Brad Pitt:Das gute Leben

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Brad Pitt in "Once Upon a Time in Hollywood". (Foto: Sony Pictures Entertainment Deutschland GmbH)

Die Fallstricke der Männlichkeit und Philosophen als Lebenshelfer: Eine Begegnung in Venedig mit einem Superstar, der eloquent seinen Film "Ad Astra" vorstellt und zugleich dieses Gefühl ausstrahlt, mit sich selbst im Reinen zu sein.

Von Tobias Kniebe

Wenn einer unserer Mitmenschen einen gewissen Grad der Weltbekanntheit überschritten hat, kann man ihm dann eigentlich noch begegnen? Also im Sinne eines wirklichen Zusammentreffens, so kurz es sein mag, das die Konfrontation mit einer Persönlichkeit erlaubt, die sich echt anfühlt?

Eigentlich sprechen tausend Dinge dagegen: Zeit ist ja immer Geld, und in diesen Sphären gilt das erst recht, weshalb man dann in diesem großen, alten Strandhotel Excelsior in einem Zimmer zusammengepfercht wird: acht internationale Journalisten, ein Superstar, im Fenster ein Stück blauer Himmel und der auch sehr blaue Golf von Venedig. Alle, die sich darauf eingelassen haben, sind dann automatisch Teil einer globalen Maschinerie, die immense Reise-, Privatjetund sonstige Kosten verursacht, positive Stimmung für einen neuen Film machen, Geld verdienen und möglichst keine Shitstorms verursachen soll. Weshalb dann auch jedes gesprochene Wort auf der Goldwaage liegt, auf der vieles als zu heikel ausschlägt, weshalb dann vor allem Belanglosigkeiten übrigbleiben.

Aber dann sitzt da auf einmal Brad Pitt, 55, der Anfang September beim Filmfestival von Venedig sein Weltraum-Epos "Ad Astra" vorstellen soll. Was er auch tut, in eloquenten Worten. Zugleich aber strahlt er dieses Gefühl aus, mit sich selbst im Reinen zu sein. Umgeben von einer Aura von souveräner Freundlichkeit, wie sie eigentlich nur schwere, aber bewältigte Lebenskrisen mit sich bringen.

In diesem Fall ist das die Trennung von Angelina Jolie, mit der zusammen er bis 2016 das an der Hüfte zusammengeschweißte Glamourmonster "Brangelina" gebildet hatte, das dann in einer hässlichen Operation wieder auseinandergeschnitten werden musste. Dabei wurde auch seine Eignung als Vater öffentlich und sogar jugendamtlich angezweifelt, während von ihm in all der Zeit kein einziges negatives Wort zu hören war.

Der Superstar Brad Pitt auf dem roten Teppich in Venedig: Im Gespräch denkt er über die Fallstricke der Männlichkeit und Philosophen als Lebenshelfer nach. (Foto: Arthur Mola/Invision/AP)

Warum? Offenbar ist er in diesen dunklen Monaten fundamental ins Nachdenken gekommen, vor allem über sich selbst. Und davon will er an jenem heißen Tag, so hektisch und ungünstig die Umstände auch sein mögen, einfach berichten. Seine Rolle in "Ad Astra" führte ihn, so erzählt er es dann, gleich zu der viel größeren Frage, was es in diesen Zeiten eigentlich heißt, ein Mann zu sein.

"Ich bin mit einer Idee von Maskulinität aufgewachsen, die davon handelte, stark zu sein, mit Dingen fertig zu werden, keine Schwäche zu zeigen, nicht verletzlich zu sein.

Was ich daran immer noch mag, und was mir auch geholfen hat - das ist diese Vorstellung, dass ich Dinge schaffen kann. Etwa den Sprung aus einer Kleinstadt im Herzen der USA nach Los Angeles. Nach diesem Prinzip funktionieren wir einen Teil unseres Lebens - bis wir den Schattenseiten nicht mehr entkommen können."

Denn wichtig sei ja auch, erzählt er weiter, was dabei zu kurz komme. "Wir unterdrücken unsere Selbstzweifel, unsere inneren Schmerzen, unsere Trauer, unsere Reue. Das alles wird nicht richtig anerkannt, nicht in die große Inventur mit aufgenommen." Dabei sei eines doch relativ klar: "Eine wirkliche Verbindung mit einem anderen Menschen, ein wirkliches Selbstvertrauen kommt doch eher daher, diese verdrängten Dinge anzunehmen - und viel offener damit umzugehen."

