Die Frage, ob ARD und ZDF den Erfolg der AfD erst möglich gemacht haben, wird auch eine Woche nach der Bundestagswahl heftig debattiert. Der Blick über die Grenze zeigt, dass das Thema auch das europäische Ausland bewegt: Über den richtigen Umgang mit Populisten wird nicht nur in Deutschland gestritten.
Österreich
Heinz-Christian Strache ist gerade mal wieder omnipräsent. Wer in Österreich den Fernseher einschaltet, kann dem Chef der FPÖ kaum entkommen, der auf allen Kanälen seine Weltsicht verbreitet. Im laufenden Wahlkampf für die Parlamentswahl am 15. Oktober duelliert er sich fast täglich mit irgendeinem Spitzenkandidaten der anderen Parteien. Und er weiß das meist zu nutzen mit pointierten Auftritten.
An den rechtslastigen Freiheitlichen kann und will schon lange niemand mehr vorbei in der Medienlandschaft. Schon Jörg Haider, der die FPÖ in den Achtzigerjahren groß machte, wurde gern als Quotenbringer in die TV-Talkshows eingeladen - und das nicht nur in Österreich, sondern auch in Deutschland. Dass die Medien sich dabei oft sehr kritisch mit der FPÖ auseinandersetzen, stört die Partei dabei herzlich wenig. Denn erstens ist sie im Gespräch, und zweitens gibt ihr das die perfekte Vorlage, um unter dem Beifall der eigenen Klientel über "Kampagnenjournalismus" zu klagen.
Bei der Propagierung ihrer Botschaften ist die FPÖ ohnehin längst nicht mehr auf die von ihr geschmähte "Systempresse" angewiesen. Sie setzt vielmehr auf ein besser zu steuerndes mediales Paralleluniversum. Bei den Interaktionen in den sozialen Medien ist sie mit Abstand die Nummer eins vor den Konkurrenten von ÖVP und SPÖ. Zudem nutzt sie parteinahe, doch angeblich unabhängige Webseiten wie unzen-siert.at. Dort wird die Anhängerschaft be-dient mit Überschriften wie: "Mann mit Messer und Akzent überfällt Tankstelle" und erfährt außerdem, dass "SPÖ und ÖVP unwählbar" sind. Peter Münch
Niederlande
Der Populismus hat Politik wie Medien in den Niederlanden nachhaltig verändert. Das begann 2001, als der Soziologieprofessor Pim Fortuyn die Bühne betrat: knallhart gegen Migration, gegen den Islam, gegen die Linke, aber eben auch intelligent, schillernd, schwul, witzig. Für die Medien ein neues Phänomen. Seine Ermordung durch einen Umweltschützer war ein Schock, 2004 folgte ein noch größerer, als ein Islamist den Regisseur Theo van Gogh erschoss. Gewissheiten wackelten. Ab 2006 machte Geert Wilders mit immer schärferen Thesen von sich reden. Sein Anti-Islam-Film "Fitna" und das folgende Gerichtsverfahren sicherten monatelange Aufmerksamkeit. Wenn das Fieber abflaute, legte Wilders nach; am liebsten per Twitter, der Direktleitung zum Volk.
Vor allem bei linksliberalen Medien wie der Volkskrant oder weiter in der Mitte bei NRC Handelsblad setzte eine intensive Debatte ein: Berichten wir zu viel über diesen Mann? Eher zu wenig, schrieb 2008 ein Volkskrant-Redakteur. Man müsse sich ernsthafter mit Wilders' Themen befassen, er wisse, was die Menschen bewege. Die Ombudsfrau der Zeitung ergänzte, das Blatt dürfe nicht nur der eigenen Gemeinde predigen, es müsse ein Spiegel des gesellschaftlichen Gesprächs sein. Beide Zeitungen haben sich entsprechend geöffnet, bieten auch Autoren Platz, die eher auf Wilders' Linie argumentieren. Das hat die Diskussion belebt.
