da sei eine Finanzaktivitätssteuer auf Gewinne und Boni der Banken besser.

Im Vergleich zum langatmig lehrenden Brüderle wirkt der Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin hochkonzentriert. Die Bundesregierung mache einen "getriebenen Eindruck", erklärt er und rechnet vor, dass die brüderliche Bankenabgabe nur eine Milliarde Euro im Jahr brächte, die Finanztransaktionssteuer dagegen zwölf Milliarden Euro. Sie träfe die Richtigen, und die anderen Bürger müssten kaum etwas bezahlen. Der Wirtschaftsminister ("aber, aber") dringt nicht mehr durch, als Trittin ungerührt eine Mehrheit im Europäischen Rat für die Finanztransaktionssteuer fordert. Die Konservativen in Luxemburg und Österreich sähen das auch so, Brüderle solle sich dem doch einfach anschließen.

Aber was ist schon einfach in der Welt des Wirtschaftsministers? Nichts. Rainer Brüderle klappert mit den Augenwimpern, als suche er so Beistand von oben. "Ich versuche, es zu erklären ..." Dann warnt der Minister, London könne im Fall einer europäischen Finanztransaktionssteuer alle Finanzgeschäfte an sich ziehen. Als Trittin ihm mal so eben vorhält, hohe Einkommen sollten nicht mehr steuerlich als Betriebsausgabe absetzbar sein, entfährt ihm nur: "Falsche Reaktion".

Naturgemäß hat ein Wirtschaftsminister in Berlin kaum Kompetenzen. Wo aber Karl-Theodor zu Guttenberg das Vakuum immerhin mit einem gewissen freiherrlichen Stil verschwinden ließ, ist inzwischen wieder - wie damals bei Michael Glos - vom "Phänomen Problembär" die Rede. Brüderle ist unter Druck, selbst wenn Parteichef Guido Westerwelle ihm gute Arbeit attestiert.

"Bewusste Vertuschung oder fehlendes Wissen?", befragt Moderatorin Will einmal ihren hohen Gast zu einer seiner Weich-Aussagen. Offenkundig reizte sie die luftige Art des "Mister Little Brother", wie Brüderle auf einer Asien-Reise einmal vorgestellt wurde, zu größer werdenden Bissigkeit.

Der einstige VW-Chef Daniel Goeudevert kann bei Anne Will mit der deutschen Bedächtigkeit nichts anfangen. Er fragt sich, warum immer wieder Banken gerettet werden, anstatt sie auch einmal in die Pleite gehen zu lassen. Es gebe ein großes Ungleichgewicht zwischen der schwachen Politik und der starken Wirtschaft, und dort wiederum eine Übermacht der Finanzindustrie, die die Gesellschaft in den Abgrund bringen könnte, doziert der Buchautor. Europa müsse mehr Souveränität beweisen: "Sind wir Europäer: Ja oder nein?" Nur die Politik könne die Wilden in der Finanzbranche stoppen, wobei ihm die Finanzexpertin Susanne Schmidt beipflichtet: "Dafür haben wir ja die Volksvertreter, sie sind unsere Hoffnung."

Wirtschaft findet in der Wirtschaft statt

Den Eindruck schließlich, Spekulanten seien schuld an der Krise, kann Markus Sievers kaum widerlegen. Der Chef einer Finanzfirma, die Hedgefonds vertreibt, preist die unabhängige Vermögensverwaltung und das Kalkulieren mit fallenden Kursen. Problematisch seien Banken, die nicht in Haftung genommen würden und vor allem die falsch geführte Haushaltspolitik der Staaten. Der Markt aber könne durch Steuern kaum entschleunigt werden, weil die Anleger dann in andere Länder ausweichen: "Geld hat keine Nationalität." Dass der amerikanische Hedgefonds-Spezialist John Paulson im Jahr 2007 rund 3,7 Milliarden Dollar Gewinn machte, sei in der Branche eine Ausnahme, reicht Sievers noch als Information nach.

Am Ende, nach 60 Minuten, bleibt der beruhigende Eindruck: Die Regierung handelt, ihr Wirtschaftsminister redet. Und Wirtschaft findet in der Wirtschaft statt.

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