Presseschau zum Asylstreit der Union:"Seehofer kann das Kräftemessen nicht gewinnen"

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Wird Horst Seehofer der nächste Gegner Angela Merkels sein, "der am Wegesrand zurückbleibt"? (Foto: AFP)
  • Im Asylstreit der Union bezeichnen deutsche Medien die CSU als kompromissunfähig.
  • Ausländische Medien befürchten, Europa könne durch den Unionsstreit in die Krise gestürzt werden - die EU würde ohne Deutschland in der Flüchtlingspolitik handlungsunfähig.

"Wahnsinn? Wahnsinn", resümiert Spiegel Online am Sonntagabend noch. Zwar soll es noch Gespräche zwischen Seehofer und Merkel am Montag geben. "Aber wer weiß, welche Volten am Montag folgen werden. Seehofer war im politischen Hakenschlagen schon immer ein Meister. Aber er muss diesmal aufpassen, sich nicht komplett lächerlich zu machen."

Die Welt fragt sich, ob Horst Seehofer der nächste Gegner Angela Merkels sei, "der am Wegesrand zurückbleibt". Jetzt, am Montag, wisse Merkel in dieser Frage die CDU hinter sich. Sie wisse auch, dass Seehofer als Minister und CSU-Vorsitzender zurücktritt, wenn sie weiterhin hart bleibt. "Aus ihrer Sicht würde sie einen Quälgeist los, und ob Seehofers Rücktritt gleichbedeutend mit einem Austritt der CSU aus der Koalition wäre, ist ungewiss. Es gibt in der Frage jedenfalls keinen Automatismus, dazu waren die Debatten in der CSU zu dramatisch und inhaltlich anscheinend auch zu uneinheitlich."

Als "Gänseblümchen-Taktik" bezeichnet die Berliner Zeitung das Vorgehen Horst Seehofers. "Er geht, dann geht er doch nicht. So war es auch schon, als es um den Job des bayerischen Ministerpräsidenten ging." Auch dieses Mal versuche Seehofer, Zeit zu gewinnen. "Die CSU muss schließlich aus einem Schlamassel herausfinden, in das sie sich selbst mit größtem Eifer seit mehreren Wochen immer tiefer hineingedreht hat. Das liegt daran, dass das Wort 'Kompromiss' in der Welt des Führungstrios aus Seehofer, Alexander Dobrindt und Markus Söder nicht vorzukommen scheint."

Zeit Online ist sicher: "Die CSU hat mit ihrem verantwortungslosen Kurs sich selbst, die Union und die Bundesregierung schwer und dauerhaft beschädigt. Alle drei, Seehofer, die CSU und die große Koalition, dürften nach dieser irren Nacht politisch traumatisiert sein." Seehofer und seine Partei pflügten derzeit wie Berserker durchs Land: "Die CSU hatte zu keinem Zeitpunkt einen Plan, wie sie den Konflikt hätte befrieden können. Das hätte einem erfahrenen Politiker vom Kaliber Seehofer nicht passieren dürfen und zeugt von großer Instinktlosigkeit. Das Flüchtlingsthema vernebelt derzeit die Sinne der Christsozialen." Aber auch die Schwesterpartei kommt schlecht weg: "Die CDU ist kein Koalitionsmagnet mehr. Die politische Mitte, die über Kompromiss, Mäßigung und Interessenausgleich zu ihrem Recht kommt, verliert ihre Kraft."

Nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa in der Krise?

