"Rechts. deutsch. radikal." auf Pro Sieben:Schamlos aus Prinzip

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Als Reporter in der rechten Szene unterwegs: Thilo Mischke. (Foto: ProSieben)

Eine aufwendig recherchierte Fernsehdokumentation zeigt das neue Selbstbewusstsein junger Rechtsradikaler - und dokumentiert verstörende Ansichten eines AfD-Funktionärs.

Von Jens Schneider, Berlin

Es ist eine Reise in eine beklemmende Welt, zu der sich der Reporter Thilo Mischke aufmacht. Und am Anfang seiner außergewöhnlichen Doku "Pro Sieben Spezial: Rechts. Deutsch. Radikal." könnte der Eindruck entstehen, dass eine schlichte Grusel-Story präsentiert wird, die mit schockierenden Aufnahmen einen kurzen düsteren Schauder auslöst. Mit Bildern von Angst einflößenden, krude tatöwierten Neonazis, aufgenommen bei einem rechten Rockfestival in Ostritz in Ostsachsen. Verstörende Gestalten wie aus einem Panoptikum der Extreme sind da zu sehen, die man lange als Randerscheinung abgetan hat. Aber das ist nur der Anfang dieser langen Reise durch Deutschland. Am Ende steht ein bemerkenswerter Film, der über die Länge von zwei Stunden anschaulich macht, dass diese und andere Bilder Ausdruck einer zunehmend gefährlichen Normalität in diesem Land sind.

"Man geht aus der Deckung, man ist selbstsicher." So beschreibt der Chef des Thüringer Verfassungsschutzes Stephan Kramer in diesem Film die immer breiter und selbstbewusster werdende rechtsextreme Szene. Er mache sich mittlerweile "ernsthafte Sorgen um unsere Demokratie". Diese unverhohlene Selbstsicherheit im Auftreten verbindet die Rechtsextremen, die der Reporter Mischke für die Doku an diversen Orten begleitet. Er macht aus seiner Distanz zu ihrer Haltung in den Gesprächen keinen Hehl, aber bringt sie durch seine Gesprächsführung doch dazu, ihre krude Weltsicht zu offenbaren. Und sei es dadurch, dass sie auf bestimmte Fragen etwa zum Zweiten Weltkrieg oder zum Antisemitismus ausdrücklich vage antworten und sich demonstrativ daran erfreuen, dass man ihnen einfach alles zutraut.

Gezeigt wird, wie vernetzt und breit das Spektrum ist, vom Versandhandel mit rechten Werbeartikeln bis zum Betreiber eines Kampfsportstudios mit klarer politischer Ausrichtung. Der gemeinsame Kampfsport verbindet rechtsextreme Männer, und dabei geht es immer auch darum, Nachwuchs zu rekrutieren. Der Zuschauer lernt einen Dortmunder Rechtsextremisten kennen, der mit seinen Kampfsport-Veranstaltungen bundesweit tätig ist und sich keine Mühe gibt, seinen politischen Hintergrund zu verbergen. Von ihm erfährt man auch, wie die rechte Hooliganszene junge Fußballfans anzieht.

Achtzehn Monate hat der Reporter Mischke in der Szene recherchiert, die Ausschnitte von Demos und Konzerten sind nur der Ausgangspunkt für persönliche Treffen. Etwa mit einem noch jungen Rechtsextremen, der sich als Teil einer "Jungen Revolution" sieht und sich große Hoffnungen macht. Mischke begegnet rechten Bloggern und Influencern; er begleitet auch den Brandenburger AfD-Abgeordneten Dennis Hohloch, der sich moderat rechts gibt, aber den inzwischen aus der Partei ausgeschlossenen Rechtsextremisten und langjährigen Landesvorsitzenden Andreas Kalbitz als guten Freund bezeichnet. Hohloch war es, daran wird am Ende des Films erinnert, der in diesem Sommer durch einen angeblich freundschaftlichen Hieb von Kalbitz einen Milzriss erlitt.

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Der Film wirkt besonders eindrücklich, wo er auf Spektakel und Zuspitzung verzichtet. Dennoch bleibt eine Episode besonders in Erinnerung, an deren Ende einem namentlich nicht genannten AfD-Spitzenfunktionär Aussagen zugeschrieben werden, die politisch nachhallen werden.

Gezeigt wird zunächst die junge Youtuberin Lisa Licentia, die im Netz eine Art rechter Star geworden ist, vor allem durch ihre extrem emotionalen Filme, die von offener Fremdenfeindlichkeit geprägt sind. Sie fühlte sich der AfD verbunden und wurde von der Partei hofiert; Mischke und sein Team begleiten sie beim Besuch einer Veranstaltung der Bundestagsfraktion. Danach aber will sie sich, so sagt sie dem Reporter unter Tränen, abkehren von ihren rassistischen Aussagen und die AfD entlarven als das, was die Partei wirklich sei.

Diese Szene wirkt wie Polit-Kitsch, wenig später aber wird über einen Dialog berichtet, den der Zuschauer nicht im Original hört: Das Filmteam beobachtet ein Treffen der Frau mit einem AfD-Funktionär in einem Lokal, ohne dessen Wissen. Der Funktionär wird nicht namentlich genannt, er wird als Person nicht gezeigt. Aber es wird klar, dass es sich um jemanden handelt, der in der Bundestagsfraktion der AfD an wichtiger Position tätig ist, zumindest zu dem Zeitpunkt des Gesprächs.

Nun wird nacherzählt, wie der Parteifunktionär mit dem AfD-Fraktionschef Alexander Gauland telefoniert habe. Danach sind Aussagen des Mannes zu hören, die - so erklärt Pro Sieben - ohne sein Wissen notiert wurden. Im Vertrauen auf das Einverständnis seiner Zuhörerin spricht der Funktionär den Zitaten zufolge über die Strategie der Partei: Es müsse Deutschland schlechter gehen - je schlechter, desto besser für die AfD. Die AfD müsse dafür sorgen, dass es Deutschland schlechter gehe.

Dann folgen unfassbare Zitate über Migranten, die ins Land kommen. "Wir können die nachher immer noch alle erschießen", soll der Mann gesagt haben. "Das ist überhaupt kein Thema. Oder vergasen, oder wie du willst. Mir egal!" Der Sender versichert auf Nachfrage, dass ihm eidesstattliche Erklärungen von Menschen vorliegen, die das so mitgehört hätten. Am Wochenende wurde über dieses Zitat bereits in verschiedenen Medien berichtet. Ein Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion erklärte am Sonntagmittag, dass man den Film bisher nicht kenne und deshalb auch nicht kommentieren könne.

"Rechts. deutsch. radikal.", ProSieben, Montag, 20.15 Uhr.

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