"Tatort" aus Wien:Skeptisch muhen die Kühe

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Bibi Fellner (Adele Neuhauser) und Moritz Eisner (Harald Krassnitzer): Charme und Wärme in einer kalten Welt. (Foto: Petro Domenigg/ARD Degeto/ORF/Prisma Film)

Im Wiener "Tatort" krempelt die IT die Landwirtschaft um. Der Fall ist ambitioniert im Aufbau, aber in der Story nur mitteloriginell.

Von Holger Gertz

Dieser Wiener Tatort ist einerseits sehr ambitioniert aufgebaut. Die Geschichte wird sozusagen erzählt von der Ermittlerin Meret Schande, die ihrem Psychologen - und damit auch dem Publikum - berichtet, wie sich alles ereignet hat. Dass die junge Frau beim Psychologen sitzt, weist schon darauf hin, dass sie mit dem Geschehen unmittelbar zu tun hat, im Showdown steht sie sogar komplett im Zentrum. Meret Schande (Christina Scherrer) ist die noch recht neue Assistentin der Wiener Publikumsfavoriten Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Bibi Fellner (Adele Neuhauser), man lernt sie in diesem Fall richtig kennen, ihr Gesicht füllt mehrfach den kompletten Bildschirm. Und manchmal, wenn sie zu ihrem Therapeuten spricht, fühlt es sich so an, als durchbreche sie die vierte Wand und spreche das TV-Publikum direkt an. Ein im Tatort nur sehr dosiert eingesetztes Stilmittel, Aficionados erinnern sich vielleicht an ähnliche Sequenzen in den Folgen "Im Schmerz geboren" oder "Ein ganz gewöhnlicher Mord".

Meret Schande (Christina Scherrer, Mitte) ist die heimliche Erzählerin dieses "Tatorts". (Foto: Petro Domenigg/ARD Degeto/ORF/Prisma Film)

Andererseits ist die Episode "Was ist das für eine Welt" (Regie Evi Romen, Buch Thomas Weingartner und Stefan Hafner) inhaltlich dann gar nicht so ambitioniert, wie es die Erzählstruktur und manch anderer Regieeinfall verspricht. Ein junger IT-Mitarbeiter ist erstochen worden, der in einem Unternehmen gearbeitet hat, das Arbeitsvorgänge optimieren und also Menschen durch Rechner ersetzen soll. Diese Art von Rationalisierung hat für Krimis den angenehmen Effekt, dass unter den überflüssig gewordenen Arbeitern immer welche sind, die aus Rache jederzeit zu Gewalttaten bereit wären. Hier sieht man zum Beispiel Angestellte eines landwirtschaftlichen Betriebes, denen ein einigermaßen überzeichneter Software-Optimierer erklärt, wie sie "die Milch am schnellsten vom Euter in die Verpackung kriegen" und dass es dazu "Packing Optimization" und "Consumer communication" braucht. Im Hintergrund muhen skeptisch die Kühe, "knowledge drain" ist ihnen überhaupt kein Begriff. Nun hat man das im Tatort schon oft gesehen: dass alte, tapfere Werktätige ausgeplündert werden von jungen, skrupellosen Jobkillern, die in Wohnungen leben, die aussehen wie aus dem Katalog für Jobkillerwohnungen, teuer, ungemütlich, gläsern.

Dieser Tatort lebt, wie viele Folgen aus Wien, von Charme und Wärme der Ermittler Eisner und Fellner, die sich einmal - fast ist es ein Schock - auf ein Rendezvous einzulassen scheinen. Vom österreichischen Stimmklang, der ("Da wo I herkomm', da lässt man sich ned aufn Kopf scheissn") ein Geschenk für die Atmosphäre jedes Krimis ist. Von den Schauspielern: lauter bekannte oder weniger bekannte Charakterköpfe, zum Teil interessant frisiert. Auch Christina Scherrer als Meret Schande spielt ihre diesmal so tragende Rolle überzeugend, kann aber trotzdem nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Geschichte an sich nur so mitteloriginell ist.

Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr.

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