Wo die Liebe hinfällt, ist eine Phrase, die häufig verwendet wird, wenn die Liebe, nachdem sie gefallen ist, ausgerechnet dort zu liegen kommt, wo zwei Menschen nicht so recht zueinander zu passen scheinen. Richtig kompliziert wird es allerdings, wenn dieses wo, in das die Liebe fällt, in Indien liegt. Arrangierte Ehen sind hier immer noch die Regel, über 90 Prozent der Hochzeiten kommen so angeblich zustande, sie werden schlicht "Marriage" genannt, während die andere Form, die außerordentliche, als "Love Marriage" bezeichnet wird.
Spricht man indische Ehepaare darauf an, gibt es nicht wenige, die sehr glücklich sind mit dem Ergebnis der geplanten Zusammenführung, bei der die jeweiligen Verwandten vom Bildungsstand über das Temperament über die Hobbys bis zum Horoskop vorab alles geprüft haben oder ein Algorithmus aus solchen Angaben den besten Partner errechnet. Bei einem stetigen Anstieg der Verbindungen, die über Dating-Websites zustande kommen, sollte man sich in Deutschland auch nicht allzu viel Illusionen darüber machen, wie frei der Wille wirklich ist, wenn es um die Liebe geht. In Indien allerdings, beginnen wirkliche Probleme dort, wo Liebende sich frei finden.
Hochzeiten zwischen Angehörigen zweier Kasten sind bis heute eine Seltenheit, sie machen nur etwa fünf Prozent aller Eheschließungen aus, zwischen zwei Glaubensrichtungen sind es wohl sogar nur etwas mehr als zwei Prozent. Als die junge Lata beispielsweise ihren geliebten Brahma heiratete, taten die beiden das ohne Zustimmung der Familie. Als Latas Brüder davon erfuhren, reichten sie Klage gegen Brahma ein: wegen Kidnappings. Lata und Brahma gehören unterschiedlichen Kasten an, sind nun aber bereits seit 20 Jahren verheiratet, sehr glücklich, wie sie schreibt, was die beiden vor allem während der Corona-Pandemie wieder feststellten, als sie monatelang aufeinandersaßen.
Zamrooda und Rajnish wiederum brauchten Jahre, bis sie eine muslimisch-hinduistische Hochzeit feiern durften, nach einem Sondergesetz, das sich "Special Marriage Act" nennt. Auch Raul, der aus dem gehobenen Hindu-Mittelstand stammt, heiratete die Buddhistin Subhadra gegen den Willen seiner Eltern, die sich Sorgen machten. Das arme Bauernmädchen würde den Ruf der Familie ruinieren.
Eine Hindufrau küsst einen Muslim bei Netflix? Geht gar nicht!
All diese Geschichten kann man dem Instagram-Account "indialoveproject" entnehmen, den es seit Ende Oktober gibt. Liebende erzählen dort, wie sie sich gefunden haben, die meisten von ihnen sind schon viele Jahre zusammen. Es sind also die geglückten Verbindungen, die hier dokumentiert werden, die schönen Geschichten. Das Ganze hat aber einen durchaus unschönen Hintergrund. Denn wer beispielsweise Muslim ist in Indien, muss sich darauf einstellen, dass eine hinduistische Familie ihren Segen zu einer interreligiösen Verbindung nur sehr schwer geben wird. Vom "Love Jihad" ist häufig die Rede, als würden muslimische Männer die hinduistischen Frauen verführen, den heiligen Krieg ins Ehebett tragen, damit sich der Islam in Indien ausbreiten kann. Im Zusammenhang mit der aktuell schwierigen Lage der Muslime in Indien ist häufig von "Hindu-Nationalismus" die Rede, der von der regierenden "Bharatiya Janata Party" (BJP) befeuert wird.
Vor einigen Tagen erst brach in Indien eine Kontroverse um die Netflix-Serie "A Suitable Boy" los. Darin gibt es eine Szene, in der eine junge Hindu-Frau einen muslimischen Mann in einem Hindu-Tempel küsst. Sofort wurde auf Twitter zu #BoycottNetflix" aufgerufen und Politiker schalteten sich ein. Narottam Mishra, ein führendes Mitglied der BJP und Innenminister des riesigen Bundesstaats Madhya Pradesh, sagte CNN: "Dieser extrem anstößige Inhalt verletzt die Gefühle der Menschen einer bestimmten Religion". Er bat die Polizei, gegen die Verbreitung der Serie vorzugehen.
Während sich in diesen Fragen die Einstellung vieler gebildeter Inder, vor allem in den Großstädten, eher liberalisiert, wurde vor zwei Monaten auch die Anzeige des Juwelenherstellers Tanishq gestoppt. Sie zeigte eine Hindu-Mutter bei der Feier ihrer baldigen Geburt, beim "Baby Shower", organisiert von den muslimischen Schwiegereltern. Der Großkonzern Tata, der von Stahl bis zu Tee alles Mögliche herstellt, und auch Tanishq besitzt, wollte die neue Kollektion mit dieser Kampagne promoten. Tata knickte aber rasch ein, als der Shitstorm in den sozialen Medien losbrach.
Nachdem der diffamierende Begriff des "Love Jihad" auf Twitter trendete, riefen drei Journalisten das "India Love Project" ins Leben. Seitdem wird dort täglich eine neue Geschichte veröffentlicht, illustriert mit den Bildern glücklicher Paare, manche mit Polaroid-Patina, andere in Schwarz-Weiß. Nicht nur Hindus und Muslime haben es häufig schwer, auch über Kasten oder Vermögensunterschiede hinweg wird eine Hochzeit von der Familie häufig nicht gerne gesehen. Einer der ersten Einträge erzählt die Geschichte von Sandip und Bishan, einem Autor und einem Verleger, die sich online kennengelernt haben. Sandip arbeitete da noch in San Francisco, Bishan in Kalkutta. Es dauerte Jahre, bis die beiden immerhin in der gleichen Zeitzone lebten. "Unsere Familien, auch wenn sie nicht auf Pride-Paraden mitlaufen, haben doch ihren Frieden mit uns gemacht", schreibt Sandip. Homosexuelle Handlungen stehen in Indien erst seit 2018 nicht mehr unter Strafe.
Bislang hat das "India Love Project" nur etwa 24 000 Follower, aber das wird sich rasch ändern, nachdem in vielen Zeitungen und News-Portalen in Indien darüber berichtet wurde. Die Idee ist ja so schön wie überzeugend: dem Hass, der Ehen über alle Grenzen von Religion, Kaste und Geschlechtern hinweg entgegenschlägt, mit dem zu begegnen, um das es eigentlich geht - Liebe.