Dem Geheimnis auf der Spur:Göttliche Ekstase

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Der Auslöser für die Feierlichkeiten war die Entführung von Kore, die später zur Unterweltgöttin Persephone wurde - hier dargestellt auf einem Gemälde von Walter Crane von 1877. (Foto: mauritius images / Alamy Stock)

Die alten Griechen feierten mit geheimen Ritualen die Göttin Demeter. Über diese exzessiven Feste zu reden, war bei Todesstrafe verboten. Was passierte wirklich bei den Mysterien von Eleusis?

Von Niccolò Schmitter

Bevor die Wissenschaft den Menschen erklärte, warum es auf der Erde verschiedene Jahreszeiten gibt, war es meist die Mythologie, die darauf Antworten lieferte. In ihrem Einfallsreichtum tut sich hier die Sagenwelt der alten Griechen hervor, die für den Wintereinbruch eine so tragische wie einleuchtende Geschichte bereithält.

Ihr zufolge hatte Hades, Gott der Unterwelt, in seinem Verlangen nach einer Ehefrau Kore geraubt, Tochter der Fruchtbarkeitsgöttin Demeter. Diese begab sich neun Tage lang auf die Suche nach ihrem Kind. Erst am zehnten Tag erfuhr sie vom Sonnengott Helios von der Entführung, die ihr Bruder Zeus offenbar sogar gebilligt hatte. Bestürzt und wütend sagte Demeter sich von der Götterwelt los und wanderte unter den Menschen, wo sie nicht mehr Ambrosia zu sich nahm und ihre Pflichten als Göttin der Fruchtbarkeit vernachlässigte: Keine Pflanze spross mehr, und alles Leben auf der Erde schien zu verdorren.

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Zeus wollte aber nicht, dass die Menschheit ausstarb, profitierte er doch von ihren Opfergaben. Er überzeugte daher seinen Bruder Hades, Kore zurückzugeben. Doch mit Granatapfelkernen verzauberte der Unterweltgott die Entführte kurz vor ihrer Rückkehr und stellte damit sicher, dass sie ein Drittel jedes Jahres bei ihm verweilen musste, wo sie zur Unterweltgöttin Persephone wurde. Demeter war besänftigt, trauerte jedoch vier Monate jedes Jahres, in denen ihre Tochter fehlte. Vier Monate, in denen nun kaum eine Pflanze blüht und das Land karg bleibt: der Winter.

Wer die Inhalte der Mysterien verriet, dem drohte die Todesstrafe

Während ihrer Zeit unter den Menschen hatte sich Demeter in Eleusis niedergelassen, einer Ortschaft rund 30 Kilometer nordwestlich von Athen. Hier hatte sie Triptolemos in die Geheimnisse der Landwirtschaft eingeweiht, die Bewohner errichteten deshalb ihr zu Ehren einen Tempel und veranstalteten die Mysterien von Eleusis. Sie blieben bis zu ihrem Verbot durch die christlichen Kaiser Roms für mindestens 1000 Jahre fester Bestandteil des athenischen Staatskults, manche Forscher gehen sogar von 2000 Jahren aus.

Die Mysterien waren zweigeteilt. Sowohl zum Frühlings- als auch zum Winterbeginn fanden verschiedene Zeremonien und Rituale statt, die grundsätzlich allen offen standen: Männern und Frauen, Freien und Sklaven, Griechen und Nicht-Griechen - eine Besonderheit. Allerdings musste man in der Lage sein, Zeit und auch Geld in diese Zeremonien zu investieren. Gehörte man zum Kreis der Eingeweihten, gab es aber einen bedeutenden Haken: Wer die Inhalte der Mysterien verriet, dem drohte die Todesstrafe. Woher rührte dieser drastische Drang nach Geheimhaltung?

Zunächst stellten die Zeremonien die Sage der Demeter nach. Die Teilnehmenden mimten unter anderem die Trauer der Göttin sowie ihre irrlichternde Wanderung, wie Demeter fasteten auch sie. Während diese kleinen Mysterien im Frühling noch öffentlich waren, wurde es im Herbst interessanter: In einer großen Prozession traten die Eingeweihten von Athen aus den Weg nach Eleusis an, oft mehrere tausend Menschen, regelmäßig unterbrochen durch heilige Tänze, rituelle Waschungen oder gemeinsame Opferungen. Es wurde getanzt, gesungen und gelacht, die verschiedenen Geschlechter und Klassen kamen sich wahrscheinlich so nah wie sonst nie.

Das Getränk, das alle zu sich nahmen, enthielt wohl einen psychedelischen Pilz

Im Heiligtum von Eleusis angekommen, begannen die wirklich geheimen Rituale. Viele bekannte Autoren der Antike wie Platon, Pausanias oder Plutarch haben zumindest teilweise Inhalte überliefert. Es bleibt aber noch allerlei Raum für Spekulationen. Klar ist, dass sich die Teilnehmenden zwei Tage lang mit Ritualen zu einem ekstatischen Höhepunkt hochtrieben. Übereinstimmend heißt es, am Ende der Zeremonien werde ein heiliger Junge geboren. Christliche Autoren der Spätantike behaupteten gar, diese Klimax sei ein sexueller Akt vor aller Augen zwischen dem Hohepriester und einer Priesterin gewesen, höchstwahrscheinlich eine nachträgliche Diffamierung der Mysterien.

Auch berichten die Quellen, dass die Teilnehmenden ein weibliches Monster mit Schlangenhaaren zu sehen bekämen, sogar von einer realen Begegnung mit der Unterweltgöttin Persephone ist die Rede. Die Erklärungen, die für die strenge Geheimhaltung überliefert sind, schlagen eine ähnliche Richtung ein: In Eleusis werde das Göttliche imitiert, nie könne der Mensch den Göttern näher sein, eine derartige Ehrerbietung könne und dürfe nicht außerhalb dieses Rahmens geschehen.

Die teils kryptisch verfassten Berichte lassen sich aber auch als Hinweise auf psychedelische Trips deuten, weswegen einige Wissenschaftler wie Albert Hofmann, der Erfinder des LSD, die These aufstellten, dass das Ritual nicht weniger als ein "psychedelisches Happening" war. Denn wie Demeter tranken die Teilnehmenden einen Gerstentrunk namens kykeon, der mutmaßlich Mutterkorn enthielt - also den Pilz, aus dem LSD gewonnen werden kann. Der religiöse Rahmen und die kollektive Erfahrung hätten zusammen mit der Einnahme einer psychedelischen Substanz, so die These, dazu führen können, dass die Erfahrung von allen erlebt wurde. Damit hätten die Mysterien eine herausragende Stellung gehabt, was den hohen Geheimhaltungsgrad erklären würde.

Eine gemeinsam erlebte kollektive Ekstase funktioniert jedoch auch ohne Drogen, dafür reicht etwa ein Blick auf evangelikale Gottesdienste in den USA. Auch das weibliche Monster mit Schlangenhaaren lässt sich ohne LSD erklären, weiß man doch, dass die altgriechischen Hohepriester wahre Künstler der Illusion waren. Und die Geburt des heiligen Jungen? Wahrscheinlich eine Analogie für ein Weizenkorn, denn die sinnvollste Interpretation der eleusinischen Mysterien ist denkbar simpel: Es war das athenische Erntedankfest.

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