Medienkolume "Abspann":Dienst am Patient Zuschauer

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Achtung, Altersdiskriminierung (v. l. nach r.): Thomas Rühmann, Andrea Kathrin Loewig und Bernhard Bettermann vom Cast der TV-Serie "In aller Freundschaft". (Foto: Hendrik Schmidt/dpa)

Die 900. Folge von "In aller Freundschaft" zeigt einmal mehr, welch wohltuend sedierende Wirkung die ARD-Krankenhausserie hat.

Von Ulrike Nimz

Ein Polytrauma beschreibt in der Medizin das Vorliegen multipler Verletzungen schwerster Art. In der Welt von In aller Freundschaft (IaF) ist das eine gängige Diagnose. In Episode 689 stürzte ein Obstbauer mit dem Traktor eine unbefestigte Böschung hinab. In der aktuellen Folge liegt ein Junge nach einem Autounfall im Koma, Abwehrspannung, Flüssigkeit im Bauchraum. "Sofort wieder aufmachen!", ruft der Chefchirurg, um in einer Rückblende umgehend selbst sein Innerstes zu offenbaren: Auch er hat ein Kind verloren - und eine Ex-Frau, von der weder Kollegen noch Zuschauer wussten!

"Tiefe Wunden" heißt die 900. Ausgabe von Deutschlands erfolgreichster Krankenhausserie, und natürlich werden nicht nur Blessuren, sondern schwerste Gefühle verarztet. In 42 Minuten wird (Vorsicht - Spoiler!) eine Liebeshütte abfackeln und ein Streit entflammen. Der Junge wird aufwachen und kaum merklich die Hand seiner Mutter drücken. Um eine andere Hand wird angehalten. Kein einziges Mal fällt das Wort "Virus", und maskenhaft ist nur das Gesicht des Klinikleiters Roland Heilmann (Thomas Rühmann).

Das Überraschendste an der Serie In aller Freundschaft war nie das Drehbuch, sondern ihre Langlebigkeit. Zum 20. Geburtstag des MDR-Quotenhits kamen Hunderte aus ganz Deutschland nach Leipzig, ließen sich Schwären schminken und waren bei der Autogrammstunde lauter als ein Martinshorn.

Die aktuelle Staffel ist größtenteils vor dem Lockdown abgedreht worden. Dieses Corona-Gap treibt den Eskapismus-Faktor der Serie endgültig aus dem Referenzbereich: ein antiseptisches Deutschland, dessen Bewohner Lisa, Niklas und Hans-Peter heißen. Wo Ärztinnen immer Zeit für einen Patientenplausch haben und die größte Sorge das bevorstehende Auslandssemester ist. Ein Deutschland, in dem das Polytrauma Pandemie noch nicht stattgefunden hat - gibt es ein wirkungsvolleres Sedativum zur Nacht?

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Inzwischen wird wieder gedreht in der Leipziger Mediacity, drei weitere Staffeln sind bestätigt. Dass für das Team von IaF ansonsten wenig wie vorher ist, ging jüngst aus einer E-Mail hervor, die die Welt öffentlich machte. Darin fordert die Produktionsfirma den Cast auf, am Set "auf privaten Körperkontakt zu verzichten, z. B. Küssen, Berührungen, Auffangen bei Ohnmacht". Und: "Schauspieler über 60 bitte sehr reduziert einsetzen bzw. eliminieren." Zwar ist die Vorgabe inzwischen wieder verworfen worden, der Bundesverband Schauspiel warnt dennoch vor Altersdiskriminierung. Im wahren Leben hört die Freundschaft schließlich irgendwann mal auf.

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