Wer Müll vermeiden will, kann sich die Plastiktüte abgewöhnen, festes Shampoo statt Plastikflaschen kaufen oder zu frischem statt zu verpacktem Gemüse greifen. Doch all diese Bemühungen scheinen mir wirkungslos, wenn ich jeden zweiten Tag eine Tüte Windelmüll entsorge.
Ein Baby macht zwischen 4000 und 6000 Windeln voll, bis es gelernt hat, die Toilette zu benutzen. Das entspricht etwa einer Tonne Müll. Volle Windeln machen dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) zufolge in manchen Gemeinden zehn Prozent des Restmülls aus. Hier muss sich was einsparen lassen, denke ich. Aber sind Stoffwindeln nicht fürchterlich unpraktisch und nur was für Öko-Extremisten? Wahrscheinlich ein blödes Vorurteil - ich beschließe, es auszuprobieren.
Der erste Schritt: Recherche
Bei Wegwerfwindeln müssen Eltern nur die Auswahl zwischen Markenprodukt und Eigenmarke des jeweiligen Drogeriemarktes treffen, Alternativen sind rar. Gut sortierte Läden warten mit einer "Öko-Alternative" auf, bei der ein Teil des Zellstoffs aus Recyclingmaterial gewonnen wurde.
Bei Stoffwindeln sind die Möglichkeiten schier endlos. Die Infoseite Naturwindeln.de zählt mehr als 300 verschiedene Marken und Produkte auf. Wer sich informieren will, muss erstmal Vokabeln lernen: Zahllose Webseiten vergleichen AIOs (Abkürzung für All-in-Ones) mit Pocketwindeln, lange Texte informieren über Prefolds und Booster (das sind verschiedene Saugeinlagen) und fragen, wie ökologisch es noch ist, wenn einzelne Bestandteile der Stoffwindel doch wieder aus PUL (dem Kunststoff Polyutheran) sind.
Am umweltfreundlichsten erscheint mir die ursprüngliche Methode, dicke Baumwolltücher auf spezielle Weise zu falten und um das Kind zu wickeln (aha, deswegen heißt das so!). Befestigt wurde der Wickel früher meist einfach, indem er festgebunden wurde. Heute gibt es Clips oder Überhosen. Doch diese Methode erfordert viel Zeit, einiges Geschick - und hält nicht zuverlässig dicht. Heutzutage greifen selbst überzeugte Stoffwickler zu Windelsystemen.
Welches System kann was?
Daher an dieser Stelle ein Überblick über die gängigsten Produkte (wer sich genauer einlesen will, kann das hier tun oder sich diese Grafik ansehen):
Es gibt komplizierte Bausatzsysteme, die den Vorteil haben, dass nicht immer alles ausgewechselt und gewaschen werden muss. Das erscheint mir spontan am sinnvollsten, auch, weil ich dann nicht so viele Stoffwindeln kaufen muss. Eine andere Variante ist die Kombination aus einer saugfähigen Windelhose, die mit einer wasserdichten Überhose kombiniert wird.
Ähnlich funktionieren sogenannte Pocketwindeln. Sie sind wasserdicht. In eine Lasche können eine oder mehrere Einlagen zum Aufsaugen eingelegt werden. Am einfachsten in der Handhabung sind All-in-Ones, also Stoffwindeln, bei denen der saugfähige Teil mit dem wasserdichten fest vernäht ist. Sie müssen einfach nur angezogen werden - dann allerdings auch komplett gewechselt, wenn sie nass sind. Bei dieser Variante fällt am meisten Wäsche an und es werden die meisten Windeln benötigt.
Mein Baby und ich testen das dreiteilige System der Windelmanufaktur, die Kombination aus Windel- und Überhose von Totsbots, Pocketwindeln von Milovia und eine All-in-One von Blueberry. Allerdings kann und soll dieser Test nicht die Frage beantworten, welches die beste Stoffwindel ist. Ich will wissen: Geht das überhaupt? Und: Wie geht das?
