Der 11. September ist alljährlich ein Hochamt für Verschwörungsideologen: Wenn es nach ihnen geht, waren es im Zweifel die US-Geheimdienste selbst, die zwei Türme des World Trade Center pulverisiert, einen Flieger ins Pentagon gejagt und mehr als 3000 Menschen auf dem Gewissen haben. Konnten die Stahlstrukturen in den Türmen wirklich so schnell schmelzen, hat in Wirklichkeit nicht eine Rakete das Loch in das Verteidigungsministerium gesprengt, und wussten die Terroristen tatsächlich so genau, wie man Großraumflugzeuge fliegt? Die so genannten Truther haben für alles alternative Erklärungen.
Ferdinand Wegscheider, Intendant des Fernsehsenders Servus TV seit 2016, greift in seinem Wochenkommentar Der Wegscheider aktuelle Themen auf - neben sich immer eine Stabpuppe namens Till, die den satirischen Charakter seiner Anmerkungen betonen soll. Eigentlich ist die Pandemie sein Lieblingsthema, aber Wegscheider schafft es mühelos, auch mal eine direkte Linie von 9/11 zu Covid-19 zu ziehen: Aus Anlass des 20. Jahrestages der Anschläge arbeitete sich der Journalist an den Naivlingen ab, die der offiziellen Version der US-Regierung glaubten - um diese dann mit jenen zu vergleichen, die in der Pandemie Politikern und Journalisten vertrauten. Wegscheiders Monologe werden mittlerweile auch auf Facebook und Youtube gern geteilt, der Intendant des kleinen Privatsenders aus Salzburg ist vor allem bei sogenannten Querdenkern eine feste Größe.
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Covid-19 und den Mateschitz-Sender Servus TV verbindet eine Art Hassliebe
Die wiederkehrenden Themen des 61-Jährigen sind: Impfpflicht durch die Hintertür, vertuschte Nebenwirkungen, Einschränkung der Grundrechte, Repression, der Druck auf Ungeimpfte, die Unterdrückung kritischer Experten, die Aufdeckung der Wahrheit hinter den politisch motivierten Lügen und den Interessen der Pharmaindustrie. Ach ja, und das Virus kommt doch aus dem Labor. Das sage schließlich sogar die Weltgesundheitsorganisation.
Tut sie zwar nicht, aber ein klassischer Wochenkommentar besteht genau daraus: ironische Brechung, alternative Fakten, und ein Schulterschluss mit jenen, die, zu Unrecht, als Aluhüte, Schwurbler oder Verschwörungsmystiker bezeichnet würden. Beispiel 23. Oktober: Wegscheider mokierte sich erst über das "ideologisch motivierte Nachtreten" gegen Ex-Kanzler Sebastian Kurz und ein "gewaltverherrlichendes" Stück im Wiener Volkstheater. Dann landete er aber doch wieder bei seinem Lieblingsthema, der Pandemie, nahm Impfverweigerer vor dem Hochmut der Impfbefürworter in Schutz und verbreitete einige stark interpretationsbedürftige Zahlen: Unter Verweis auf die österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit, kurz Ages, rechnete er vor, dass unter den "positiv Getesteten mit Symptomen" in den vergangenen Wochen ein Drittel doppelt geimpft sei, bei den über 60-Jährigen sogar zwei Drittel. Wirkt die Impfung also nicht? Wer bei der Ages nach dem vollständigen Bild fragt, bekommt diese Zahlen: Unter den knapp 5,4 Millionen Personen mit vollständiger Impfung liege die Quote der Impfdurchbrüche insgesamt bei kargen 0,53 Prozent. Oder einfacher: Auf 1000 vollständig geimpfte Personen kämen genau fünf erneute Infektionen. Ergo: Die Impfung wirkt.