Über den Umgang mit dem Populismus wird aber weiterhin gestritten. Denn diese Gefahr besteht: Im Bemühen um Ausgewogenheit haben die Medien Wilders derart "normal" werden lassen, dass kaum noch notiert wird, welche Ungeheuerlichkeiten er von sich gibt. Thomas Kirchner
Schweiz
Es ist natürlich unfair, den Schweizer Journalismus an einem schlechten Interview aufzuhängen. In diesem Fall aber geht es nicht anders. Das Gespräch, das die Boulevard-Zeitung Blick am 12. Juni 2016 mit Christoph Blocher, dem Strategen der rechtspopulistischen Schweizerischen Volkspartei (SVP) führte, steht für so ziemlich alles, was die Medienlandschaft im Umgang mit der starken, rechtskonservativen Partei falsch macht.
Blocher, der das Land seit 30 Jahren mit ausländerfeindlichen Parolen, einer strikten Ablehnung gegenüber Brüssel und zahllosen eigenen Zeitungen vor sich hertreibt, zeigt sich in dem Gespräch mit dem Blick als nachdenklicher Mann. Der "Siegeszug der Extremisten", ob in Europa oder den USA, mache ihm Sorgen, diktiert Blocher den Journalisten in den Block. Die haken schüchtern nach: Sei die SVP nicht selber eine rechtspopulistische Bewegung? Blocher staucht sie zusammen, genau mit solchen "Stigmatisierungen" schaffe man Extremismus. Die Sache sei andersrum: Dank der SVP gebe es in der Schweiz keinen Raum für Extremismus. Und die Reporter? Statt von Blocher Belege dafür zu fordern, wie sich seine Partei, die in unzähligen Initiativen versucht, die Rechte von Minderheiten einzuschränken und deren Exponenten behaupten, die Nachbarländer Deutschland und Frankreich würden bald islamische Länder sein, von den kritisierten "Extremisten" unterscheidet, fragen das, was der SVP-Pressesprecher bei der Jubiläumsfeier fragen würde. Ob er, Blocher, also "der Franz Josef Strauß" der Schweiz sei? Blocher ist zufrieden. "Diese Losung habe ich für die SVP immer vertreten."
Damit hatte er größtmöglichen Erfolg. Selbst linke Journalisten in der Schweiz sind überzeugt: Die SVP sei ein völlig einzigartiges Gebilde, rechts, ja, aber eben auch so normal. Wenn man sie fragt, wo die inhaltlichen Unterschiede zu AfD, FPÖ und Front National sind, sprechen sie über den Stil. Wenn man sich Weidel, Gauland oder Strache anschaue, da bekomme man ja das Schaudern. Blocher und Roger Köppel, so unangenehm diese auch sein mögen, hätten einen viel zivilisierteren Ton drauf. Das stimmt. Man kann sich mit vielen SVP-Politikern angenehm unterhalten - und die Journalisten des Landes haben das ausgiebig getan, spätestens seit den frühen 2000er-Jahren, als der Schock über Blochers damals auch als rüde empfundenen Ton vergangen war.