Brad Pitts zweiter großer Auftritt in diesem Kinojahr: als Astronaut, der zum Neptun fliegt, um seinen vermissten Vater zu suchen. Der Weltraum ist blass und einsam, und der Film unglaublich intelligent und beklemmend. (Foto: Francois Duhamel/20th Century Fox via AP)

Dann spricht er über das Älterwerden. Das eben entweder nur den eigenen egomanen Irrsinn verschärft oder aber doch zwangsläufig zu mehr Weisheit führt. Und dass er nun, in dieser Phase seines Lebens, ungefähr so zu sein versuche wie der Stuntman Cliff, den er auch in diesem Jahr gespielt hat, in Quentin Tarantinos Film "Once Upon A Time in Hollywood". "Ich ziehe einen gewissen Stolz daraus, nicht mehr so ... reaktiv zu sein. Zu akzeptieren, was meines Weges kommt. Und zu wissen, dass Gott ... oder der Geist ... oder das Universum, wie auch immer du es nennen willst, nicht gegen dich ist. Dass alles eine Gelegenheit ist, größer zu werden."

Warum wirkt das in diesem Fall plötzlich anders als die üblichen Selbsthilfesprüche der Stars? Warum spürt man, dass da mehr dahinter sein könnte? Zunächst kann man das Gefühl noch nicht recht eingrenzen - aber dann realisiert man langsam, dass hier einer etwas verteidigen möchte, in seinen Figuren genauso wie im wirklichen Leben, einen irgendwie eher altmodischen Wert. Könnte man es Common Sense nennen?

"Ja, da würde ich zustimmen, aber ist es Common Sense? Ich habe ein anderes Wort auf der Zunge, Moment, was ist es? Ich glaube, Vernunft. Miteinander zu Einsichten kommen, und mit sich selbst. Aber man muss schon durch die dunkle Nacht der Seele gehen, all den Schrecken gegenübertreten, die wir selbst sind, um zu einem Ort wie Cliff zu kommen, wo die Dinge dann leicht werden, wo man jeden Tag annimmt, wie er kommt."

Natürlich handeln alle Filme, die Quentin Tarantino dreht, eigentlich vom Filmemachen. So explizit wie in "Once Upon a Time in Hollywood" aber war das noch nie. Es geht um den magischen Beginn von Filmkarrieren (Margot Robbie als Sharon Tate) und um das bittere Ende (Leonardo DiCaprio als abgehalfterter Western-Darsteller). Vor allem aber geht es, verkörpert von Brad Pitt, um die Liebe zum Leben auf den Filmsets. (Foto: Sony Pictures Entertainment Deutschland GmbH)

Wie allerdings kommt man zu so einem Punkt der Bescheidenheit, wenn man eben immer noch, nun ja ... Brad Pitt ist? Da wirbt er dann fast beschwörend dafür, nicht nur die Außenseite zu sehen, "den Kerl, der in der Lotterie gewonnen hat" - den Multimillionär, den mehr und mehr geachteten Schauspieler, den bereits mehrfach oscargekrönten Produzenten: "In mir drin ist aber immer noch das Kind aus den Ozarks, aus den armen Hinterwäldern. Der Junge, der eines Tages seinen Kofferraum vollgeladen hat, um sein Glück in der Fremde zu suchen. Für den New York das Unbekannte war und Los Angeles ein fremder Planet. Der 23 Jahre alt werden musste, bis er sein erstes Flugticket in der Hand hielt."

Dieser Kerl sei ja immer noch da, sagt er, und das wirkt nicht nur wie eine Schutzbehauptung. "Nur heute versucht er halt, zu wachsen und zu lernen, und liest bei den Philosophen nach, wann immer er kann. Die antiken Stoiker zum Beispiel, die sind gerade wirklich wichtig für mich. Es ist überwältigend, wie sehr sie ihrer Zeit voraus waren. Oder aber, wie wenig wir in den letzten zweitausend Jahren gelernt haben. Praktisch nichts, um genau zu sein."

Das sind Sätze, die dann nachhallen, sogar noch im Rückblick auf das ganze Kinojahr - das deshalb vielleicht wirklich Brad Pitts Jahr geworden ist. Öffentliche Männer jeder Art wirkten 2019 ja doch nicht selten wie egomane Irre oder ganz offensichtlich hilflos, oder sie waren vollständig abgetaucht. Brad Pitt aber strahlte etwas aus, das Hoffnung machte - weil eben die Welt im Ganzen gerade viel zu reaktiv ist. Viel zu hysterisch und aktionistisch und sauer auf das komplette Universum, das es immer nur böse meint. Und da wirkt es dann schon wie eine große Tat, die Stoiker zu lesen und wirklich ein bisschen ruhiger, akzeptierender, freundlicher und größer zu werden, jeden Tag ein kleines bisschen, während alles sonst schrumpft.

© SZ vom 01.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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