Neue Netflix-Serie:Hinfallen, aufstehen, Krone richten

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Claire Foy als Elizabeth II. (Foto: AP)

Die Serie "The Crown" erzählt vom Leben der jungen Queen Elizabeth II. Das ist ein hervorragend besetztes Ausstattungsdrama. Aber eben auch: eine Seifenoper mit viel Lust an der Spekulation.

Von Alexander Menden, London

"Im Allgemeinen sind die Königinnen, die unser Land hervorbringt, besser als seine Könige", sagt Onkel Edward beim Lunch mit seiner Nichte, der frisch gekrönten Queen Elizabeth II. Er muss es wissen, denn er war ja selbst als Edward VIII. für ein paar Monate König von England, bis er wegen seiner Affäre mit einer geschiedenen Amerikanerin abdanken musste. Die Abdankung nimmt ihm Elizabeth noch immer krumm, denn hätte ihr Vater nicht ersatzweise den Thron besteigen müssen, wäre sie selbst nie Königin geworden: "Verstehst du nicht, dass ich lieber abseits des Rampenlichts aufgewachsen wäre", fragt sie voll kontrollierter Bitternis, "als ordentliche englische Landfrau?"

Wäre das geschehen, wäre es wohl nie zur bisher längsten, noch immer andauernden Regierungszeit eines britischen Monarchen gekommen, und es hätte nie die neue, von Netflix produzierte Serie The Crown gegeben, in der sich alles um die Kabalen der Familie Windsor dreht. Alle zehn Teile stehen von diesem Freitag an zur Verfügung; wenn nicht alles täuscht, ist die erste britische Netflix-Serie das Ausstattungsdrama des Jahres. Keine Serie übrigens, sondern "ein zehnstündiger Film" sei die (dem Vernehmen nach rund 100 Millionen Pfund teure) Produktion, erklärt Netflix-Programmchef Ted Sarandos, der eigens zur Premiere nach London geflogen ist.

Der nächste große Schritt für Netflix

"Die Queen ist die berühmteste Person der Welt", sagt Sarandos. "Es ist die Geschichte einer starken Frau und eine Familienstory." Vor allem aber ist es der nächste große Schritt für Netflix als Produktionsfirma. Was 2013 mit 42 Stunden selbstproduzierten Programms begann, war 2015 bereits auf 600 Stunden angewachsen. Kommendes Jahr sollen die 1000 Stunden erreicht sein. The Crown setzt dieser Entwicklung in Sachen Ambition und Produktionswert vorläufig, nun ja: die Krone auf.

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Die Erkenntnis, dass die weiblichen Herrscher Englands oft die besseren - und interessanteren - waren, hat Drehbuchautor Peter Morgan Onkel Edward für The Crown in den Mund gelegt. Sie ist nicht ganz neu. Nicht umsonst gibt es unzählige Filme und immer neue Fernsehserien über Elizabeth I., Victoria und nun eben Elizabeth II. Morgan selbst hat viel Erfahrung darin, die derzeitige Regentin zu fiktionalisieren. The Crown ist, nach Stephen Frears' Film The Queen und dem Theaterstück The Audience, die dritte Arbeit des Autors, die sich des Lebens der Monarchin annimmt.

Dabei kommt der Serie wie Film und Theaterstück zugute, dass sie Versionen wirklicher Menschen zeigt, die in der Öffentlichkeit stehen, über deren Leben wir aber wenig im Detail wissen. Das Drehbuch kann sie, sich an historischen Ereignissen orientierend, nach Belieben mit Leben füllen. Als Autor hat Peter Morgan vor allem ein großes Talent für Zwiegespräche, die viel Exposition enthalten und dennoch selten vollends platitüdenhaft klingen. Als Herrscher dürfe man "keine Schwäche, keine Verletzlichkeit zeigen", mahnt George VI. Genau die Verletzlichkeit hinter der Fassade zu enthüllen, ist Morgans Stärke.

