Kolumne: Vor Gericht:Königin des Verbrechens

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Patricia Highsmith 1989 in Locarno. (Foto: imago stock&people/imago/Leemage)

Unsere Kolumnistin findet die meisten Krimis unrealistisch und schlecht geschrieben. Es gibt aber eine großartige Ausnahme.

Von Verena Mayer

Ich mag keine Krimis. Das dürfte für eine Gerichtsreporterin zwar eher ungewöhnlich sein, aber so ist es nun mal. Ich mag keine Thriller, keine Regionalkrimis, keine Whodunnit-Geschichten, keine Romane von früheren Strafverteidigern. Der Grund dafür ist weniger, dass ich in meiner Freizeit Themen vermeiden will, von denen ich beruflich umgeben bin. Sondern, dass die meisten Krimis platt und ziemlich schlecht geschrieben sind. Es geht darin ja nicht darum, dem Verbrechen der realen Welt auf den Grund zu gehen, denn dann müssten sie von häuslicher Gewalt oder Organisierter Kriminalität handeln. Sondern um ein Rätsel, das gelöst wird, damit am Ende die Ordnung wieder hergestellt ist.

Es gibt jedoch eine Ausnahme: die Kriminalromane der amerikanischen Schriftstellerin Patricia Highsmith, die gerne "Queen of Crime" genannt wird. Da ist "Tiefe Wasser" über einen Mann, der mit der Freiheit nicht zurechtkommt, die seine Frau beansprucht. Oder "Der süße Wahn", der von einem Stalker handelt. Oder "Die zwei Gesichter des Januars", in dem ein Mann sich einem Betrügerpaar anschließt und den beiden hilft, die Spuren eines Mordes zu beseitigen. Und natürlich die Klassiker, "Zwei Fremde im Zug" und die Romane über Tom Ripley, den mordenden Hochstapler.

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Highsmiths Bücher sind nicht nur toll, weil sie literarisch mit Albert Camus oder Edgar Allan Poe mithalten können. Sondern weil sie vor allem psychologische Studien über den Menschen und seine Abgründe sind. Bei Highsmith leben die Leute normal vor sich hin, haben Beziehungen, gehen zur Arbeit, verbringen ihre Freizeit mit Freunden oder auf Reisen. Diese intakten Existenzen stattet die Autorin mit großer Lust am Detail aus, beschreibt Häuser mit Designermöbeln, Wochenendtrips, Gartenpartys am Swimmingpool. Doch irgendetwas sickert ein in das Leben und in die Köpfe der Charaktere, Unzufriedenheit, eine innere Unruhe.

Irgendwann folgt aus dem Gefühl, etwas verändern zu müssen, etwas Passiv-Aggressives, die Lust, das eigene Leben und das der anderen zu zerstören. Bis es aus einem banalen Moment heraus zu einem Verbrechen kommt, jemand stellt einem Menschen nach, tötet einen harmlosen Einbrecher oder erschlägt einen anderen in einem Streit, den er selbst provoziert hat. Abgesehen davon, dass diese Leute dann den Rest ihres Lebens von den Folgen der Taten zerfressen werden, gibt es keine Lösung und nur selten Gerechtigkeit.

Highsmiths Täter sind meistens schöngeistige Menschen, Architekten, Buchhändler, Wissenschaftler oder Journalisten. Das Verbrechen scheint ihr Weg zu sein, sich selbst zu verwirklichen, etwas Bedeutendes zu tun. Das gibt den Charakteren etwas Psychopathisches und macht sie zutiefst verstörend. Denn wenn Verbrecher wie etwa Highsmiths berühmtester Romanheld, der talentierte Mr. Ripley, eigentlich interessante Menschen aus der Mitte der Gesellschaft sind, dann heißt das im Umkehrschluss, dass unter bestimmten Voraussetzungen alle von uns zu Verbrechern werden können. Und das ist der Wahrheit vermutlich näher als jede Krimihandlung.

An dieser Stelle schreiben Verena Mayer und Ronen Steinke im wöchentlichen Wechsel über ihre Erlebnisse an deutschen Gerichten. (Foto: Bernd Schifferdecker (Illustration))
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