Die Wiener Zeitung Die Presse kommentiert das Rücktrittsangebot von Horst Seehofer so: "Dass Merkel 62 seines 63 Punkte umfassenden Masterplans zur Flüchtlingspolitik akzeptiert hat, überraschte ihn wohl selbst. Wegen des einen Punkts - Zurückweisung bestimmter Flüchtlinge an der Grenze - will Seehofer nun zurücktreten, falls es keine Einigung in einer letzten Krisensitzung gibt. Weil er sich keine Blöße geben will; weil man noch hofft, dass der Kurs bei der Bayernwahl vielleicht doch dem Schmiedl CSU und nicht dem Schmied AfD nützt; weil Merkel noch immer nicht bereit ist, die Fehler in der Asylpolitik einzugestehen und ihre Politik zu ändern. Dabei zeigte Seehofer bei den Sondierungen im Herbst 2017 noch Verständnis, dass Zurückweisungen nicht einfach umzusetzen seien, und Merkel meinte gestern im ZDF-Sommerinterview, auch ihr Bestreben sei eine Reduzierung der Migration. Aber für Vernunft ist es zu spät, das Zusammenspiel der verschiedenen Prozesse könnte nun nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa in die Krise stürzen."

Auch die belgische Zeitung De Tijd stellt fest, dass Horst Seehofer nicht nur die Union, sondern auch die europäische Flüchtlingspolitik vorerst in eine Sackgasse manövriert hat: "Solange es der deutschen Regierung nicht gelingt, die interne Debatte über den Umgang mit der Migrationsproblematik beizulegen, bleibt es schwierig, an einer europäischen Lösung zu arbeiten. Deutschland muss rasch für Klarheit sorgen."

De Tijd schreibt weiter: "Die Bundeskanzlerin argumentiert, dass eine europäische Lösung unmöglich wird, sollte Deutschland die Rolle des Einzelgängers spielen, weil die anderen EU-Mitgliedstaaten das dann ebenso machen würden. Das macht deutlich, dass Horst Seehofer das Kräftemessen mit Merkel nicht gewinnen kann, ohne die mehr als 50 Jahre alte Verbindung zwischen den christdemokratischen Schwesterparteien CDU und CSU zu sprengen und damit eine Regierungskrise auszulösen. Doch einlenken will er auch nicht, weil er seine Glaubwürdigkeit dann vollständig verlieren würde. Deshalb hat er Sonntagnacht seinen Rücktritt als Innenminister und CSU-Vorsitzender ins Spiel gebracht."

Wäre Seehofers Rücktritt das Aus für die Regierung?

Der britische Guardian sieht die guten und schlechten Seiten eines Rücktritts des Innenministers: "Seehofers Rücktritt würde der unter Druck stehenden Bundeskanzlerin Angela Merkel vorübergehend eine Atempause verschaffen. Denn damit würde ein Politiker verschwinden, der seit seinem Amtsantritt als Innenminister zu ihrem Erzfeind innerhalb der eigenen Regierung geworden ist. Wenn aber nach Seehofers Ausscheiden sein Nachfolger einen ähnlich konfrontativen Ansatz verfolgen würde, könnte dies ein Ende der historischen Allianz von Merkels CDU mit der bayerischen CSU bedeuten. Das würde für die Koalitionsregierung der Kanzlerin das faktische Aus bedeuten."

Die Neue Zürcher Zeitung stellt die Überlegung an, ob die CSU den Asylstreit gezielt nutzen könnte, um den Sturz von Bundeskanzlerin Angela Merkel einzuleiten: "Das wäre möglich, wenn die CSU aus dem Fraktionsbündnis mit der CDU austritt und der Kanzlerin die Unterstützung entzieht. Diese hätte dann keine Mehrheit im Bundestag mehr. Sie bliebe aber Bundeskanzlerin und könnte versuchen, eine neue Regierung ohne die CSU zu bilden. Denkbar wäre es, die Grünen anstelle der CSU in die Regierungskoalition aufzunehmen; die nötige zahlenmäßige Stärke und die grundsätzliche Bereitschaft, mit der CDU und der SPD Regierungsverantwortung zu übernehmen, hätte die Partei. Von diesem dramatischen Schritt müsste Seehofer allem Anschein nach aber erst noch die CSU-Führung überzeugen, die sich am Sonntagabend stundenlang beriet. Ein Bruch mit der CDU vier Monate vor der Landtagswahl in Bayern wäre ein großes Risiko für die CSU."

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