Kolumne Vor Gericht:Im Namen des Fernsehzuschauers

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(Foto: Steffen Mackert)

Nach zehn Jahren Pause ist Fernsehrichterin Barbara Salesch wieder im Dienst. Und man stellt fest: Gerichtsshows sind besser als ihr Ruf.

Von Verena Mayer

Die Richterin ist 72 Jahre alt, und sie ist so fit, dass sie einen Mordprozess in vierzig Minuten schafft. Am Ende stellt sich heraus, dass der angeklagte Arzt, der seine Patientin mit einem Kissen erstickt haben soll, gar nicht der Täter war. Sondern einer der Zeugen. Er tötete die Frau, weil sie ihn abgewiesen hatte. Die Richterin bringt ihn noch im Zeugenstand dazu, ein Geständnis abzulegen.

Das klingt alles zu perfekt, um wahr zu sein, und ist es auch. Denn die Richterin heißt Barbara Salesch und verhandelt bei RTL. Wieder, muss man sagen. In den vergangenen zehn Jahren hat die langgediente Fernsehrichterin eine Kunstausbildung gemacht und sich um ihren Garten gekümmert. Bis der Sender sie kürzlich aus der Pension holte.

Salesch kontert Vorwürfe: "Kinder, was soll das denn? Fernsehen bildet nie den Alltag ab."

Jetzt ist Salesch zurück im Nachmittagsfernsehen und mit ihr ein zutiefst deutsches Phänomen: die Gerichtsshow. Schon in den Siebziger- und Achtzigerjahren gab es im ZDF Reihen wie "Das Verkehrsgericht" oder "Ehen vor Gericht". Die Gerichtsshow ist aber auch eines der meistkritisierten Fernsehformate. Studien fanden heraus, dass Menschen, die Gerichtsshows gucken, eine falsche Vorstellung von Kriminalität bekommen. Das Schlagwort "Unterschichtenfernsehen" kam auf. Vor allem aber hörte Barbara Salesch, wie sie in einem Interview erzählte, einen Vorwurf: Der Gerichtsalltag sei unrealistisch dargestellt. Sie sage dann immer: "Kinder, was soll das denn? Fernsehen bildet nie den Alltag ab."

Und es stimmt eigentlich auch nicht. Wenn man heute Barbara Salesch guckt, hat man zum einen den Eindruck, als sei sie nie weg gewesen. Die Skripte sind noch immer hölzern, die Darstellerinnen laienhaft. Aber es fällt einem auch auf, wie viele Elemente des Strafprozesses genau dort sind, wo sie hingehören. Salesch weist die Zeugen auf ihre Wahrheitspflicht hin oder belehrt sie, dass sie sich nicht selbst belasten müssen. Sie erklärt, was der Unterschied zwischen Mord und Totschlag ist, nämlich unter anderem das Vorhandensein von Mordmerkmalen. Sie hat Gutachten bestellt und Handys auswerten lassen. Und wenn sich der Staatsanwalt und der Verteidiger fetzen, ist auch das sehr realistisch.

Vor allem aber hat man es mit einem zutiefst optimistischen Blick auf die Gesellschaft zu tun. Zwar geht es um Verbrechen, und die Menschen handeln oft aus niedrigen Beweggründen. Aber in jeder Gerichtsshow kommt am Ende die Wahrheit ans Licht. Weil sich, wie in der Folge mit dem angeklagten Arzt, jemand findet, der den wahren Täter beobachtet hat, und dies in einem Akt von Zivilcourage meldet. Weil die Gerichte richtig arbeiten und der Sache auf den Grund gehen. Wenn es das ist, was die Menschen mit der Justiz verbinden, wäre das doch gar nicht so schlecht.

Kolumne
:Vor Gericht

In dieser Serie schreiben Verena Mayer und Ronen Steinke im wöchentlichen Wechsel über ihre Erlebnisse an deutschen Gerichten. Alle Folgen finden Sie hier.

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