Die Gedankengebäude und die Sprache der SVP sind dabei so tief in das Bewusstsein der Medien eingesickert, dass diese heute ganz selbstverständlich und mit großem Aufwand danach fahnden, ob irgendwo im Land Asylbewerber oder Sozialhilfe-Berechtigte zu viel Geld bekommen haben. Den Skandalen der großen Unternehmen dagegen recherchiert kaum jemand hinterher. Die Medienhäuser, die Blocher offiziell unterstützen, Weltwoche und Basler Zeitung, verlieren aber zugleich Abonnenten. Deren Thesen sind inzwischen so bekannt, dass niemand mehr dafür Geld ausgeben mag. Charlotte Theile
Italien
In den italienischen Medien kommen alle massgeblichen politischen Parteien reichlich zu Wort - man könnte auch sagen: überreichlich. Geschnitten wird niemand, alle gelten als salonfähig und werden ungefähr gleich behandelt. Die junge Protestbewegung Cinque Stelle weigerte sich am Anfang, ihre Leute in Talkshows zu schicken, weil sie die Fernsehsender der staatlichen Rundfunkanstalt Rai und jene aus Silvio Berlusconis Konzern Mediaset für Propagandamaschinen des verhassten Establishments hielten. Kommunizieren wollten sie deshalb nur über ihre eigenen Kanäle im Netz, vor allem über den Blog von Parteigründer Beppe Grillo. Nun aber nehmen auch Politiker der Fünf Sterne an allen diesen lauten Diskussionssendungen teil, die in Italien jeden Abend laufen, und reden mittlerweile ganz ähnlich wie Kollegen aus herkömmlichen Parteien: Sie brüllen munter mit um die Wette. Ihre Beiträge zu aktuellen Debatten werden auch in den großen, ihnen eher kritisch gesinnten Zeitungen mindestens so breit und fair verhandelt wie andere - selbst dann, wenn sie abenteuerlich sind. Eine tägliche Plattform finden ihre Positionen außerdem in der Zeitung Il Fatto Quotidiano, die den Cinque Stelle nahesteht.
Sehr präsent und geduldet ist auch die fremdenfeindliche Lega Nord, eine Alliierte des französischen Front National und der AfD. Ihr Leader, der Mailänder Matteo Salvini, tritt ständig im Fernsehen auf und sagt dabei zuweilen ungeheuerliche Dinge. Doch auch an seiner Salonfähigkeit deutelt niemand herum. Es ist, als habe man sich an diese Stimmen gewöhnt. Oliver Meiler
Frankreich
Die Urszene für den Umgang der Medien mit dem Populismus reicht in Frankreich ins Jahr 1994 zurück. Der staatliche Fernsehsender Antenne 2 hatte als Studiogäste den damaligen Front-National-Chef Jean-Marie Le Pen und den Unternehmer, Politiker, Medienstar Bernard Tapie eingeladen, zwei Haudegen der öffentlichen Kontroverse. Vor dem Streitgespräch reichte der Moderator den beiden zwei Paar Boxhandschuhe aus. Drei Tage danach war er entlassen. Der Vorfall war ein Lehrstück dafür, dass die Medien wohl Austragungsort des populistischen Schlagabtauschs sein dürfen - nicht aber Mitspieler des Spektakels. Es hat allerdings den Eindruck, als hätten nicht alle diese Lektion begriffen.
Im Spannungsfeld zwischen Informationspflicht und Publikumsgier wird knalligen Vereinfachungen und Provokationen in französischen Medien nach wie vor unverhältnismäßig viel Platz eingeräumt. Zwar verdienen Marine Le Pen und ihr Front National mit ihren über 20 Prozent Wählern auch entsprechende Medienpräsenz. Florian Philippot, Madame Le Pens bisher engster Vertrauter, der gerade in einem Eklat die Partei verlassen hat, war mit seiner Mischung aus Intelligenz, Provokationsfreude und Bonhomie aber ein besonderer Liebling der Studios: 554 Mal war er in den letzten Jahren zu Gast in den Rundfunk- und Fernsehstudios, manchmal mehrmals am Tag bei unterschiedlichen Sendern, wie ein Journalist von France Télévisions gerade nachgerechnet hat.
Die Frage, wie viel Aufmerksamkeit zu viel sein könnte, stellen sich Frankreichs Medien inzwischen schon seit mehr als 30 Jahren. Gelernt haben sie immerhin, auf Provokationen möglichst nicht zu reagieren: Die Bemerkung über einen französischen Sänger jüdischer Herkunft, "der kommt in die nächste Ofenladung", für welche Jean-Marie Le Pen in diesem Sommer vor ein Strafgericht zitiert wurde, fand relativ geringes Echo. Joseph Hanimann