Dem Geheimnis auf der Spur:Unsichtbare Hollywood-Karriere

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Der ungarische Künstler Róbert Berény malte nicht nur, sondern schrieb auch Streichquartette und entwickelte Filmprojektoren. (Foto: Wikipedia)

Das Gemälde "Schlafende Dame mit schwarzer Vase" von Róbert Berény galt mehr als 80 Jahre lang als verschollen - bis es in einem berühmten Kinderfilm wieder auftauchte.

Von Sofia Glasl

Eine Familie, wie sie im Buche steht: Vater Frederick, Mutter Eleanor und Sohn George haben sich herausgeputzt und stehen lächelnd vor dem Kamin ihres adretten New Yorker Stadthauses. Das erste gemeinsame Foto mit dem Familienzuwachs soll entstehen - Adoptivmaus Stuart. Im makellos weißen Frack steht er auf Georges Handfläche und strahlt bis zu den Schnurrbartspitzen in die Kamera. Endlich hat er eine Familie gefunden, die ihn so akzeptiert, wie er ist.

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Hollywood-Feelgood für die ganze Familie, dieser Schnappschuss aus dem Kinderfilm "Stuart Little" (1999) stellt für einen Augenblick den Glauben an die Menschheit wieder her. Doch nicht alle Zuschauer können sich gänzlich auf diesen herzerwärmenden Moment konzentrieren. Als er an Weihnachten 2009 den Film mit seiner Tochter im Fernsehen anschaute, zuckte der ungarische Kunsthistoriker Gergely Barki regelrecht zusammen. Sein Auge wanderte weg von der lächelnden Maus - in Richtung Bildhintergrund. Da nämlich hängt an der weinroten Wand über dem Kaminsims ein Art-déco-Gemälde, das Barki in Staunen versetzte.

Eine Frau in einem blauen Kleid ist darauf zu sehen. Sie ist auf einem jagdgrünen Sofa sitzend eingeschlafen und seitlich eingesunken. Vor ihr ragt das Eck eines Tischs mit hellgelber Tischdecke ins Bild, darauf eine schwarze Vase. Elegant fügt sich das silbern gerahmte Bild in das Haus der Littles ein, das eher wie eine Mischung aus Puppenhaus und Antiquitätengeschäft anmutet denn wie ein bewohntes Heim.

Der Künstler und Lebemann hatte eine Affäre mit Marlene Dietrich

Barki allerdings bewunderte weniger die Filmkulisse oder die Kameraarbeit, sondern das Ausstattungsstück selbst. Zu geübt sei sein Kunsthistorikerblick, erinnert er sich in Interviews an den Fernsehnachmittag, als dass er sich nicht gleich völlig sicher sein konnte: Da, mitten in einem Kinderfilm hing das Gemälde "Schlafende Dame mit schwarzer Vase" des ungarischen Malers Róbert Berény. Verblüfft war Barki deshalb, weil das Bild seit Ende der 1920er-Jahre als verschollen galt.

Die "Schlafende Dame mit schwarzer Vase" ist laut Barki zuvor zum letzten Mal 1928 dokumentiert, als sie in einer Sammelausstellung im Ernst Museum in Budapest zu sehen war. Dort sei das Bild verkauft worden, und fortan fehlte jede Spur. Bekannt sei, dass das Bild zwischen 1926 und 1928 in Budapest entstanden sein muss, da es Róbert Berénys zweite Ehefrau Eta zeigt. Diese hatte er im Berliner Exil kennengelernt, wohin er nach dem Ende der Ungarischen Räterepublik 1919 emigriert war. Da war der 1887 geborene Berény bereits schon weit gereist: Sein Studium hatte er in Paris absolviert, dort mit Henri Matisse ausgestellt und 1908 die Avantgarde-Künstlergruppe "Die Acht" mitgegründet. Mit einem Porträt des Komponisten Béla Bartók hatte er früh auf sich aufmerksam gemacht, er schrieb Streicherquartette, meldete Patente für Filmprojektoren an und war angeblich auch mit Sigmund Freud befreundet. In Berlin hatte er eine Affäre mit Marlene Dietrich und womöglich auch mit der Zarentochter Anastasia. Sein Enkel Thomas Sos nennt Berény einen der letzten Universalgelehrten - möglicherweise eine Übertreibung, doch auf alle Fälle war er ein Weltenbummler und Lebemann.

Da Berénys andere Bilder damals viele jüdische Abnehmer fanden, geht Barki davon aus, dass der Käufer auch die "Schlafende Dame mit schwarzer Vase" im Zweiten Weltkrieg aus Budapest mit auf die Flucht nahm. Viele ungarische Kunstwerke seien deshalb auf der ganzen Welt verstreut und teilweise unauffindbar.

Die Produktionsfirma hatte das Bild noch in anderen Filmen genutzt

Doch was tun, wenn man an den Weihnachtsfeiertagen unverhofft einen kunsthistorischen Fund in einem zehn Jahre alten Film wähnt? Barki schrieb die Produktionsfirmen Sony und Columbia an - zunächst mit wenig Erfolg. Es meldete sich zwar der Szenenbildner Clay A. Griffith, der Bruder der Schauspielerin Melanie Griffith, der an dem Film mitgearbeitet hatte und bestätigte: Das Bild sei für den Film angekauft worden und anschließend in den Fundus des Studios übergegangen und vermutlich in weiteren Filmen zum Einsatz gekommen. Jetzt, zehn Jahre nach Veröffentlichung des Films, sei es jedoch bereits weiterverkauft. Eine Sackgasse also.

Mit der Zeit stellte sich heraus, dass Barki nur die zweite Person war, die die "Schlafende Dame mit schwarzer Vase" im Film erkannt hatte: Der Kunstsammler Michael Hempstead erinnert sich in einem Gespräch mit dem Guardian, dass er das Bild Mitte der Neunzigerjahre in einem Pfandhaus im kalifornischen San Diego für 40 Dollar gekauft hatte, um es in einem Antiquitätenladen in Pasadena schätzen zu lassen und dann weiterzuverkaufen. Auktionsunterlagen zufolge waren Berénys Bilder damals zwischen 400 und 600 Dollar wert. Als Hempstead "Stuart Little" sah, habe er kurz überlegt, das Gemälde zurückzukaufen, weil die Preise für einen Berény mittlerweile gestiegen waren. Er gab sich jedoch damit zufrieden, dem Bild nach Pasadena und somit indirekt zur Statistenrolle im Film verholfen zu haben.

Zwei Jahre nach Barkis unverhoffter Entdeckung meldete sich eine weitere Ausstatterin des Films - das Bild habe lange in ihrem eigenen Wohnzimmer gehangen. Als sie von Sony wegging, habe sie es an einen privaten Sammler weiterverkauft. Barki konnte diesen ausfindig machen und das Bild letztlich zurück nach Budapest bringen lassen. Im Dezember 2014 wurde es an einen privaten Sammler versteigert - der möchte allerdings anonym bleiben.

Das Kinderfilm-Intermezzo machte Berénys Bild in kürzester Zeit zu seinem bekanntesten Werk, selbst wenn es nur durch Zufall für einen Moment aus seinem über 80-jährigen Dornröschenschlaf geweckt wurde. Was bleibt, ist die Suche nach den anderen Filmen, in denen das Gemälde möglicherweise auch noch zu sehen war.

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