Neben der Inszenierung durch Regisseur Stephen Daldry und seine Kollegen, die den Londoner Nebel genauso episch ins Bild setzen wie die kenianische Savanne und die Zimmerfluchten des Buckingham Palace, ist die Besetzung das größte Pfund, mit dem The Crown wuchert: Die breite Leinwand eines Zehnteilers, angesiedelt zwischen 1947 und dem Beginn der Suez-Krise 1956, gibt Gelegenheit, den Verästelungen des Windsor-Clans erzählerisch nachzuspüren. Elizabeth steht im Zentrum, aber anderen Figuren wird viel Platz zur Figurenentwicklung eingeräumt.

Jared Harris, bekannt als Finanzdirektor Lane Pryce aus Mad Men, spielt den von Krankheit gezeichneten König George VI. als brüchigen, ebenso pflichtbewussten wie von Standesdünkel durchdrungenen Monarchen. Der genialische John Lithgow liefert eine schauspielerische Lehrstunde ab. Sein Winston Churchill ist keine Imitation, sondern kongeniale Nachschaffung des Kriegspremiers als eitler, charismatischer und letztlich von seinem Alter besiegter Jahrhundertstaatsmann. Die Szene, in der Churchills Sekretärin ihm geopolitische Neuigkeiten unter der Badezimmertür hindurch zurufen muss, während er rauchend in der Wanne sitzt und Whisky trinkt, ist ein komisches Highlight.

Claire Foy spielt die junge Queen höchst nuancenreich

Eine besonders saftige Rolle hat Matt Smith, in Großbritannien als zeitweiliger Hauptdarsteller der Science-Fiction-Serie Doctor Who ein Star. Als Philip Mountbatten entwickelt er sich von einem rebellischen Außenseiter, den die Windsors eher dulden als schätzen, zu einem verbitterten Prinzgemahl, der sich mit seiner Existenz im Schatten der Queen nur schwer anfreunden kann. Als Elizabeth ihm eröffnet, dass sie nicht seinen Nachnamen annehmen wird, und die Familie von Clarence House in den ungeliebten Buckingham Palace umziehen muss, fragt er: "Was ist das für eine Ehe? Was für eine Familie? Du hast mir meine Karriere genommen, mein Zuhause, meinen Namen - ich dachte, wir stehen das zusammen durch?"

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Claire Foy als junge Queen schließlich macht nicht den Fehler, die distanzierte, bisweilen sogar eisige Frau, die sie spielt, zu sentimentalisieren. Es gelingt ihr aber, die Disziplin, durch die Elizabeth sich vor allem auszeichnet, als Strategie zur Selbsterhaltung in ihrer surreal erhobenen Position herauszuarbeiten. Spätestens vom Augenblick an, in welchem ihre Großmutter Mary of Teck, nach dem Tod ihres Sohnes George ganz in schwarz gekleidet, vor ihr niederkniet, und so ihre neue Position als Königin beglaubigt, verändert sich Elizabeths Leben grundlegend. Wie sie im Laufe der Serie wächst und reift, das spielt Foy höchst nuancenreich.

Die Story soll irgendwann an die Gegenwart anschließen

Die Qualität von Dialog und Inszenierung täuscht natürlich nicht darüber hinweg, dass man hier einer erstklassig produzierten, lustvoll spekulativen Seifenoper zuschaut. Besonders der Seitenstrang über die Affäre Prinzessin Margarets mit dem verheirateten Captain Peter Townsend bietet einiges von dem Melodrama, das dieses Genre fordert. Und wenn der abgedankte König Edward und Churchill sich beim Essen verbünden, um zu verhindern, dass Elizabeth den Namen ihres Mannes annimmt, hat das einiges von einer anderen Netflix-Serie, nämlich der politischen Ränkeshow House of Cards.

Geht es nach den Produzenten und gibt das Zuschauerinteresse es her, soll die Story von The Crown weitergesponnen werden, bis sie, wie Programmchef Sarandos sagt, "zeitlich zu uns aufgeschlossen hat". Material gibt es reichlich, von den zahlreichen Affären der Königskinder bis zum Tod Prinzessin Dianas. Sollte das Drama dann tatsächlich irgendwann im Jetzt anlangen, erfahren wir vielleicht sogar, was diese Version der Queen vom Brexit hält.

The Crown , zehn Folgen, abrufbar bei Netflix*

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© SZ vom 04.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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