Wahl im Fernsehen:Eins, zwei, drei

Lesezeit: 4 min

Reglementiert und kritisiert: Das Duell zwischen Angela Merkel und Martin Schulz 2017 mit den Moderatoren (v.l.) Sandra Maischberger (ARD), Claus Strunz (Pro Sieben Sat1), Maybrit Illner (ZDF) und Peter Kloeppel (RTL). (Foto: Herby Sachs/dpa)

Aus dem "TV-Duell" wird ein "Triell", die Öffentlich-Rechtlichen bekommen Konkurrenz vom "Dschungelcamp"-Sender, und der WDR hat das Rennen schon jetzt gewonnen. Die TV-Pläne zur Wahl.

Von Claudia Tieschky

Seit 2002 gehört zu den Bundestagswahlen in Deutschland mindestens ein zentrales Duell der Kanzlerkandidaten. Eine Veranstaltung, bei der die Sprechzeit mit der Stoppuhr gemessen wird und die gleich mehrere Sender übertragen. Etabliert haben sich weitere TV-Fragerunden vor Publikum, die von den Sendern mit Begriffen wie "Townhall" oder "Arena" beworben werden. So weit, so staatstragend, und eben auch meistens: so fad.

Dass die TV-Rituale vor Bundestagswahlen trotzdem ihren Reiz haben, liegt nicht unwesentlich an dem Überraschungsgast, der dabei verlässlich aufkreuzt. Nicht auf politischer Seite, sondern im Mediengeschäft. Ein unerwarteter Mitspieler, der die Hoffnung weckt, dass diesmal vielleicht etwas anders wird.

Der WDR hat also jetzt das allererste "Triell der TV-Geschichte": Sehr, sehr lange vor der Wahl

2013 zum Beispiel schickte Pro Sieben seinen schlauesten Entertainer ins Politikgeschäft. Der Sender entsandte Stefan Raab als Moderator ins TV-Duell zwischen Angela Merkel und Peer Steinbrück. Die Überraschung war dann eher die: Raab blieb als Interviewer neben Anne Will, Maybrit Illner und Peter Kloeppel erstaunlich unauffällig. 2017 übernahmen vier Youtuber die Rolle des Überraschungsgastes; sie befragten im Auftrag der Pro-Sieben-Tochter Studio 71 nacheinander erst Angela Merkel und in einer zweiten Sendung Martin Schulz zum Beispiel zu Cannabis, aber auch entschieden zu Integration, Klima, sozialer Gerechtigkeit. Der Überraschungswert lag vor allem darin, wie alt das normale Fernsehen mit seinem TV-Duell dagegen plötzlich wirkte.

"Jetzt sind wir schon wieder sehr politisch geworden": Pro-Sieben-Moderatorenduo Linda Zervakis und Louis Klamroth. (Foto: Michael de Boer/Axel Martens/ ProSieben)

Diesmal, vor der Wahl am 26. September, geht die Überraschungsrolle nach jetzigem Stand an den Sender Pro Sieben. Schon deshalb, weil der in puncto Information bislang nicht unbedingt wahnsinnig ambitionierte Sender überhaupt unmittelbar nach der Kandidatenkür von Union und Grünen Interviews mit Annalena Baerbock, Olaf Scholz und Armin Laschet in der Primetime sendete. Mindestens überraschend war dabei auch das in Polit-Interviews eher unübliche Beifallklatschen, mit dem Katrin Bauerfeind und Thilo Mischke, die Moderatoren des Gesprächs, Baerbock verabschiedeten.

Und dann war da noch die unerwartete Anwerbung der früheren Tagesschau-Sprecherin Linda Zervakis, die im Interview mit Armin Laschet nebenbei klarmachte, was beim Unterhaltungssender Pro Sieben wirklich zählt: "Jetzt sind wir schon wieder sehr politisch geworden, wir wollen wieder zurück zu dem Menschen Armin Laschet." Hier sollte keinesfalls jemand durch Verbissenheit abgeschreckt werden, weshalb es viel zu oft oberflächlich und ganz ohne ersichtlichen Grund plötzlich verständnisvoll wurde. Trotzdem funktionieren Zervakis und ihr Co-Moderator Louis Klamroth, der als Polit-Talker bei n-tv bekannt wurde, atmosphärisch gut miteinander. Dass in den Interviews der beiden mit Scholz und Laschet auch peinliche oder gescheiterte Momente entstanden, wirkte gelegentlich fast wie der Beweis einer Risikobereitschaft, die das etablierte öffentlich-rechtliche Talkpersonal schon länger nicht mehr aufbringt.

Werden die Öffentlich-Rechtlichen von den Privaten links, rechts und im FDP-Mobil überholt?