Es geht überraschend leicht. Bei keinem der vier getesteten Produkte habe ich Probleme mit der Handhabung, Wickeln dauert nach ein wenig Übung kaum länger als mit Einwegwindeln (wie es genau geht, ist im Video zu sehen). Auch ist das Wickeln mit "Stoffies", wie Eingeweihte sie liebevoll nennen, lange nicht so pfuibäh wie befürchtet. Oder, um genau zu sein: Genauso pfuibäh wie sonst. Meinem Baby wiederum scheint es völlig egal zu sein, welche Windelsorte seine Ausscheidungen auffängt.
Volle Wegwerfwindeln landen in der Tonne, bei Stoffwindeln kommt nur etwas in den Müll, wenn das Baby Stuhlgang hatte. Den hat dann (idealerweise) das in die Windel eingelegte Vlies aufgefangen, das in die Toilette oder den Mülleimer kann. All-in-Ones werden so, wie sie sind, gewaschen. Pocketwindeln müssen erst auseinander genommen werden. Beim System aus Windelhosen und Überhosen kann es reichen, nur erstere in die Wäsche zu geben. In Baukastensysteme muss, sofern Innen- und Außenwindel nicht verschmutzt wurden, nur eine neue Saugeinlage gelegt werden.
Nicht jede Stoffwindel passt jedem Baby
In der Theorie haben mich die Baukastenwindeln am meisten begeistert, in der Praxis funktionieren sie für uns nicht. Egal, wie sorgfältig ich die Windel anlege, nach kurzer Zeit ist nicht nur die Saugeinlage, sondern auch alles andere nass. Vielleicht passt meinem Kind das Modell einfach nicht richtig? Selbst die besten Stoffwindelsysteme sind nicht für jedes Baby geeignet, daher sollte man erst verschiedenes ausprobieren. Die meisten Händler bieten Einsteiger-Sets mit unterschiedlichen Marken an. Ein Anruf bei der Herstellerin offenbart jedoch meinen Fehler: Ich ziehe die Windel hinten zu weit hoch, weswegen sie vorne zu niedrig sitzt. Gute Beratung ist übrigens etwas, womit sich die meisten Stoffwindelhersteller und -händer auszeichnen.
Gar nicht überzeugen kann mich die Pocketwindel. Da ich beim Wickeln sowieso beide Teile wechseln muss, könnten sie von mir aus auch fest vernäht sein - und damit bin ich bei der All-In-One, von der ich anfangs nicht viel hielt. Den Praxistext besteht sie jedoch, genau wie die Windelhosen-Überhosen-Kombi. Sie macht zwar einen riesigen Hintern, ist aber extrem saugfähig, eignet sich in unserem Fall sogar für die Nacht.
Mein Fazit: Recherchieren ist wichtig, ausprobieren noch wichtiger - so vieles hängt von Körperbau, Bewegungsstil und Verdauung des Babys ab. Selbst die Windel, die mich hier am meisten begeistert, könnte ich nicht einfach weiterempfehlen. One size fits all? Bei Stoffwindeln ganz sicher nicht.
Dass ich gerade Stoffwindeln ausprobiere, merke ich aber erst so richtig, wenn die Windeln voll sind, denn statt ständig den Müll rauszubringen muss ich jetzt: Waschen. Dauernd! Womit ich es mir offenbar sehr einfach mache.
Wer in die Stoffwindel-Welt eintaucht, stellt fest,dass Windelwaschen eine Wissenschaft für sich ist. Man müsste eigentlich auf Bio-Waschmittel umsteigen, sollte Windeln an der frischen Luft trocknen lassen und darf keinesfalls vergessen, die Windeln zunächst durch einen Extra-Spülgang zu schicken, bevor die übrige Wäsche dazu kommt. Letzteres kriege ich noch hin, denn alles andere fände ich eklig. Doch ansonsten beginne ich, zu schlampen.
Erstes Problem: Wo bewahrt man die schmutzigen Windeln am besten auf? Im Idealfall hat man dafür einen gut schließenden Windeleimer oder Wetbag, ich habe so etwas nicht. Einfach irgendwo hinlegen oder zu restlichen Schmutzwäsche werfen ist jedenfalls keine gute Idee, denn volle Windeln stinken.
