Zum 10. Todestag von Astrid Lindgren:Königin der Kinder

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Pippi Langstrumpf, Michel aus Lönneberga und Ronja Räubertochter: Ihre Figuren gehören zur Kindheit wie Pausenbrot und Versteckspiel. 140 Millionen Leser haben Astrid Lindgrens Kinderbücher im Schrank. Dabei schonte die schwedische Autorin die Kleinen nie vor Tod und Schmerzen. Weil auch die Schriftstellerin selbst wusste, was Unglück ist. Eine Erinnerung zum zehnten Todestag.

Meike Mai

Ihr Name klingt nach einem Versprechen. Nach einem Traum von Kindheit, in dem glückliche Fünfjährige in duftende Heuballen hüpfen und Kinder wie Michel aus Lönneberga Holzfiguren schnitzen, ohne dass ein Erwachsener mahnt: "Mit diesem scharfen Messer musst Du aber vorsichtig sein!"

Die Welt von Astrid Lindgren
:Kunterbunt und Donnerdrummel

Ein Mädchen mit Villa, Affe und einem Berg Goldstücken. Ein Junge mit mehr Unsinn im Kopf als Zahnlücken im Mund. Ewig quengelnde Waldwesen. Die wunderbare Welt der Astrid Lindgren in Bildern.

Ihren Name assoziiert man heute mit einer Jugend ohne Ritalin und ohne dem ewigen "Psst, hüpf nicht so auf dem Parkett, sonst beschweren sich wieder die Schmidts im ersten Stock!" Die Frau, die uns Bilder und Geschichten aus Bullerbü und Pippi Langstrumpf schenkte, ist heute vor zehn Jahre gestorben. Ihr Name war Astrid Lindgren.

"Man nannte sie einfach Astrid", erzählt ihre Tochter, die sie selbst konsequent beim Vornamen nannte. Von autoritärer Erziehung hielt ihre Mutter nichts. Vielleicht, weil Astrid Anna Emilia Ericsson, geboren am 14. November 1907, selbst so frei und unbeschwert aufwuchs: "Wir spielten und spielten und spielten - ein Wunder, dass wir uns nicht totgespielt haben. Wir kletterten wie die Affen auf Bäume und Dächer, wir sprangen von Bretterstapeln und Heuhaufen, dass unsere Eingeweide nur so wimmerten", erinnerte sich die Schriftstellerin an ihre eigene Kindheit.

Sie sollte ihr immer Inspiration bleiben. Manche behaupten sogar, Astrid Lindgren sei im Herzen stets Kind geblieben. Das ist freilich falsch. Dafür endete ihr Glück auf dem elterlichen Hof Näs nahe der Kleinstadt Vimmerby im schwedischen Småland zu schroff.

Nach der Schule fängt das talentierte Mädchen bei der örtlichen Tageszeitung an - und wird noch während ihrer Ausbildung mit nur 18 Jahren schwanger. Ein Skandal, zumal der Vater nicht nur ihr Chef war, sondern auch noch 30 Jahre älter und verheiratet. Astrid bricht die Ausbildung ab, geht nach Stockholm, wo sie ihren Sohn Lars, genannt Lasse, zur Welt bringt. Sie muss den Kleinen bei einer Pflegemutter lassen, hat Geldsorgen und ist einsam.

Diskussionen über Selbstmord

Es sind auch diese Erfahrungen, die Astrid Lindgren später in ihren Kinderbüchern beschreibt. Sie hat die Kinder nie geschont, den Kleinen stets auch die großen Gefühle zugemutet. Wie Unglück oder Tod in Sammelaugust und andere Kinder etwa.

Nicht selten löste sie damit Diskussionen aus, beispielsweise über Selbstmord mit Die Brüder Löwenherz. "Ich möchte, dass Kinder angerührt werden und über das weinen, was sie lesen. Das geht schnell wieder vorbei", gab sie sich überzeugt. Stärke zeigen, Durchhalten. Das galt auch für Astrid Lindgren.

Astrid Lindgren in Bildern
:Zeigen, was Liebe ist

Michel, Lasse, Lotta und natürlich Pippi sind starke, autonome Helden. Ihre Schöpferin Astrid Lindgren setzte sich nicht nur in ihren Büchern dafür ein, dass Kinder sich entfalten können. Ihr Leben in Bildern.

Später wird sie ihren Sohn Lasse zu sich holen, den geschiedenen Sture Lindgren heiraten und Tochter Karin bekommen. Ein Familienidyll, das allerdings nie perfekt war. Mann und Sohn sind alkoholkrank, sterben 1952 und 1986 an den Folgen der Sucht. Aber auch hier hält die Schriftstellerin, die mittlerweile nicht nur in ihrer Heimat berühmt ist und bis heute 30 Millionen Bücher allein in Deutschland verkaufte, durch, zeigt Stärke. Wie Pippi Langstrumpf.

Kinderbuch-Heldin: Das Foto zeigt Inger Nilsson in der Rolle der Pippi Langstrumpf in dem gleichnamigen Spielfilm. (Foto: DPA)

Auf Ihre berühmteste Figur stieß sie ihre Tochter. Als die siebenjährige Karin krank im Bett lag, forderte sie ihre Mutter auf: "Erzähl mir von Pippi Langstrumpf". Und Astrid erzählte nicht nur, sie schrieb die Abenteuer eines sommersprossigen, bärenstarken Wildfangs mit einem Seeräuber-Papa später auch nieder. Es sollte ihr Durchbruch werden, 1945.

Seitdem ist Pippi nicht nur Romanfigur, sie ist Legende. Eine Heldin, deren freier Wille und Nonkonformismus bis heute Kinder und Erwachsene in den Bann ziehen. Sie ist Vorbild von Feministinnen, Kindergärten benennen sich nach ihrer "Villa Kunterbunt", sogar "Langstrumpf"-Waschmittel gab es. Letzteres ist ihren Erben dann aber doch zu viel. Denn die Kinder und Enkel der Autorin fürchten die Kommerzialisierung von Astrids Figuren und verteidigen die Marken- und Urheberrechte mittels Gerichtsverfahren.

Zuletzt bekam das auch ein Vergnügungspark in Vimmerby zu spüren. Die Familie kaufte die Mehrheitsrechte an der Freizeitanlage nach einem hässlichen Streit gegen den Willen früherer Eigentümer. "Unser Ziel ist es, so weiterzumachen, wie sie es gewollt hätte - wie wir uns vorstellen, dass sie es gewollt hätte. Viele wollten Pippi als Frontfigur für dies und das gewinnen, und auch wenn es sich dabei um irgendeinen sozialen oder kinderfreundlichen Zweck handelte, erlaubte sie es nicht. Pippi war ein Buch, und das sollte es bleiben", begründete ihre Tochter Karin Nyman diese Haltung.

Gedenken in kleinen Briefchen

Selbst ein Denkmal lehnte die Familie lange ab. Die Stadt wollte der preisgekrönten Schriftstellerin ein naturalistisches Abbild widmen. Nach jahrelangem Zwist ist auf dem Marktplatz von Vimmerby nun eine lebensgroße Bronze zu sehen, die Astrid arbeitend an ihrer Schreibmaschine zeigt. Immer wieder legen Besucher Blumen nieder oder gedenken der Könign des Kinderreichs in kleinen Briefchen.

Das wird an diesem 28. Januar auch nicht anders sein. Zwar starb Astrid Lindgren vor zehn Jahren an den Folgen einer Virusinfektion im Alter von 94 Jahren, doch Versprechen macht sie auch heute noch. Man muss ihr nur zuhören.

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