"Tatort" mit Lena Odenthal:In der Kälte des Moments

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Ulrike Folkerts und Lisa Bitter als Ermittlerinnen Odenthal und Stern. (Foto: Christian Koch/dpa)

In "Avatar" erzählen die Ludwigshafener davon, dass im Netz nicht nur Gefahren lauern. Sondern auch Trost und Mut.

Von Holger Gertz

Dieser Tatort vom SWR schlägt sozusagen Brücken von der Vergangenheit ins Futuristische. Vergangenheit sind jetzt, nach 25-jährigem Dauerdienst, die Sekretärin Edith Keller und der Kriminaltechniker Peter Becker, gespielt von Annalena Schmidt und Peter Espeloer. Die beiden nehmen in dieser Folge ihren Abschied, sie haben sich verdient gemacht um die Täterjagd in der Kurpfalz und auch um die Pflege und Bewahrung der Mundart im Ludwigshafener Tatort. "Mir lege grad die Modalitäte für unsern Abschiedsumtrunk fescht", sagt Becker, der im vergangenen Vierteljahrhundert wenig über sich verraten hat, jetzt aber preisgibt, dass er sich nach seiner Pensionierung der Archäologie widmen will, hobbymäßig. "Das wollt ich schon immer mache: Knoche ausgrabe, die so alt sind, dass sie nimmer stinke."

Das Futuristische, jedenfalls in Tatort-Dimensionen gedacht: wie sich Chats und Deep-Fakes und Künstliche Intelligenz auf die Verbrechensbekämpfung auswirken, leider aber eben auch auf die Verbrechensentstehung. Die Erkenntnis, dass Kinder im Netz schnell Vertrauen fassen zu Menschen, die nicht vertrauenswürdig sind, ist eigentlich nicht sehr originell. "Avatar" allerdings (Regie Miguel Alexandre, Buch Harald Göckeritz, Kamera Cornelia Janssen) erzählt nicht noch einmal die abgestandene Geschichte von der Gefahr, die im Netz lauert. In diesem Tatort findet sich auch Trost im Digitalen, weil man dort allerletzte Dinge mit Menschen regeln kann, die es nicht mehr gibt. Und sogar Mut (wenn auch nur den Mut der Verzweiflung): Weil falsche Identitäten nicht nur Verbrechen geschehen lassen, sondern auch der Rache für diese Verbrechen eine Schneise schlagen können.

Man schaut durch beschlagene Fenster und fühlt die Kälte, auch im Inneren einer Person

Julia da Borg (Bernadette Heerwagen) hat ihre Stieftochter verloren und fühlt sich schuldig an deren Tod. Heerwagen wird den meisten Zuschauern aus ihrer originellen ZDF-Rolle in "München Mord" bekannt sein, hier spielt sie eindrucksvoll eine erloschene Frau. Sie wohnt in einer loftartigen Behausung, zwischen blinkenden Bildschirmen und fiependen Systemen und Smartphones von Toten. Man schaut durch beschlagene Fenster in diesen Raum und fühlt die Kälte des Moments, die Kälte auch im Inneren einer Person, die Rache sucht und Rache will. Dafür - und nur dafür - hält sie ihren Körper in Schuss.

Die Abenteuer von Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) mit ihrer Kollegin Johanna Stern (Lisa Bitter) waren vor Jahren von ausgesuchter Langeweile geprägt, man rührte dort gern in Kaffeetassen. Inzwischen sind ihre Fälle bildgestalterisch voll auf der Höhe, Chat-Verläufe werden in dieser Episode zum Beispiel kurz eingeblendet, wo früher vieles zerredet worden wäre. So entsteht ein Krimi, der die Spannung bis zum Ende ganz gut hält. Und dem es gelingt, das Vergangene vollkommen unangestrengt zu verabschieden. Sekretärin Keller und Kriminaltechniker Becker, zwei Helden der Kurpfalz, rüsten für ihre Abschiedsfeier und denken darüber nach, was von ihnen bleibt, und irgendwann sagt Becker: "Mir könnte als Avatare wieder auftauchen." Weil die digitale Welt doch dafür sorgt, dass nichts verloren geht. Nicht mal die Folklore.

Das Erste, Sonntag, 20.15 Uhr.

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