Und manchmal auch gar nicht kann: Das gemeinsame TV-Duell zwischen Merkel und Schulz von ARD, ZDF, RTL und der Pro-Sieben-Gruppe machte 2017 genau den Eindruck dessen, was es auch war: eine journalistische Notlösung unter starren Vorgaben aus dem Kanzleramt. Gewünscht hatten sich die Sender zwei Duelle, ein öffentlich-rechtliches und ein privates, sie waren damit an Merkels Team gescheitert. Die Wahlshow hatte in jeder Hinsicht einen hohen Frustfaktor und endete mit der niederschmetternden Bilanz der Sender, ein TV-Duell müsse künftig wirklich anders aussehen.

Das wird es nun tatsächlich, schon weil es kein Duell mehr ist. Schon bevor die Parteien entschieden hatten, wen sie in den Wettbewerb ums Kanzleramt schicken, hatte RTL angekündigt, auch die Grünen vor der Wahl zum Schlagabtausch der Kanzlerkandidatinnen und -kandidaten einzuladen. Mit dem "Triell" will der Privatsender, wie er an diesem Mittwoch mitteilte, "den Menschen einen echten Mehrwert für ihre Wahlentscheidung geben und für einen spannenden, aufregenden TV-Abend sorgen, der der Wichtigkeit dieser Wahl für unser Land gerecht wird". Der Clou aus Sicht von RTL ist der Sendetermin am 29. August um 20.15 Uhr, also zwei Wochen vor dem von ARD und ZDF benannten Termin für den Schlagabtausch der Kanzlerkandidatin und der -kandidaten. Das laut Pressemitteilung "erste Wahl-Triell" soll bei RTL, der Sendertochter n-tv und weiteren konzerneigenen Plattformen laufen.

Auch ein Treffen auf Social Media ist offenbar gerade in der Abstimmung

Pro Sieben plant über die bereits gesendeten Interviews hinaus noch "mehrere neue Programme im Vorfeld der Bundestagswahl", teilt ein Sprecher auf Anfrage mit. "Die Formate und Programme werden wir in den nächsten Wochen ankündigen."

Die bisher so unterhaltsamen deutschen Privatsender haben in den vergangenen Monaten ja einiges angekündigt, was ihnen den Ruf einer neuen Ernsthaftigkeit einträgt: Pro Sieben baut sogar wieder eine eigene Nachrichtenredaktion auf. Ein Mehrwert neben dem Abspielen von Filmen und Serien - und der Streaming-Konkurrenz - ist wieder ausdrücklich erwünscht. Was ist denn da los? Ist Politik das neue Dschungelcamp? Da haben ARD und ZDF jahrelang versucht, so unterhaltsam zu sein wie die Privatsender, und jetzt werden sie von den Quotenmonstern links, rechts oder vielleicht sogar im FDP-Mobil überholt? Noch sind das nur wilde Träume. Demokratisch wertvoll wäre mehr Info neben den Öffentlich-Rechtlichen auf jeden Fall. Jetzt muss nur noch geliefert werden.

Dass das Rennen eröffnet ist, merkt man auch daran, dass der WDR schon das wirklich allererste "sogenannte Triell der TV-Geschichte" ankündigte - allerdings bereits an diesem Donnerstag und damit lange vor der Wahl "im Rahmen des WDR-Europaforums", wie es im Kleingedruckten hieß. Auch ein "Triell" der drei Kandidaten für Social Media ist dem Vernehmen nach in Abstimmung, eine Dreierrunde, die auf Youtube, Facebook und anderen Kanälen verbreitet werden soll.

Das öffentlich-rechtliche "Triell" von ARD und ZDF soll dann am 12. September stattfinden, neunzig Minuten lang live und von Maybrit Illner, ZDF, und Oliver Köhr moderiert. Köhr ist ARD-Chefredakteur und er hat zusammen mit Tina Hassel den Kanzlerkandidaten Armin Laschet in der Sendung Farbe bekennen direkt nach der Kandidatenkür der Union befragt. Das Interview beendete Köhr mit den Worten: "Am Tag, an dem die Union geklärt hat, dass Armin Laschet ihr Kanzlerkandidat wird. Um Himmels Willen, heißt die nachfolgende Sendung." Das war womöglich unterhaltsam gemeint.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Talkshow
:Grill den Laschet auf Pro Sieben

Nach Baerbock und Scholz nahm nun der Kanzlerkandidat der Union auf dem heißen Stuhl des Unterhaltungssenders Platz. Doch die kritische Temperatur erreichten die Moderatoren nicht.

TV-Kritik von Holger Gertz

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: