Tango-Weltmeisterschaft:Alles Tango

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Bis vor ein paar Jahren galt der körpernahe Pas de deux als Relikt der Großeltern. Bei der WM in Buenos Aires treten nun auch viele junge Tango-Tänzer an.

Peter Burghardt

Der Hosenträger rutscht. Ausgerechnet jetzt, da Augsburg in die Tango-Weltmeisterschaft eingreift. Mitten in Buenos Aires, wo dieser wunderbare Tanz erfunden wurde. Die Fuggerstadt wird vertreten von einer jungen Frau im roten Kleid und einem jungen Mann mit schwarzer Hose, schwarzem Hemd und Pepitahut. Bettina Stampfer stammt tatsächlich aus diesem Augsburgo, das nicht jeder Zuschauer kennen wird. Ramiro Romero ist Argentinier, beide sind 21. Die Psychologiestudentin Stampfer hat ihn während eines Auslandsjahres kennengelernt und ist die 11.500 Kilometer an den Rio de la Plata zurückgekehrt.

Der Tango ist nichts für Grobmotoriker: Hier wird Hingabe verlangt. (Foto: Foto: dpa)

Man kehrt immer zurück zur ersten Liebe, sagt der Tango. Nun wagen sich die Probanden zur Traummusik von Astor Piazzollas "Violentango" auf die Bühne des Clubs La Trastienda. Ihm hängt seit den ersten Schritten ein Gummizug neben der rechten Schulter, aber es geht weiter.

Die Courage der Teilnahme ist beachtlich, schließlich ist dies die WM. Der Rhythmus des Bandoneons aus schweren Boxen treibt das deutsch-argentinische Duo mit der Nummer 353 unter rotem Scheinwerferlicht über eine Plattform, die vor und nach ihnen einige der besten Tänzer des Planeten benutzen. Im schummrig beleuchteten Saal sitzen weitere Experten. Und auf der Empore des Lokals, in der mit Kopfstein bedeckten Calle Balcarce, entscheiden die Juroren darüber, wer die Vorrunde übersteht.

Vorbereitet wie Profis

Man konnte sich einfach im Internet anmelden, kostenlos. 427 Paare aus 25 Ländern taten es in den Disziplinen Salontanz und Bühnentanz, also improvisierte Figuren im Gedränge und Einzelduette nach eigener Choreographie. Beides ist mindestens ungewohnt für Novizen, die am allerliebsten daheim im Wohnzimmer tanzen und für diesen Härtetest nicht lange proben konnten.

Die meisten anderen haben sich ausführlich vorbereitet, manche wie Profis. Einige sind Berufstänzer bei Touristenshows wie gegenüber in La Ventana oder bei den Tanztreffs Milongas, die an Orten wie dem turnhallenartigen Sunderland Club, dem Café Ideal oder dem Salón Canning eine berauschende Renaissance erfahren.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie der Tango aus einem Halbschlaf erwacht ist ...

Tango-WM 2009
:Eins, zwei, Wiegeschritt

Der Tango ist aus einem Halbschlaf erwacht. Bei der Weltmeisterschaft in Buenos Aires sind auch spätere Jahrgänge zu Tausenden der unverhofften Sucht verfallen.

Der Tango ist seit einiger Zeit aus einem Halbschlaf erwacht. Bis vor ein paar Jahren galt der körpernahe Pas de deux als Relikt der Großeltern, inzwischen sind in Buenos Aires auch spätere Jahrgänge zu Tausenden einer unverhofften Sucht verfallen. Das Gipfeltreffen in diesen verblüffend warmen Tagen des südamerikanischen Spätwinters umrahmt die Stadtverwaltung mit einem Festival mit Unterrichtsstunden, Straßentango und Konzerten. Der seit der Wirtschaftskrise verlassene Prachtbau des Kaufhauses Harrods an der Einkaufsstraße Florida beherbergt die dazugehörige Messe mit Tangoschuhen, Tangohüten, Tango-CDs. Und die Elite bewirbt sich um Titel und das Preisgeld von 15000 Pesos, knapp 3000 Euro.

Perfektion bis in den kleinen Zeh. (Foto: Foto: AP)

Bis sich die Beine verknoten

Eine bayerische Schwäbin fällt dabei nicht weiter auf, der globale Boom hat allerlei Exoten an den Start gerufen. Selbst aus dem Land der Gastgeber, die mit ihren Heerscharen begnadeter Tangueros die Mehrheit stellen. Aus den 5000 Höhenmetern der Ureinwohnergemeinschaft Los Morteritos von Catamarca sind Letizia Argentina und Javier Herrera erst sieben Stunden lang mit dem Maulesel hinabgeritten und dann 2000 Kilometer mit dem Bus.

Rivalen kommen aus Queretaro in Mexiko, wo sich die ungefähr 100 Aktiven aus einer Million Einwohner alle kennen. Australien ist vertreten, Russland, die Salsa-Bastion Venezuela sowie gewohnt zahlreich Kolumbiens Medellín, wo Argentiniens Tangolegende Carlos Gardel 1935 im Flugzeug starb - seine Lieder überlebten. Und ganz besonders begeistert ist Japan, die Teilnehmer bringen bemerkenswertes Talent und offenbar hartes Training mit.

Man staunte, wie das Paar mit der Nummer 240 aus Osaka wirbelte, mindestens bis ins Halbfinale. Sie im blauen Samtkleid mit freiem Rücken, er im schwarzen Smoking. Laszive Drehungen, Scherensprünge, alles elegant und exakt. Die kulturelle Adaptionsleistung ist vermutlich ähnlich hoch einzuschätzen, als würden sich Argentinier beim Sumo-Ringen bewähren. Der mexikanische Galan mit dem Errol-Flynn-Schnurrbart und dem Zopf wiederum führte, drehte und schleuderte seine Begleiterin im Glitzerkleid zu "Los ojos del cielo" wie ein Sportakrobat über den Parcours, bis sich die Beine verknoteten.

Für Buenos Aires, für Augsburgo

Manche machen den Tango zu einem Eiskunstlauf ohne Eis, kreisen wie beim Rittberger. Traditionalisten bevorzugen die gemessene Gangart, die sanfte Erotik des Hinterzimmers, wo der Tango einst geboren wurde, tanzen mit ernsten Gesichtern voller Schwermut und Leidenschaft. Die Anzüge der Herren sind eng geschnitten oder etwas zu groß wie seinerzeit. Kostüme und Schminke der Damen sind leuchtend oder schlicht.

Alle beenden ihre Kür mit einer vereinten Pose zum Schlussakkord, sie in finaler Rückenlage. Die Künstler zaubern sagenhafte Vorträge auf die Bretter von La Trastienda oder das slowenische Parkettholz des Harrods. Den Argentiniern Maximiliano Cristiani und Belén Bartolomé donnern Jubelarien hinterher, er war 2008 WM-Zweiter.

Augsburg wird nach drei Minuten Piazzolla freundlich verabschiedet, der Hosenträger ist wieder geradegerückt. Bei den Finals am Samstag und Montag werden Bettina Stampfer und Ramiro Romero höchstwahrscheinlich nicht dabei sein. Aber sie sind zufrieden und wollen zu Argentiniens 200. Jubiläum 2010 wieder bei der WM Tango tanzen. Für Buenos Aires und für Augsburgo.

© SZ vom 29.08.2009/aro - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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