Dem Geheimnis auf der Spur:Brief an einen Vampir

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Max Schreck als furchteinflößender Graf Orlok in dem legendären Stummfilm "Nosferatu". (Foto: imago images/Mary Evans)

Im Filmklassiker "Nosferatu" spielt ein mysteriöses Schreiben eine entscheidende Rolle. Was für ein Geheimwissen steckt in diesen rätselhaften Zeilen?

Von Fritz Göttler

Der Name steht für absolutes Grauen, für grenzenlosen Horror, seit hundert Jahren: "Nosferatu ... Tönt dies Wort dich nicht an wie der mitternächtige Ruf eines Totenvogels. Hüte dich, es zu sagen ..." So heißt es zu Beginn des Films "Nosferatu", von Friedrich Wilhelm Murnau, einem der größten Filmemacher der Geschichte. Nosferatu ist der Ur-Vampir der Stummfilmzeit - vor hundert Jahren, im Frühjahr 1922 war der Film in Berlin uraufgeführt worden. Vor einigen Tagen wurde deshalb ihm zu Ehren in der Sammlung Scharf-Gerstenberg die Ausstellung "Phantome der Nacht. 100 Jahre Nosferatu" eröffnet (bis Frühjahr 2023), die sich den Beziehungen dieses Films zur bildenden Kunst widmet.

Jeder kennt Nosferatu, jeder hat die Schreckensfigur mit den spitzen Ohren, Fingernägeln und Zähnen vor Augen, die ihren Opfern blutgierig an den Hals geht, schließlich mit einer Reihe Särge in einem Segelschiff aufbricht und die Pest nach Europa bringt - in den Särgen sind Ratten. In seiner Einsamkeit und seinem Verlangen nach Liebe schaut der Vampir aber ganz miserabel drein.

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Natürlich hat der Vampir auch eine durchaus bürgerliche Seite, etwas schrecklich Spießiges, wenn er anfangs seinen Gast in seinem Schloss in den Karpaten empfängt, Hutter, den Gesandten des Häusermaklers Knock aus der deutschen Hafenstadt Wisborg. Sein Name ist Graf Orlok, ein dürres Männchen in Hausrock und Mütze, verhutzelt und verhuscht, das, so mokierte sich Rosa von Praunheim, "wie eine Horrortunte dem jungen Gast entgegentrippelt". Im Gespräch fällt Hutter ein Medaillon auf den Tisch, darin ein Bild seiner Frau Ellen. "Einen schönen Hals hat eure Frau", bemerkt der Graf lüstern und deliziös.

Der Produzent des Films war in den Zwanzigern eine wichtige Figur der Esoteriker-Szene

Ein meist übersehener Aspekt der Figur tritt in dem mysteriösen Brief zutage, den der Graf an den Häusermakler schickt, ein Schreiben voller esoterischer und okkulter Schriftzeichen und Symbole. Mittendrin ist die Skizze eines Hauses zu erkennen, sodass man weiß, der Graf plant einen Immobilienkauf. Knock liest diesen Brief in den ersten Minuten des Films, Zeile für Zeile, er nickt boshaft und lacht hämisch - der Brief ist nur in zwei Einstellungen zu sehen, für Sekunden, unmöglich, ihn in der Kürze der Zeit zu entziffern. Im Drehbuch ist nur von "unleserlichem Gekritzel" die Rede, im Film kann man sich durchaus Gedanken machen, was an geheimen Wissen in diesen Zeilen stecken mag.

Schlüsselszene: der mysteriöse Brief im Film "Nosferatu". (Foto: Screenshots/youtube)

Der Brief, wie er im Film auftaucht, war vor allem dem zweiten Mann hinter "Nosferatu" wichtig - Albin Grau, geboren 1884. Er schuf die Set-Designs und Kostüme, auch das Storyboard des Films und viele der fantastischen Reklamemotive für die Vermarktung. Mit seinem Kompagnon Enrico Dieckmann hatte er die Prana-Film gegründet, die den Film produzierte. "Nosferatu" war stark inspiriert von Bram Stokers Roman "Dracula", aber um die Rechte daran hatten sich die beiden Produzenten nicht gekümmert. Die Witwe Stoker prozessierte, und 1924 wurde richterlich angeordnet, alle Kopien und Negative des Films zu vernichten. Die Prana ging in Konkurs, "Nosferatu" aber war bereits in Dutzenden Kopien davongesegelt, hinein in die Kinogeschichte.

Für Albin Grau war Orlok eine Figur des Okkulten und Spiritistischen. Er war in den Zwanzigern eine wichtige Figur der Esoteriker-Szene von Berlin, Mitglied der Pansophischen Gesellschaft und der Fraternitas Saturni. 1924 war Grau bei der ominösen Weida-Konferenz dabei und legte sich dort mit Aleister Crowley an, einer Schlüsselfigur der okkulten Szene in der ersten Hälfte des Jahrhunderts. Als die Fraternitas 1936 von den Nazis verboten wurde, ging Grau in die Schweiz. Nach dem Krieg kam er nach Deutschland zurück, nach Bayrischzell, wo er bis zu seinem Tod 1971 wohnte. Im Belleville-Verlag erscheint kommenden Frühling eine ausführliche Studie von Stefan Strauß über Albin Grau, für die er jahrelang recherchierte.

Die Bilder des Regisseurs Murnau lösen auch heute noch majestätischen Schauder aus

Orloks Brief ist für Albin Grau das geheime Kraftfeld des Films, er ist gerade in seiner "Unlesbarkeit" auf mysteriöse Weise präsent. "Der Vampir ist ein Aristokrat von großer Gelehrsamkeit", schreibt Sylvain Exertier schon 1980 in einem Aufsatz in der Filmzeitschrift Positif, Nr. 228: "Das Wissen, das er magischer Tradition gemäß besitzt, wurde ihm im Geheimen vermittelt, das verleiht diesem Vampirismus einen elitären Charakter, im Unterschied zur volkstümlichen Hexenkunst."

Exertier beruft sich bei seiner Lektüre auf Gelehrte des Okkulten, identifiziert Symbole, astrologische Zeichen oder Tarot-Elemente, zieht narrative Schlüsse - der Text hat bei aller Gelehrsamkeit einen spielerischen Duktus, der immer wieder ans Pathetische und Parodistische grenzt: "Nosferatu bricht zum Kreuzzug auf und wie die ,Kreuzritter des heiligen Johannes von Jerusalem‛, seine Zeitgenossen, benutzt er das Malteserkreuz, aber geschwärzt, ausgefüllt mit der Tinte des Verschwörers, des Todbringers. Zwei Malteserkreuze rahmen diese erste Zeile ein, verleihen ihr das Aussehen einer Überschrift."

Wenn das Totenschiff des Kreuzzüglers mit dem Nosferatu-Sarg in den Hafen von Wisborg einläuft, lösen Murnaus Bilder auch heute noch majestätischen Schauder aus. Knock, der die Geschäfte des Grafen besorgte, ist inzwischen in eine Anstalt weggesperrt worden. Er spürt die Ankunft Nosferatus: "Der Meister ist nahe, der Meister ist nahe." Auch Dracula wird in Bram Stokers Roman als Meister verehrt, aber Orlok gewinnt, vor dem Hintergrund von Albin Graus Weltsicht, eine mysteriöse, fast transzendente Aura. Er ist, besonders im ersten Teil des Films, ein schillernder sinistrer Outsider, ein Esoteriker, ein Hohepriester, ein Querdenker.

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