Ein Friseursalon in Harlem: Chef Pop schneidet den Kunden die Haare. Ein hagerer Mann am Fenster spielt Schach. Ein anderer, ziemlich kräftiger Mann fegt die Haare zusammen. Man spricht über die Arbeit, Sport und schwarze Idole. Hört man aber genau zu, merkt man, dass auch verhandelt wird, wer im Viertel der Chef ist - oder es gern wäre: Der Laden ist eine Bühne für jeden und nicht alle hier sind Freunde.
Kurz droht die Stimmung zu kippen, nur wegen der beiläufigen Bemerkung eines Kunden: "Ich hab die Schnauze voll ..." Der muskelbepackte Mann mit dem Besen, den alle Luke nennen, baut sich schon vor ihm auf. Der Kunde kriegt gerade noch die Kurve. "Ich hab die Schnauze voll, meinte ich, dass die Knicks ständig verlieren."
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Aber Luke wird noch in Schwierigkeiten geraten. Er wird eine Schutzgeldbande verprügeln. Er wird überfallen werden, dem Angreifer genervt die Pistole entreißen und sich selbst, ohne zu zögern - und vor allem: ohne sich zu verletzen -, eine Kugel in den Bauch feuern. Der Friseurladen wird zum Schauplatz einer Schießerei werden. Der Frieden der ersten Szene trügt.
Luke Cage sorgt nur für Ordnung in seinem Viertel
Luke Cage ist die dritte Netflix-Serie um einen Marvel-Superhelden. Die Titelfigur (Mike Colter) ist ein trainierter Frauenheld und prekärer Barkeeper, dessen besondere Eigenschaft seine undurchdringliche Haut ist. Daher die Aktion mit der Pistole.
Eine Serie über einen schwarzen Amerikaner mit kugelsicherer Haut? Nach den tödlichen Schüssen von Polizisten auf Schwarze in Charlotte, Baton Rouge, Houston und in anderen amerikanischen Städten, auf die massive Proteste folgten, klingt schon die Grundidee zu Luke Cage wie ein politischer Kommentar. Ausgerechnet mit einem solchen tut sich die Serie aber schwer.
Luke ist ein Mann von der Straße, der zu Soul und Hip Hop durch Harlem und die bunt gleißenden Lichter der Klubs treibt. Die Serie ist virtuos gefilmt und inszeniert, toll besetzt und mit einem großartigen Soundtrack vom Gründer der Hip-Hop-Gruppe A Tribe Called Quest, Ali Shaheed Muhammad, unterlegt. Wie seine Netflix-Heldenkollegen Jessica Jones und Daredevil bekämpft Luke keine außerirdische Invasion und ist auch keiner Regierungsverschwörung auf der Spur. Er sorgt nur in seinem Viertel für Ordnung. Trotz seiner Superkräfte hat er die Probleme eines normalen Menschen, wie der blinde Daredevil und die Alkoholikerin Jessica Jones. Er war unschuldig im Knast und bei einem Unfall, das weiß man aus den anderen Serien, verlor er seine Frau.
Luke Cage ist eine Allegorie: Der Schwarze, der gefangen und gequält wurde, dadurch aber nur stärker geworden ist. Er könnte eine Ikone sein, möchte sich aber am liebsten in nichts einmischen. Das ist nur nicht so einfach, wenn man unverwundbar ist und in der Nachbarschaft die Gangs randalieren.
Die Geschichte kann mit sich selbst nicht mithalten
Die Marvel-Serien nehmen ihre Schauplätze und die Probleme ihrer Helden durchaus ernst, Luke Cage nimmt auch die Schwarzen ernst - aber das naturalistische Milieu passt nicht zu dem kugelsicheren Superhelden. Die mit Schwächen, Ängsten und Komplexen ausstaffierten Charaktere wirken wie auf dem Hochglanzcomicpapier gezeichnet, dem sie ja gerade entkommen wollen.
Luke Cage, Jessica Jones und Daredevil wären auch ohne Superkräfte spannende Charaktere. Ihre übermenschlichen Fähigkeiten machen es aber schwer, in ihnen die normalen Menschen zu sehen, die sie auch sein sollen. Die Geschichte kann mit sich selbst nicht mithalten, wenn die Idee vom kugelsicheren Schwarzen ihre eigene filmische Bearbeitung an politischer Brisanz überholt.
Luke Cage , abrufbar bei Netflix.