Treffen sich die deutsche Verteidigungsministerin und der österreichische Innenminister bei Anne Will. Sagt Will: Die Menschen in Österreich haben sich bei der Präsidentschaftswahl ganz knapp gegen einen rechtsnationalen Populisten und für einen emeritierten Volkswirtschaftsprofessor entschieden. Sagt die deutsche Verteidigungsministerin: "Groll und Wut gegen Europa und das Establishment muss man ernst nehmen." Sagt der österreichische Innenminister: "Österreich ist eine gereifte demokratische Landschaft."
Was bis vor einigen Jahren noch nach einem düsteren und etwas komplizierten Witz geklungen hätte, ist im Dezember 2016 längst europäische Wirklichkeit. Nach einem von persönlichen Tiefschlägen und einer Loriot-würdigen Posse um nicht schließende Briefwahlkuverts geprägten Wahlkampf hat Österreich nun also mit Alexander Van der Bellen einen neuen Präsidenten. Hätte sein FPÖ-Konkurrent Norbert Hofer gewonnen, wäre in den Leitartikeln vom nächsten Sargnagel in der europäischen Idee die Rede gewesen.
Präsidentenwahl:Österreich hat auf sich selbst aufgepasst
Der Sieg Van der Bellens ist nicht das Ende des Populismus zwischen Rocky Mountains und Karpaten. Aber er zeigt, dass eine Person, die gegen den neuen Nationalismus Stellung bezieht, überzeugen kann.
Auch "Anne Will" nimmt am Sonntag deshalb das große Ganze in den Blick ("Europa auf der Kippe - Welche Werte einen uns noch?"). Die CDU-Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen sagt Bingo-Sätze wie "Europa muss seine Hausaufgaben machen" oder "Europa ist nur so gut, wie wir uns für dieses Europa einsetzen".
Österreichs konservativer Innenminister Wolfgang Sobotka sekundiert mit Einschätzungen wie "Die großen Themen erledigt die Europäische Union nicht". Die ersten Minuten der Sendung deshalb: strukturschwach.
Wieso Hofer die Wahl irgendwie doch gewonnen hat
Dann aber kommen die anderen beiden Gäste mehr zum Zug. Journalist Dirk Schümer von der Welt seziert die großen Unterschiede innerhalb der Europäischen Union, erinnert an die arbeitslosen jungen Menschen im Süden und die vielen ungelösten Probleme in der Währungspolitik. Zu Österreich sagt Schümer: "Wahrscheinlich hat Hofer die Wahl irgendwie doch gewonnen - indem Österreich die Balkanroute für Flüchtlinge geschlossen hat. Der Hauptprogrammpunkt der FPÖ ist damit zur allgemeinen Politik geworden."
Auch zur Frage, warum die Europäische Union derart schwächelt, hat Schümer (er schreibt von Venedig aus über "europäische Themen") eine klare Meinung. Starke Nationalstaaten seien seit jeher die entscheidenden Spieler in diesem Europa. "Frau Merkel glaubt doch offenbar auch nicht mehr an Brüssel, sonst würde sie nicht alles selber machen."
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Ulrike Guérot, Professorin für Europapolitik, sieht den Aufstieg rechtspopulistischer Bewegungen mit Sorge. Der Wahlkampf der FPÖ sei gegen die Freiheit und gegen die Menschenwürde gerichtet gewesen. Einst unaussprechliches und menschenverachtendes Vokabular werde langsam wieder akzeptabel.
Das wiederum passt dem österreichischen Innenminister nicht, der sich beschwert: "Fast die Hälfte der Österreicher als minderbemittelt darzustellen, das geht nicht". So geht es hin und her. Als die Wissenschaftlerin Guérot schließlich für eine Überwindung der Nationalstaaten plädiert, lächelt Will ihr "Genau dafür haben wir Sie eingeladen"-Lächeln.
Von der Leyen distanziert sich von Merkels "Wir schaffen das"
Von europäischen Werten und der Frage, was genau das angesichts zerstrittener Protagonisten zwischen Budapest und Berlin sein könnte, ist freilich kaum die Rede. Stattdessen: politische Botschaften. Ursula von der Leyen distanziert sich - hübsch zufällig einen Tag vor Beginn des CDU-Parteitags - von Angela Merkels einstiger Losung "Wir schaffen das". Der Satz sei "falsch". Außerdem müsse viel offener diskutiert werden, findet die Verteidigungsministerin: "Bei den großen Problemen hat es oft einen großen Konsens gegeben. Der macht aber faul."
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Österreichs Innenminister Sobotka stöhnt, dass neunzig Prozent der Flüchtlinge in seinem Land direkt in die Sozialhilfe gehen würden. Nach dem Wahlkampf ist vor dem Wahlkampf.
Als die Sendung gerade ein paar Minuten vorbei ist, kommen die ersten Eilmeldungen vom abgelehnten Verfassungsreferendum in Italien. Später am Abend kündigt Ministerpräsident Matteo Renzi seinen Rücktritt an. Nein, für Fans der Europäischen Union und ihrer Idee sind die Zeiten wirklich nicht einfach.