Packendes Drama im Ersten zum Mauerbau:Wenn es kein Zurück mehr gibt

3 1/2 Stunden

Auf dem Rückweg aus dem Westen: die Sängerin Carla (Alli Neumann) mit ihren Bandmusikern Siggi (Karl Schaper, li.), Peter (Johannes Meister) und Sasha Goldberg (Jeff Wilbusch, re.) .

(Foto: ARD Degeto/REAL FILM/AMALIA Film)

Der ARD-Spielfilm "3 1/2 Stunden" liefert ein überragendes Beispiel, wie fesselnd und spannend ein historisches Drama entworfen werden kann.

Von Joachim Käppner

Wurden Menschen in Ostberlin vor dem 13. August 1961 am Fahrkartenschalter der S-Bahn routinehaft gefragt, "mit Rückfahrt oder nur Hinfahrt?", dann entschied die Antwort mitunter über ein ganzes Leben. Man konnte in der DDR einsteigen und im Westen aussteigen nach nur wenigen Minuten Fahrt. Bevor die SED-Diktatur unter ihrem Staatsratsvorsitzenden Walter Ulbricht an jenem 13. August die Sperranlagen durch Berlin ziehen ließ, hatten gut drei Millionen Menschen "rübergemacht" in den Westen, wie man damals sagte. Zugleich war die Mauer auch die endgültige Niederlage für die Hoffnungen vieler, der sozialistische Staat könne ein besseres Deutschland werden als die Bundesrepublik, die noch im restaurativen Muff der Ära Adenauer steckte.

Das ist der Hintergrund, vor dem im ARD-Spielfilm 3 1/2 Stunden am Morgen des 13. August 1961 der Interzonenzug von München nach Berlin fährt. Dreieinhalb Stunden, dann hat er die Zonengrenze erreicht. Der Film unter der Regie von Ed Herzog verfolgt das Schicksal eines guten Dutzends der Reisenden, die meisten DDR-Bürger. Im Transistorradio hören sie plötzlich aufgeregte Nachrichtensprecher: Ulbricht baut eine Mauer!

Eine Band aus Ostberlin, ein altes Ehepaar, eine Familie mit zwei Kindern

Dreieinhalb Stunden haben sie Zeit, über ihr Leben zu entscheiden. Steigen sie nicht noch im Westen aus, wird es kein Zurück geben: eine Band aus Ostberlin. Ein altes Ehepaar mit sozialistischen Überzeugungen. Eine Familie mit zwei Kindern, sie die loyale Tochter eines früheren Widerstandskämpfers gegen die Nazis, der im Konzentrationslager saß und nun als DDR-Offizier Soldaten schickt, um den Mauerbau zu überwachen, er ein Skeptiker, den die Freiheit lockt.

Die ARD-Tochterfirma Degeto steht nicht immer in dem Ruf der ersten Adresse für anspruchsvolle Themen. Aber ihr 3 1/2 Stunden ist ein fesselndes, spannendes historisches Drama, wie man es im Fernsehen lange nicht mehr gesehen hat: Was werden die Menschen tun? Ihnen bleibt immer weniger Zeit, der Zug rollt auf die DDR zu, was immer sie entscheiden, es wird ihre Zukunft für immer verändern.

Und hier wie dort wirkt noch das Gift, das die Nazidiktatur in den Köpfen vieler Deutscher hinterlassen hat, was der Film immer wieder wie beiläufig aufgreift - beispielsweise den Blick, mit dem ein bayerischer Großvater seinen dunkelhäutigen Enkel betrachtet, offenbar Kind eines afroamerikanischen US-Soldaten. Viel mehr als diese Sekunde voll seelischer Kälte braucht der Film nicht, um ahnen zu lassen, wie schwer es der kleine Junge haben wird in jener Bundesrepublik, die für alle Ostdeutschen die große Hoffnung ist.

Alle Figuren haben nichts Holzschnitthaftes und symbolisch Überfrachtetes

Liebevoll und detailgenau inszeniert der Film das Zeitkolorit. Ein tolles Schauspielerteam verleiht ihm Leben und Authentizität - besonders Jeff Wilbusch und Alli Neumann als junges ostdeutsches Paar mit traumatischer Geschichte, die für den in Israel geborenen Wilbusch übrigens einen starken familiären Hintergrund hat. Martin Feifel glänzt als grantiger, vom Leben gebeutelter Münchner Kriminalpolizist, der bei seiner Suche nach einem Verdächtigen all das deutsche Drama kaum an sich heranlässt. Szenen aus Berlin und die Geschichte einer DDR-Lokführerin, die ebenfalls vor einer Entscheidung steht, sind hineingestreut, und all diese Figuren haben nichts vom Holzschnitthaften und symbolisch Überfrachteten, das öffentlich-rechtliche Geschichtsproduktionen nicht selten ein wenig quälend macht.

So oder ähnlich ist es wohl gewesen an jenem Tag im August. Dieser anrührende Film ist trotz unvermeidlicher Verkürzungen ein Highlight des Fernsehjahres und erinnert manchmal an Christa Wolfs Roman "Der geteilte Himmel", wo es heißt: "Früher suchten sich Liebespaare vor der Trennung einen Stern, an dem sich abends ihre Blicke treffen konnten. Was sollen wir uns suchen?"

"3 1/2 Stunden", ARD-Mediathek

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