"Tatort" aus Münster:Lakritz hält alles zusammen

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So ganz können Thiel und Boerne auch in "Lakritz" nicht auf Slapstick verzichten. (Foto: dpa)

Marktmeister Wagner stirbt im neuen Fall aus Münster den Vergiftungstod. In diesem durchaus genießbaren "Tatort" geht es um Anschein und Sein - und eine klebrige Süßigkeit.

Von Cornelius Pollmer

Diese Rezension wurde zum ersten Mal zur Erstausstrahlung des Tatorts am 1. November 2019 veröffentlicht. Nun, zur Wiederholung des Falles am Sonntagabend im Ersten publizieren wir den Text erneut.

Das Hochamt des bürgerlichen Hedonismus ist der Wochenmarkt und wie es auf Märkten nun mal ist, gilt es auch hier, Entscheidungen unter Unsicherheit zu treffen. Wer hat nur Kisten aus dem Großhandel ausgepackt und ihren Inhalt neu arrangiert? Wer hat die Kartoffeln wirklich liebevoll umsorgt in regionaler Erde aufwachsen lassen? Es geht um Anschein und Sein und in diesem Tatort aus Münster fällt beides weit auseinander. Auf einem Tablett landet die aktuelle Ausgabe des Westdeutschen Anzeigers, zu lesen ist, dass "der ehrenwerte Marktmeister Wagner" seinen Vertrag um fünf Jahre verlängert habe. Die Haushälterin balanciert dieses Tablett mit Frühstück und Frühstückslektüre nach nebenan, sie kommt nicht mit weit, auch nicht mit Worten: "Morgen Herr Wagner ... Herr Wagner?"

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Im Hintergrund singt Teddy Pendergrass "Don't Leave Me This Way", und der Weg, auf dem Wagner die Welt verlassen hat, war eine Abkürzung: Tod durch Vergiftung. "Lakritz" ist der zweite von erstmals drei Fällen, in denen in diesem Jahr Kommissar Thiel (Axel Prahl) und Rechtsmediziner Boerne (Jan Josef Liefers) in Münster ermitteln. Lakritz ist auch die klebrige Kaumasse, die diesen Film und seine Verzweigungen durchaus genießbar zusammenhält. Boerne und Thiel kalauern seltener als sonst und verlieren sich nicht so oft in Slapstick, ohne aber auf beides gänzlich zu verzichten. Das Buch von Thorsten Wettcke ist stimmig und die Regie von Randa Chahoud, die einst die tolle Scifi-Satire "Ijon Tichy: Raumpilot" dirigiert hatte, ebenso.

So gelingt es Chahoud in diesem in Summe guten Film vor allem, eine zweite Zeitebene sinnig mit der Gegenwart zu vernähen. Zurück geht es phasenweise ins Jahr 1979, als der sehr junge und schon beschlipste Karl-Friedrich als Nachhilfeschlumpf für die etwas ältere Monika Maltritz seinen ersten Auftritt hatte. Monikas Mutter hing bald auf dem Dachboden, Monikas damaliger Freund Bernhard ist heute Altenpfleger in einer Einrichtung, in der auch Monikas Vater untergebracht ist, der wiederum als Kunde von Thiels Vater und dessen Hasch-Taxi auftritt. Der gemeinsame Sohn von Monika und Bernhard ist seinerseits liiert mit der Tochter des holländischen Lakritz-Händlers Bellekom, der zuletzt überraschend eine Marktlizenz vom nun toten Wagner erhalten hatte. Mit anderen Worten: Die Lakritze verbindet vieles mit vielem und wie es ihre Art ist, klebt sie auch im übertragenen Sinne hartnäckiger fest, als es den handelnden Personen lieb sein kann.

© SZ vom 02.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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