Kommissarin Ellen Berlinger hat in diesem Tatort ein Gefühl: Sie weiß, dass der durchtrainierte Mann mit Knast-Tattoo ein Mörder ist. Weit und breit kann niemand außer ihr überhaupt ein Verbrechen erkennen, aber trotzdem, sie hat das gesehen, als sie dem Mann in die Augen sah, erklärt sie dem Kollegen, dem sanften, aber nie langweiligen Rascher (Sebastian Blomberg): "Ich kann hinter den Moment dieser Erkenntnis nicht mehr zurück. Ich weiß es." Die Episode aus Mainz, heißt dann logischerweise "In seinen Augen", und Berlinger sagt das mit ihrem Gefühl in diesem Krimi ungefähr so oft, wie Kate Sharma in Bridgerton sagt, dass sie jetzt aber wirklich nach Indien abreist.
In der von Thomas Kirchner geschriebenen und von Tim Trageser inszenierten Folge geht es um das Liebesleben von zwei Witwen über 60 und um Sex mit einem viel jüngeren Mann. Gutes zeitgemäßes Thema eigentlich, aber hier muss natürlich gleich Verbrechen in der Luft liegen, wenn eine Frau mal denselben Altersunterschied nach unten in Anspruch nimmt, für den der durchschnittliche seriell monogame Mann fortgeschrittenen Alters im Film ganz selten büßen muss.
Seine Spannung jedenfalls bezieht dieser Tatort aus der Frage, ob die Witwe Charlotte Mühlen ihre neue Beziehung mit dem muskulösen Hannes Petzold zu Recht wunderbar und liebevoll findet. Oder ob sie nur eine Galgenfrist von der Erkenntnis trennt, dass sie in Wahrheit ein armes Opfer ist. Bibiana Dubinski, die andere Witwe, ist zu diesem Zeitpunkt eh schon tot. Berlinger setzt beim ersten Treffen mit Frau Mühlen (Michaela May) und Herrn Petzold gleich mal den Ton. "Ihr Sohn?", fragt sie schneidig. Und als Mühlen verliebt verkündet, das sei ihr "Majordomus", korrigiert Berlinger: "Wohl eher Ihr Gigolo." Kurz wartet man auf eine Pointe gegen die Prüderie, aber nein, das hier ist nicht Grace and Frankie.
Schatzis haben es halt im deutschen Fernsehen schwer. Seit das Engagement von Heike Makatsch als Berlinger vor sechs Jahren von der ARD als Event gefeiert wurde, ist die Ermittlerin nicht besonders gepflegt worden; sie hat jetzt gerade mal ihren vierten Fall, und in dem verzweifelt sie ziemlich ermüdend an ihrer eigenen Gefühlsverbohrtheit.
Immerhin bleibt Hannes Petzold (Klaus Steinbacher), der angebliche Gigolo, unberechenbar; streckenweise ist es tatsächlich spannend, wie dieser Krimi auf dem schmalen Grat des Zweifels herumbalanciert. Es läuft dann aber ausgerechnet bei den Frauen schwer ins Klischee, die reiche, schönheitsoperierte Bibiana (Ulrike Krumbiegel) mit ihrem Sexspielzeug wird nach ihrem Tod immer dubioser, das kuchenbackende Muttchen Charlotte immer trauriger, und damit geht der Tatort zur Läuterung in die Sommerpause.
Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr.
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