Da stimmt doch was nicht. Allein im Politikressort von Süddeutsche.de laufen zwei Kolleginnen mit runden Bäuchen herum. Der eine stellvertretende Chefredakteur ist gerade aus der Elternzeit zurück, der andere stöhnt: "Ich bin umgeben von Kindern - wo ich auch hingehe!" Redaktionsübergreifend sind in den vergangenen zwei, drei Jahren mindestens zehn Kinder auf die Welt gekommen. Der betriebseigene Kindergarten? Chronisch ausgebucht.
Viel ist die Rede von Kindern und Eltern im Berliner In-Viertel Prenzlauer Berg - dabei bekommen Frauen im unspektakulären Cloppenburg viel mehr Nachwuchs.
(Foto: Getty Images)Sind Onlinejournalisten besonders anfällig für Schwangerschaften? Glauben wir nicht. Auch in der wirklichen Welt tummeln sich junge Mütter und Väter. Eine Blitzumfrage unter Kollegen und Freunden beweist: Jeder kann mindestens zwei Schwangere in seinem Freundeskreis nennen. Und manche der Frauen bekommen nicht nur das erste oder zweite, sondern sogar schon das dritte Kind. Der Wahnsinn, in München einen Kita-Platz zu bekommen, ist Stadtgespräch.
Wie passt das mit den Zahlen zusammen, die seit Anfang des Monats die politische Debatte mitbestimmen? Deutschland hat, so ist zu hören, eine der niedrigsten Geburtenraten in Europa, und zwar schon seit Jahrzehnten. Im vergangen Jahr kamen 15.000 Babys weniger auf die Welt als 2010. Die Zahl der Geburten sank damit um mehr als zwei Prozent. Familienpolitiker aus der Union nutzten das für einen Angriff auf das Elterngeld, den Angela Merkel jedoch deckelte.
Noch dramatischer wird die Statistik, wenn sie in den historischen Kontext gesetzt wird: 663.000 Kinder kamen in Deutschland im Jahr 2011 zur Welt. Das sind nicht einmal halb so viele wie Mitte der sechziger Jahre.
"In Deutschland werden immer weniger Kinder geboren!", rufen die Statistiker. "Kinder, überall Kinder!", denken wir. Wie kann das sein? Woran liegt es, dass die persönliche Wahrnehmung so deutlich von den Fakten abweicht? Dafür gibt es mehrere Gründe.
[] Mütter werden immer älter
"Frauen bekommen heute im Durchschnitt mit 29/30 Jahren ihr erstes Kind", sagt Michaela Kreyenfeld, Bevölkerungswissenschaftlerin am Max-Planck-Institut (MPI) für Demografische Forschung in Rostock. Das Alter für die erste Geburt sei in allen Bildungsgruppen in den vergangenen Jahren angestiegen. Während beruflich geringqualifizierte Frauen dabei tendenziell immer noch eher in den Zwanzigern das erste Kind zur Welt brächten, seien die Dreißiger das Alter, "wo die Akademiker loslegen", wie es die Demografie-Professorin formuliert.
Das gilt vor allem auch für München, wo Frauen im Durchschnitt erst im relativ hohen Alter von 32,4 Jahren ihr erstes Kind bekommen, weiß Stephan Kühntopf vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung in Wiesbaden.
Kein Wunder also, wenn gerade Menschen mit akademischem Hintergrund in den Dreißigern oder frühen Vierzigern von sinkenden Geburtenzahlen wenig mitbekommen: Selbst wenn sie keine eigenen Kinder haben, sehen sie sich in diesem Alter mit dem zahlreicher werdenden Nachwuchs von Freunden und Bekannten konfrontiert.
[] Kinderreiche und kinderarme Orte
"So viel Neugeborene wie seit 1968 nicht mehr", jubelte die Münchner Abendzeitung Ende Dezember 2011. Von einem "Geburten-Rekord 2011" war die Rede. Auch Süddeutsche.de schrieb über die "Baby-Boom-Town". Und in einem Städteranking, in dem das Männermagazin Men's Health 2010 eigens den Bevölkerungsanteil der unter Sechsjährigen verglichen hatte, lag die bayerische Landeshauptstadt mit fast sechs Prozent auf Platz eins von 50 aufgelisteten Städten .
Die Erklärung für den Münchner Babyboom ist relativ schlicht: "München hat hohe Geburtenzahlen, aber da leben auch sehr viele junge Frauen", sagt Sebastian Klüsener, Experte für Historische Demografie am Rostocker MPI.
Der für Demografen und Politiker allerdings interessantere Wert ist in der bayerischen Landeshauptstadt allerdings nicht besonders hoch, nämlich die Geburtenrate. Sie beschreibt das Verhältnis der Neugeborenen zur Anzahl der Frauen, die potenziell Mütter werden könnten. Hier liegt München mit etwa 1,3 Kindern pro Frau im Mittelfeld, ähnlich wie vergleichbare Großstädte wie Hamburg oder Berlin.
Was das Verhältnis der vorhandenen gebärfähigen (wie es so hübsch heißt) Frauen zur Zahl der Geburten angeht, liegt schon seit Jahren eine Region in Niedersachsen an Platz eins - unangefochten und ziemlich unaufgeregt: der Landkreis Cloppenburg. Die grundsätzlich große Familienorientierung in dem ländlich-katholisch geprägten Raum, ist Klüsener zufolge dafür verantwortlich.