Mainz:Essen retten: Aktivisten mit Putzplänen und Vereinsrecht

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Mainz/Trier (dpa/lrs) - Überflüssiges Essen bei Läden und auf dem Markt einsammeln und an Hungrige verteilen: Was einfach klingt, ist in der Praxis ganz schön kompliziert. Denn die Foodsaver, also Retter von Lebensmitteln, brauchen dafür nicht nur eine gute Abstimmung von Tausenden Freiwilligen, sondern sie kämpfen auch mit Hygienevorschriften, Allergenkennzeichnungen und Vereinsrecht. In rheinland-pfälzischen Städten läuft es mittlerweile ziemlich rund - während in Berlin den Engagierten Steine in den Weg gelegt werden.

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Mainz/Trier (dpa/lrs) - Überflüssiges Essen bei Läden und auf dem Markt einsammeln und an Hungrige verteilen: Was einfach klingt, ist in der Praxis ganz schön kompliziert. Denn die Foodsaver, also Retter von Lebensmitteln, brauchen dafür nicht nur eine gute Abstimmung von Tausenden Freiwilligen, sondern sie kämpfen auch mit Hygienevorschriften, Allergenkennzeichnungen und Vereinsrecht. In rheinland-pfälzischen Städten läuft es mittlerweile ziemlich rund - während in Berlin den Engagierten Steine in den Weg gelegt werden.

Auch in Mainz war der Start holprig. 2013 hatten sich Aktivisten der Graswurzelbewegung Foodsharing in der Landeshauptstadt zusammengefunden, um Lebensmittel vor der Tonne zu bewahren. Sie zogen durch die Stadt und holten Backwaren kurz vor dem hart werden, Gemüse mit hängenden Blättern und Obst mit Druckstellen ab. Das Essen landete in einem sogenannten Fairteiler, damit sich jeder, der wollte, bedienen kann. „Da kam das Ordnungsamt und sagte: Das geht so nicht“, erinnert sich Verena Echchad.

Mittlerweile hat sich die Behörde mit den Aktivisten geeinigt. Die beiden Verteilschränke bestehen aus beschichteten Brettern, haben wegen Tauben und anderen Tieren Türen, werden regelmäßig geleert und täglich mit Essig gereinigt. „In einem Reinigungsplan, der an der Seite hängt, trägt sich jeder ein, der geputzt hat“, sagt Echchad. Andere Lebensmittel, die von einem der 40 Partner in der Stadt oder Privatpersonen abgeholt werden, nehmen die Foodsharer auf Partys oder in ihre Wohnheime mit.

In Trier wird derzeit der vierte Fairteiler aufgestellt. Einer davon ist ein Kühlschrank, damit auch verderbliche Ware hineingelegt werden kann. An einer anderen Stelle aber musste der Kühlschrank weichen. „Das Amt hat gesagt: Ihr dürft das nicht, weil die Kneipe keine bis unter die Decke geflieste Küche hat“, erzählt Susanne Völkel.

Dabei hat die Nahrung meist gar keine Chance, durch langes Herumliegen schlecht zu werden. Selbst große Mengen seien nach ein bis zwei Stunden weg, sagt Völkel. Wer genau von den Lebensmitteln profitiert, weiß sie nicht. „Wir beobachten nicht, wer das Essen rausnimmt. Niemand muss sich anmelden.“ Klar sei aber, dass sowohl Menschen, die bedürftig sind, als auch Menschen, die aus Überzeugung Lebensmittel vor der Tonne bewahren wollten, Dinge einpackten.

Organisiert wird das tägliche Abholen und Verteilen über Online-Plattformen. „Wir haben pro Betrieb ein Team. Wenn ein Slot frei ist, kann man sich eintragen. Das muss dann von den Verantwortlichen bestätigt werden“, erklärt Völkel. Springe jemand ab, werde jeder im Team benachrichtigt, mit der Bitte, die Lücke zu füllen. In ganz Rheinland-Pfalz gibt es 16 Bezirke mit rund 1800 Foodsafern, die alle ehrenamtlich mithelfen.

Trotz der losen Strukturen funktioniere das System, sagt Gerhard Surges, der in Trier einen Nahkauf leitet. Jeden Abend kämen die Aktivisten kurz vor Betriebsschluss, um kiloweise Joghurts, Salate, Äpfel, Backwaren und anderes abzuholen. Das sei für ihn unkomplizierter als bei einer Zusammenarbeit mit den gemeinnützigen Tafeln, sagt er. „Da hat man so viele Auflagen, die man einhalten muss. Da habe ich gesagt: Das sehe ich nicht ein.“ Zum Beispiel hätte er notieren müssen, bei wie viel Grad ein Joghurt gelagert wurde. „Und ich bin haftbar, wenn sich jemand den Magen verdirbt.“

Genau davor haben auch die Foodsharer Bammel. Seit der Gründung der Initiative vor fast fünf Jahren habe aber noch niemand Anzeige erstattet, weil er durch die Lebensmittel krank geworden ist, sagt Frank Bowinkelmann. Er ist der erste Vorsitzende von foodsharing e.V., also dem Verein, welcher die Webseite betreibt. „Am Anfang lief bei uns vieles auf Zuruf, aber irgendwann wurde klar: Das geht nicht.“ Deswegen gebe es nun eine Struktur und Ortsgruppen, die sich nach Vorgaben richteten - und die Wort-Bild-Marke nutzen dürften.

Mehrere Ortsvereine überlegten derzeit, sich ebenfalls als Verein zu organisieren, sagt Bowinkelmann. „Wir haben eine Mustersatzung.“ Wichtig sei es, die Behörden nicht zu verunsichern. So seien die Foodsharer in Berlin-Pankow als Lebensmittelunternehmen eingestuft worden, was dazu führte, dass sie Auflagen bekamen. So sollte eine Person ständig registrieren, wer etwas in den Fairteiler legt, außerdem wurde eine Allergenkennzeichnung gefordert. „Wir wollen für Lebensmittelsicherheit sorgen, aber das können wir nicht leisten.“

In den meisten Orten laufe es nun rund, meint Bowinkelmann. „Die Behörden sind nicht immer freundlich und zugewandt, aber im Großen und Ganzen sind wir zufrieden.“ Und selbst falls neue Hürden hinzukommen: Mit Hilfe von Facebook- und Whatsapp-Gruppen finden die Lebensmittel oft innerhalb von Minuten einen Esser. In Mainz waren das jüngst in nur einem Tag belegte Brötchen, Kartoffelsalat, kiloweise Quark, Dutzende Brote, Schokolade, Popcorn, Kaffeekapseln, Kartoffeln, Aufbackbaguettes und vieles mehr.

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