Journalismus:Sind die Medien schuld am Erfolg der AfD?

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Für die einen bräuchten Fernsehsender und Zeitungen mehr Wirklichkeitssinn, für die anderen haben sie nur bedingt Anteil an der Meinungsbildung. Ein Pro und Contra.

Von Tomas Avenarius und Katharina Riehl

Pro: Medien sind für den AfD-Erfolg mitverantwortlich

Der Wähler entscheidet. Durchschaubar also, wenn ein Wahlverlierer die Verantwortung für das 20-Prozent-Ergebnis seiner Volkspartei den Moderatoren eines Wahlduells anhängen will. Versagt haben andere. Wahlkampfreden, mit denen eine nach rechts abdriftende Wählerschaft abgefangen hätte werden können - weder Schulz noch Merkel oder Seehofer haben sie gehalten.

Ihren Job besser machen müssen aber auch Presse, Sender und die Redaktionen von Online-Medien. Sie tragen Mitverantwortung am AfD-Erfolg. Aufgabe der Medienmacher ist es nicht, ex cathedra die persönliche Gesinnung zu verkünden, in Kommentarspalten, Frühsendungen oder in der Illner, Will & Co. KG. Medien sollen informieren, Realität abbilden, verständlich machen. Auch eine komplexe, hässliche Realität. Zu Beginn der Flüchtlingskrise hat das gefehlt. Hier, und nicht erst vor der Wahl, wurden Weichen gestellt.

Unangenehmes, ja Verstörendes fand kaum Beachtung: Diejenigen unter den Migranten, deren Fluchtgrund nicht der Krieg, sondern die Wirtschaftslage war. Risiken bei der inneren Sicherheit, die schwierige Integration von Menschen aus anderen Kulturkreisen, mit anderem Glauben, einem anderen Bildungshintergrund: Das wurde schöngeredet. Mit Ängsten, ob rational oder irrational, blieben Zuschauer und Leser allein. Und das, obwohl Redakteure sonst selbst die absurdesten Ängste bedienen.

Bei Teilen der Medien herrscht, wie in der Politik, große Konformität des Denkens. Es ist ein modernes, zeitgeistiges Denken. Es richtet sich an ein städtisches, aufgeklärtes, eher gebildetes und wohlhabendes Publikum. In diesem selbstreferenziellen Milieu sind viele Medienmacher zu Hause. Diejenigen, die nicht zu den Privilegierten zählen, interessieren sie weniger. Nicht einmal mehr auf den Boulevard ist Verlass, wenn Menschen die Politik nicht zum Lebensinhalt machen, aber sich mit ihren Wünschen, Hoffnungen und Ängsten ernst genommen fühlen wollen. Die AfD hat das verstanden.

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Statt die lieb gewonnene Erzählung von der "Willkommenskultur" zu überstrapazieren, hätte Wirklichkeitssinn geholfen: Die schöne Erzählung hat nicht getragen. Jetzt ist die Frage, wie sie weitergeht, darauf sollten die Medien sich in Zukunft konzentrieren. Sonst tragen sie Mitverantwortung für weitere Wahlerfolge von Jägermeister Gauland und seiner Haselnuss-Fraktion.

Tomas Avenarius

Contra: Meinungsbildung findet nicht nur im TV statt

Als im November des vergangenen Jahres ein Populist zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gewählt wurde, war die Aufregung in den Medienhäusern und über die Medienhäuser riesig. Nicht nur wegen der Frage, ob die Zeitungen und Sender Donald Trump zu viel Raum geboten und seine Wahl so befördert hatten - sie wurden vor allem kritisiert, weil sie es nicht hatten kommen sehen. Die etablierten Medien hatten bis zum Schluss die Wahl von Hillary Clinton für ausgemachte Sache gehalten.

Die Überraschung nach Trumps unerwartetem Wahlsieg und schon ein paar Monate früher nach dem genauso unerwarteten Brexit zeigte das Phänomen der medialen Filterblasen drastisch auf - die Tatsache, dass Bürger sich ihre Quellen der Meinungsbildung längst nach politischer Gesinnung im Netz selbst zusammenstellen. Das ist wichtig für die Frage, inwiefern die deutschen Medien den Wahlerfolg der AfD erst möglich gemacht haben. Denn diese Erfahrungen haben mehr als deutlich gezeigt, dass Verlage und Sender ihre Rolle als alleinige Gatekeeper verloren haben.

Meinungsbildung findet schon lange nicht mehr nur in großen Medien statt, wo früher darüber entschieden werden konnte, was in die Welt kam und was nicht. Heute gibt es Blogs und Online-Medien für jede politische Schattierung, und heute brauchen weder Sportler und Showsternchen noch Politiker einen Journalisten, um mit ihren Fans und Wählern in Kontakt zu treten; sie haben das Internet und Facebook-Kanäle mit Millionen Fans. Es ist naiv zu glauben, dass Blatt- und Programmmacher darüber entscheiden könnten, welche Themen und Thesen bekannt werden und welche nicht.

Wahr ist natürlich, dass die großen Zeitungen und Sender die Thesen der AfD auch zu jenen Wählern getragen haben, die sich vor allem bei ihnen informieren; auch den großen US-Medien wurde vorgeworfen, Trump und seinen Auftritten im Wahlkampf mit Blick auf die Quote zu viel Platz eingeräumt zu haben. Wahr ist auch, dass einzelne Sendungen wie das TV-Duell sich an den Themen der AfD zu sehr festgebissen haben. Aber genauso wenig wie Medien Debatten künstlich klein halten können, so wenig sollten sie das auch. Es ist ihre Pflicht, den Lesern und Zuschauern eine kritische Auseinandersetzung mit der AfD zu ermöglichen - und das können sie nur, wenn sie auch über eine populistische Partei umfassend informieren.

Katharina Riehl

© SZ vom 02.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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