Zeitgeschichte:Die Mär vom "guten Nazi" Albert Speer

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Albert Speer inszenierte sich gern - hier bei seiner Haftentlassung am 1. Oktober 1966. (Foto: SZ Photo)

Hitlers Rüstungsminister gab sich nach 1945 als guter Nazi, der vom Holocaust nichts gewusst habe - und die Deutschen glaubten ihm gern. Eine Ausstellung zeigt, wie es dazu kommen konnte.

Von Rudolf Neumaier, Nürnberg

Die gefälschten Hitler-Tagebücher werden als fulminanter Schenkelklopfer in Erinnerung bleiben. Wer könnte nicht lachen darüber? Zu einer guten Komödie gehört nun mal, dass die Lüge auffliegt.

Ebenso wäre die Geschichte des Albert Speer im Grunde eine historische Lachnummer. Auch sie ist eine große Lüge. Doch erheitern kann sie keinen. Denn es gibt heute noch eine Menge Menschen, die sie glauben, und es ist zu viel Schuld weggelogen in dieser Geschichte, die vom Holocaust handelt.

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Albert Speer, geboren 1905, Hitlers Architekt und Rüstungsminister, hat ihn mitverbrochen. Nur schob er jahrzehntelang seine Verantwortung von sich, bis zu seinem Tod im September 1981. Und die ganze Welt ging ihm auf den Leim.

In Nürnberg, der Stadt, in der er das Reichsparteitagsgelände konzipierte, ist die Geschichte der viel zu langsamen Enthüllung und Entlarvung des Albert Speer jetzt in einer Ausstellung dargestellt. Die Historiker Martina Christmeier und Alexander Schmidt führen im Dokumentationszentrum vor, wie ein Mann als Hitlers Vertrauter Karriere machte, als Hitler tot und der Zweite Weltkrieg beendet war.

"Speer hat mich also heimtückisch hinters Licht geführt"

Diese Karriere begann im Schwurgesichtssaal 600 des Nürnberger Justizpalastes beim Hauptkriegsverbrecherprozess vor dem Internationalen Militärgerichtshof. Die Richter der Alliierten waren die Ersten, die sich von Speers Charme übertölpeln ließen, von seinem Viertelschuldbekenntnis und seiner windigen Reue.

Während sich die anderen Obernazis mit ihrer fortgesetzten Widerwärtigkeit selbst an den Galgen beförderten, zog Speer nicht zuletzt auf ihre Kosten seinen Kopf aus der Schlinge. Auf Fritz Sauckel zum Beispiel, der unzweifelhaft in Speers Auftrag gearbeitet hatte, wälzte er die Verantwortung für die Verschleppung von Zwangsarbeitern ab.

Von Sauckel ist in Nürnberg eine handschriftliche Notiz aus dem Prozess ausgestellt: "Speer hat mich also heimtückisch hinters Licht geführt. Etwas Gemeineres gibt es gar nicht. Denn er hat Arbeitskräfte gefordert."

Die Richter glaubten nicht dem polternden Sauckel, der noch im Prozess sein Hitlerbärtchen trug, sondern dem eloquenten Speer. Der ließ, äußerst geschickt, nur ganz nebenbei fallen, im Berliner Führerbunker habe er ein Attentat auf Hitler geplant.

Aber bitte, das war doch selbstverständliche Ehrensache, keiner großen Erwähnung wert für einen Ehrenmann, deshalb nur die beiläufige Erwähnung. In seinem Schlusswort appellierte dann er an die Weltgemeinschaft, keine Kriege mehr zu führen. Eben wie ein Ehrenmann. Später bezeichneten ihn Journalisten weltweit als den "guten Nazi" und als den "Gentleman Nazi". Stilsicher war er ja, das passte.

Der Architekt Speer als Adolf Hitlers Vertrauter. (Foto: Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände)

Wer als Nachgeborener durch diese Ausstellung geht, fasst sich an den Kopf angesichts der Blindheit, die Speers Strafverfolger und später Journalisten aus aller Welt sowie lange Zeit auch Historiker an den Tag legten. Hitlers enger Mitarbeiter will nichts von der Judenermordung mitbekommen haben?

Wer's glaubte, war unheimlich naiv oder ließ sich unheimlich bereitwillig manipulieren. Im großen Ausstellungssaal des Nürnberger Dokuzentrums kann die Nachwelt in die von dem britischen Historiker Edward P. Thompson kritisierte "ungeheure Arroganz der Nachwelt" verfallen - aber hier muss sie sich ausnahmsweise nicht dafür schämen.

