Dem Geheimnis auf der Spur:Der echte Popeye

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Pfeife im Mundwinkel, Stirnrunzeln und ein zugekniffenes Auge: Zwischen Frank "Rocky" Fiegel und dem echten Popeye gibt es einige verblüffende Ähnlichkeiten. (Foto: All mauritius images; Auszug aus: Southern Illinoisan, Carbondale, Illinois, 08 Apr 1979, Sun)

Im Netz kursieren Fotos von Seemännern, die das Vorbild für die berühmte Comic-Figur gewesen sein sollen. Doch wer war es wirklich?

Von Carolin Werthmann

Offenbar wusste Frank "Rocky" Fiegel vor seinem Tod, dass er zum Vorbild eines Comic-Helden geworden war. Aber dass aus seinem Gesicht und seiner Gestalt ein weltweites Popkulturphänomen werden würde, das Kinder irgendwann dazu brachte, Spinat zu lieben, konnte er nicht ahnen. Der Massenerfolg schwappte erst nach Fiegels Ableben 1947 über den Globus. Vielleicht hätte ihn dieser Erfolg auch gar nicht gekümmert. In der kleinen Welt des Frank "Rocky" Fiegel aus Chester, Illinois, im tiefsten Amerika am Mississippi River, gab es so etwas wie Erfolg nicht. Er hatte nicht einmal Geld für ein anständiges Grab, wurde zunächst anonym beigesetzt neben seiner Mutter, auf dem St. Mary's Catholic Cemetery in Chester. Heute steht auf dem Grabstein sein Name geschrieben, immerhin, jemand hat sich darum bemüht. Darunter eingraviert ist eine Zeichnung der Comic-Figur Popeye. Frank "Rocky" Fiegel soll der echte Popeye gewesen sein.

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Einige dürften sich erinnern, Stichwort Spinat: In der TV-Serie aus den Sechzigerjahren schluckt Popeye das grüne Zeug runter wie Bier und wird so stark, dass er seinen strunzblöden, aber monstergroßen Konkurrenten Bluto mit dem kleinen Finger k.o. schlägt. Popeye-Erfinder Elzie Crisler (E. C.) Segar soll in seiner Jugend Frank "Rocky" Fiegel begegnet und so beeindruckt von dessen Erscheinung gewesen sein, dass er sich später davon für Popeye inspirieren ließ. Segar ist in Chester aufgewachsen, die Gemeinde war klein, sie ist es heute noch. Die Leute kannten sich. Aber ist Frank "Rocky" Fiegel wirklich der, für den ihn alle halten?

Auch dieser Mann verzettelte sich öfter in Schlägereien

Zuletzt tauchte in den sozialen Netzwerken immer wieder ein Foto auf, das die Debatte um den "echten Popeye" überhaupt erst aufleben ließ. Zu sehen ist ein junger Mann mit verknautschtem Gesicht, Pfeife im Mund, Seemannsmütze und wenig Haaren. Das genügte eifrigen Twitter-Nutzern, um zu behaupten, der Kerl sei Popeye. Mit ein wenig Recherche kann das widerlegt werden. Das Foto ist auf der Website des Imperial War Museums in London zu finden und zeigt einen namenlosen Matrosen zur Zeit des Zweiten Weltkriegs. Popeye gibt es aber schon länger.

Interessanter hingegen ist ein alter Zeitungsartikel des Southern Illinoisan, datiert auf den 8. April 1979. "Chester Man accepted as real-life Popeye was a brawler, loved kids", heißt es da in der Überschrift, die im Deutschen etwa lauten könnte: "Raufbold aus Chester als echter Popeye bestätigt, liebt Kinder". Bebildert ist der Artikel mit dem unscharfen Foto eines glatzköpfigen älteren Herrn im Hemd, mit Pfeife im Mundwinkel, zugekniffenem Auge und Runzeln im Gesicht. Das also ist Frank "Rocky" Fiegel. Ein Gelegenheitsjobber, ein herziglicher Chaot, so beschreibt ihn der Autor. "Rocky" Fiegel verzettelte sich öfter in Schlägereien, aber nur, um für Ordnung zu sorgen. Manchmal lungerte er einfach nur auf den Straßen von Chester herum, ein ewiger Single, der bei seiner Mutter lebte, bis sie starb. Die Einwohner von Chester nahmen ganz selbstverständlich an, dass Fiegel die Inspiration für Popeye gewesen sein muss. Diese Ähnlichkeit sei doch verblüffend.

Eine Produktionsfirma will die Kultfigur jetzt wiederbeleben

Popeye, der leicht untersetzte Matrose mit den zu kurzen Beinen und den ungesund dicken Unterarmen, war ursprünglich nur als Nebenfigur gedacht und erschien erstmals 1929 in der Serie "Thimble Theatre" (Fingerhutbühne) von E. C. Segar, abgedruckt im New York Journal. Segar hatte zuvor für den Chicago Herald gearbeitet und Charlie-Chaplin-Cartoons gezeichnet. In New York ließ er nun Comicfigur Olive Oyl, eine groß gewachsene Schwarzhaarige mit Beinen und Armen so lang und biegsam wie ein Gartenschlauch, in jener entscheidenden Folge mit ihrem Bruder Castor Oyl und ihrem Freund Ham Gravy nach einem fähigen Seemann suchen. Auftritt Popeye. "Bist du ein Matrose?", fragt das Trio ihn. "Seh ich aus wie'n Cowboy?", antwortet Popeye.

Fortan konzentrierte sich E. C. Segar vor allem auf Popeye, zumindest so lange er konnte. Segar starb 1938 mit Anfang 40 an Leukämie und hinterließ seinen Nachfolgern ein Erbe, das vor allem durch das Massenmedium Fernsehen Anfang der Sechziger zur Goldgrube wurde und Popeye internationalen Ruhm bescherte. Popeye-Skulpturen, Popeye-Düfte, Popeye-Nintendospiele, Popeye-Musical - anything goes. Heute gibt es immer noch Popeye-Comics, vor allem online. Kürzlich verkündete die Produktionsfirma King Features Syndicate, einen neuen Zeichner beauftragt zu haben, um die Kultfigur weiterleben zu lassen. Oder eher um sie zu modernisieren. Fans scherzen schon: Popeye macht von jetzt an bestimmt nur noch Yoga und verliebt sich in Rivale Bluto.

Tatsächlich verzichtet Popeye in den Comics nur selten auf die Gelegenheit, sich zu kloppen. Aber nur, weil seine geliebte Olive Oyl ständig in Gefahr gerät und um Hilfe schreit. Popeye ist eine Figur mit dem Herz am richtigen Fleck, betonen Fans immer wieder. Das haben die Menschen aus Chester auch über Frank "Rocky" Fiegel erzählt.

Es gibt eine Folge, da sagt Popeye zu seinem Ziehkind Swee'pea, er sei früher so hässlich gewesen, dass nicht mal die Haie im Meer ihn haben fressen wollen. Und es stimmt ja auch, Popeye ist nicht schön, noch nicht einmal sonderlich intelligent, er hat einen Sprachfehler, bei dem Helikopter-Eltern heute den Fernsehsender anrufen und sich beschweren würden, was da bitte ihren Kindern vorgesetzt wird. Popeye war ein früher Antiheld, kein göttergleicher Henry-Cavill-Superman mit Sixpack und Blend-a-med-Zahnpastalächeln. Ein Typ, den man auf den ersten Blick übersehen würde. Wie Frank "Rocky" Fiegel, der bescheiden lebte und sich nicht einmal sein eigenes Grab leisten konnte - und dank Popeye und E. C. Segar doch noch berühmt wurde.

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