"Ein Tag im August" im ZDF:"Der Westen war für mich nicht goldig"

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Die junge Ostberlinerin Ingrid Taegner (Sandija Dovgāne) nimmt über den neu gezogenen Grenzzaun Kontakt mit ihrem Vater im Westen auf. (Foto: Andrejs Strokins/ZDF)

Das Doku-Drama erzählt vom Mauerbau zwischen Ost- und West-Berlin vor 60 Jahren - aus der Perspektive von Zeitzeugen.

Von Francesca Polistina, Berlin

Jede Wende kommt unerwartet. Der 12. August 1961, ein Samstag, ist ein stinknormaler Tag, Ingrid Taegner besucht mit ihrem Mann und ihrem Kind Freunde, die nach West-Berlin geflüchtet sind. Es ist Sommer, die zwei Familien verbringen ein paar angenehme Stunden zusammen, vielleicht nicht ganz sorgenfrei, es herrscht doch Kalter Krieg, aber zumindest mit nettem Geplauder. Die Zahl der Menschen, die "rübermachen", steigt kontinuierlich, ob sie nicht bei ihnen in West-Berlin bleiben wollen, fragen die Gastgeber zum Schluss. Am Landwehrkanal, wenige Meter von der Grenze entfernt, lebt Ingrid Taegner mit der Familie in einer schönen, neuen Wohnung, niemals würde sie ihr Zuhause aufgeben, warum auch? Sie hat einen Job als Lehrerin, den sie im anderen Teil der Stadt höchstwahrscheinlich aufgeben müsste, in der DDR fühlt sie sich anerkannt und sicher. "Der Westen war für mich nicht goldig", sagt sie auf der Premiere des ZDF-Films Ein Tag im August - Mauerbau '61, und so ging es übrigens vielen. Taegner lehnt das Angebot ab und fährt nach Hause. Am Tag danach, als sie aufwacht, ist Berlin eine geteilte Stadt.

Ingrid Taegner ist eine der vielen Zeitzeugen, die im Doku-Drama Ein Tag im August - Mauerbau '61 zu Wort kommen. Zu den anderen gehört eine Frau, deren Flucht im allerletzten Moment durch das Fenster gelingt, ein junger Tischler, der schon Monate zuvor im Westen untergetaucht war und an jenem Abend seine Kumpel wiedersehen will und somit im Osten stecken bleibt, oder ein Mitglied der Kampfgruppe, das an die Bernauer Straße geschickt wird, um dort die Grenze zum Westen zu sichern. Ganz normale Menschen also, die nun, genau sechzig Jahre später, von den Stunden unmittelbar vor und nach dem Bau der Mauer erzählen - mit vielen einprägsamen Erinnerungen.

Die vielen Details der Erzählungen erzeugen eine große Nähe zum Publikum

Nun ist es so, dass die vielen Details vieles besser vorstellbar machen, und das wiederum schafft die ersehnte Nähe zum Publikum. Eine Nähe, die hier explizit gesucht wird: Die Protagonisten schauen direkt in die Kamera und somit die Zuschauer an, ihre starken Erzählungen werden nicht nur mit beeindruckendem Archivmaterial, sondern auch mit gespielten Szenen kombiniert: "Der große Reiz dieser Geschichte liegt darin, für den Zuschauer etwas schier Unvorstellbares greifbar zu machen", sagt Florian Huber, der zusammen mit Sigrun Laste Regie geführt hat. Man fragt sich nur, ob die szenische Dokumentation, die den Unterhaltungswert des Dramas mit dem aufklärerischen Aspekt der Doku kombiniert, die geeignete Lösung ist, um komplexe Inhalte wie diesen greifbar und verständlich zu machen. Zumal die stärksten Szenen im Film nicht gespielt werden, sondern aus dem Archivmaterial stammen - das historische Filmmaterial und die Interviews hätten also gereicht, um den Film für ein großes Publikum attraktiv zu machen.

Manfred Migdal, der junge Tischler aus dem Doku-Drama, sagt auf der Filmpremiere in Berlin, dass man sich kaum vorstellen kann, wie klein er sich damals fühlte, wie gebunden ihm die Hände über das eigene Schicksal gewesen seien. Es braucht keine nachgespielten Szenen, um das Ausmaß dieser Tragödie zu begreifen.

Ein Tag im August - Mauerbau '61 , ZDF, 10. August, 20.15 Uhr, von Sonntag an in der Mediathek .

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