Zweites Problem: Was mache ich mit den vollen Windeln, wenn ich unterwegs bin? Auch hier bräuchte ich mehr Ausrüstung (einen kleinen Wetbag zu Beispiel) und mehr Disziplin. Weil zudem in der Kita, die mein Kind besucht, nur Wegwerfwindeln verwendet werden, werde ich nach einer ersten Phase des "Ich probiere das aus und kriege das hin" zur Gelegenheits-Stoffwicklerin.
Ich stehe vor der Entscheidung: Entweder ich meine es ernst mit dem Stoffwickeln, investiere dann aber in noch mehr Windeln und Zubehör, damit es komfortabler wird. Oder ich lasse es ganz bleiben. Daher stelle ich mir die Frage: Sind Stoffwindeln denn wirklich ökologischer?
Die Intuition sagt: Na klar! Ist Mehrweg nicht grundsätzlich umweltfreundlicher als Einweg? Doch bei der Recherche lese ich fast überall: Die Ökobilanz von Wegwerf- und Stoffwindeln sind hinsichtlich in etwa vergleichbar. Diese Behauptung bezieht sich auf die Studie der britischen Umweltbehörde Defra von 2008 (anscheinend das aktuellste und seriöseste, was es zu diesem Thema gibt - wer etwas anderes kennt, kann mir gerne eine Mail schreiben). In deren Fazit steht, dass zweieinhalb Jahre Wickeln mit Wegwerfwindeln 550 Kilogramm CO2-Emissionen verursachen, Stoffwindeln 570 Kilogramm.
Doch was wie eine klare Sache aussieht, ist keine, und das weiß auch die Defra. Wer nicht nur das Fazit, sondern die gesamte Studie liest, lernt, dass Stoffwindelnutzer zahlreiche Möglichkeiten haben, ihre Ökobilanz positiv zu beeinflussen: Weniger Windeln kaufen (die Studie rechnet mit 45 Stoffwindeln, Experten halten ein halb so großes Set für ausreichend), die Windeln für mehr als ein Kind verwenden oder Second Hand erwerben. Außerdem spielt es eine große Rolle, wie viel Strom und Wasser die Waschmaschine braucht, ob sie voll oder halbleer läuft, auf wie viel Grad die Wäsche gewaschen wird und ob (immer) ein Trockner benutzt wird oder die Windeln an der Luft trocknen. Bei Wegwerfwindeln hingegen kann der Einzelne nichts machen, um die eine Tonne Müll und die 550 Kilo CO2-Emissionen irgendwie zu verkleinern.
Also Stoffwindeln? Nein, aber ...
Ich finde, das spricht für Stoffwindeln - ich wechsle trotzdem nicht. Allerdings nicht nur aus Faulheit, sondern auch, weil mir scheint, dass mir diese Idee zu spät gekommen ist. Mein Kind ist eineinhalb Jahre alt, weswegen wir den größeren Teil des Windelbergs leider bereits verursacht haben. Mir für die verbleibenden eineinhalb Jahre Wickelzeit noch einen großen Satz Stoffwindeln und anderes Ausrüstung (Wetbags, Windeleimer etc.) zu kaufen ist weder finanziell noch ökologisch sinnvoll.
Der Windeltest hat aber vor allem eins bewirkt: Er hat meinen Blick geschärft für die schier unglaubliche Menge an Wegwerfprodukten, die angeblich zur Babypflege nötig sind. Feuchttücher, Öltücher, Wattepads, Einmalwaschlappen und Wickelauflagen aus Zellstoff und Plastik: Es ist so üblich, all das zu benutzen, dass ich es bisher gar nicht in Frage gestellt habe.
Das kommt fast alles weg. Als Auflage für den Wickeltisch tun es Moltontücher, gesäubert wird das Kind mit einem Waschlappen. Nur die Tissuebox darf am Wickeltisch stehen bleiben, falls mal gröbere Verschmutzungen zu entfernen sind. Die Feuchttücher kommen in die Wickeltasche, weil ich sie unterwegs für unverzichtbar halte. Aber zu Hause haben zwei Dutzend Frotteelappen und der Wasserhahn ihre Aufgabe übernommen.