Covid-19 und Servus TV verbindet eine Art Hassliebe. Der Sender profitiert davon, dass sich, so der Standard, "Corona-Verharmloser und Gates-Verschwörer" bei dem Salzburger Medium besonders "wohlfühlen". Dazu tragen nicht nur die Kommentare des menschenscheuen Intendanten bei, der für ein Gespräch mit der SZ "nicht zur Verfügung" stand. Sondern auch regelmäßige Sendungen zur Pandemie wie das Corona-Quartett oder auch Talk im Hangar. Kronzeuge dafür, dass Covid nicht schlimmer als eine schlimme Grippe und die Corona-Maßnahmen globale Panikmache seien, war lange der der pensionierte Epidemiologe Sucharit Bhakdi, der auch von Wegscheider selbst gern ausführlich und affirmativ befragt wurde. Mittlerweile ist Bhakdi wegen antisemitischer Äußerungen, nicht aber wegen seiner haarsträubend unwissenschaftlichen Positionen selbst bei Servus TV Persona non grata.
Ökonomisch zahlt sich der Schwenk aus, die Quoten steigen
Eine Studie der Universität Wien vom Sommer belegt, dass die alternativen Realitäten, die bei Servus TV mit besonderer Passion verbreitet werden, mittlerweile ein geneigtes Publikum gefunden haben: Unter den Zuschauern von Magazinen und Talkshows von Servus TV sind demnach 21 Prozent der Meinung, dass das Coronavirus nicht gefährlicher ist als eine normale Grippe. Zum Vergleich: Unter ORF-Zuschauern sehen das nur zehn Prozent so. Der These, dass Bill Gates die Menschheit zwangsimpfen wolle, um seinen Profit zu mehren, konnten 21 Prozent der Nutzer des öffentlich-rechtlichen Rundfunks etwas abgewinnen; bei Servus TV waren es 33 Prozent. Wegscheider wollte derartige "Gerüchte" damals auf Nachfrage nicht kommentieren.
Die Pandemie werde einmal enden, "aber Servus TV wird möglicherweise für immer der Querdenker-Sender, der Desinformationssender, der Virus-Verharmloser-Sender sein" sagte einer der Autoren der Studie, Jakob-Moritz Eberl, dem ORF-Medienmagazin #doublecheck. Das hatte unlängst dem Privatsender von Dietrich Mateschitz eine ganze Sendung unter dem Titel "Das Recht, Unsinn zu senden" gewidmet; laut dem Redakteur von #doublecheck, Stefan Kappacher, berichteten Talkgäste immer wieder davon, dass der Sender eine "Agenda" habe und Impf-Befürworter nicht gern zu Wort kommen lasse.
Kopiert Wegscheider bewusst die Polarisierung nach Vorbild von Fox News?
Ökonomisch zahlt sich das aus, die Quoten steigen, eine Marktlücke wird gefüllt. Laut Pressestelle von Red Bull hat sich der Marktanteil in Österreich von 2,1 Prozent im Jahr 2017 auf 3,6 Prozent in diesem Jahr erhöht. Der Medienberater Peter Plaikner, der die Entwicklung des 2009 gegründeten Senders seit Langem beobachtet, glaubt, dass Wegscheider als Intendant bewusst amerikanische Vorbilder wie Fox News kopiere und mit einer extremen Polarisierung Erfolg habe. Er versammele "Obskuranten" auf dem Schirm und habe Servus 2020 damit erstmals zum stärksten Privatsender in Österreich gemacht. Plaikner zieht einen aufschlussreichen Vergleich: Wäre ORF 1 sozusagen das Erste Österreichische Fernsehen, also quasi das erste Programm der ARD, und würde sich Servus TV so weiterentwickeln wie zuletzt, dann hätten die Salzburger den Konkurrenten in dreieinhalb Jahren überholt.
Die Gesamtmixtur, so der Medienexperte, sei dabei ausschlaggebend: Heimatsehnsucht, Sport und eine Kampagne gegen den intellektuellen Mainstream - das sei das Rezept. Der Wissenschaftler nennt es "ausgeklügelt". ORF-Medienredakteur Kappacher nennt das "Verbreiten von Verschwörungserzählungen", mit gutem Grund, ein "Geschäftsmodell".
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