Noch heute werden Jahr für Jahr etwa eintausend Bücher von Speer verkauft, sagt Alexander Schmidt. Offenbar wollen die Käufer immer noch aus erster Hand erfahren, wie's mit Hitler so war und wie es sich als verurteilter Kriegsverbrecher im Spandauer Gefängnis lebte. In seiner Scheinbekenntnis-Rhetorik noch aus Nürnberger Prozesstagen geübt, baute Hitlers Architekt nach seiner Haftentlassung weiter an seinem Lügengebäude.

Als er am 1. Oktober 1966 um Mitternacht aus dem Gefängnis kam, war er von der ersten Minute an ein Medienstar. Das erste Interview gab er dem Spiegel, er ließ sich dafür bezahlen. Am Ende des Gesprächs sagte er: "Das, was ich Ihnen hier - das Gespräch findet ja auf Ihren Wunsch hin statt - gesagt habe, soll auch das Letzte sein, was vorerst von mir zu hören ist."

Es war natürlich nicht das Letzte, im Gegenteil. Nur musste sich nach dieser Ansage fortan jeder Journalist, der dem prominenten Nazi-Faszinosum Fragen stellen durfte, automatisch geschmeichelt und privilegiert fühlen und in Dankbarkeit üben. Das nächste Interview druckte sechs Tage später der Stern: "Nach 20 Jahren Haft in Spandau sucht Albert Speer nach einem neuen Start ins Leben. Er sagt: ,Ich habe Hitler verehrt und gefürchtet...'" Gewöhnlich wurden diese Interviews als exklusiv verkauft. Allein exklusiv war daran so gut wie nichts. Ob dem Playboy, dem NDR oder der Quick - Speer, der alte Salonnazi, schwadronierte immer das Gleiche, wenn es um seine Rolle im Dritten Reich ging.

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Ein stereotypischer Speer-Satz war: "Wenn ich nichts wusste, dann habe ich dafür gesorgt, dass ich nichts wusste. Wenn ich nichts gesehen habe, dann, weil ich nicht sehen wollte." Oder auch: "Ich bin der Sache nicht nachgegangen. Ich tat gar nichts." Genau das - und nicht mehr! - ließ er sich vorwerfen.

Und genau das ist nun auch den Männern vorzuwerfen, die unreflektiert und unkritisch bis zur völligen Ignoranz einen Bestsellerautor aus ihm machten: Wolf Jobst Siedler und Joachim Fest. Der eine verlegte Speers Bücher und klatschte den Namen Speer in megalomanischen Versalien als Marke auf die Buchtitel. Der andere, Fest, lektorierte und redigierte sie.

Christmeier und Schmidt zeigen in der Ausstellung, wie diese literarischen Mentoren Einfluss nahmen auf Speer: Hier möge er doch sein geplantes Hitler-Attentat näher erläutern, das im Text unvermittelt komme. Und wäre es dort nicht angebracht, das Tagebuch über die Spandauer Haft nachträglich mit Einträgen zu ergänzen? Speer dichtete etwas dazu, Fest veredelte den Fake, Siedler brachte ihn unters Volk. Den Deutschen, die ebenfalls nichts mitbekommen haben wollten von Gräueln im Nationalsozialismus, war all das angenehme Bestätigung: Wenn schon Speer nichts wusste, wie sollten wir etwas wissen?

Kein Gentleman wie sein Biograf Joachim Fest

Der 2006 verstorbene Joachim Fest, von 1973 an zwanzig Jahre lang FAZ-Herausgeber, hatte so etwas wie ein Hausrecht auf die Speer-Publikationen und die Prärogative bei ihrer Deutung. Man profitierte stark voneinander.

Die Hitler-Biografie Fests fußte auf einer Quelle aus erster Hand: Hitlers Architekt. Noch 1999, als schon erwiesen war, wie dieser gelogen hatte, veröffentlichte Fest eine einseitige Speer-Biografie. Unterbelichtet blieb etwa eine Studie aus dem Jahr 1982, die Speers Fälschungen von Originaldokumenten aufdeckte und belegte, wie er die Vertreibung von Juden aus Berlin anordnete.

Die Nürnberger Ausstellung inszeniert neun Historiker, die Albert Speer enttarnten, und ihre Quellen. Einer dieser Wissenschaftler ist Magnus Brechtken, dessen Speer-Buch Ende Mai erscheinen wird. "Speer", sagt Brechtken, "war eine ideale Projektionsfläche für Millionen Deutsche, die gerne genau die gleiche Distanzierungsgeschichte zum Nationalsozialismus erzählen wollten, wie Speer das tat."

Ja doch, Speer war über alle Verbrechen des Nationalsozialismus im Bilde. Ja doch, Speer wirkte beim Massenmord an Juden mit. Ein Nazi-Minister als Gentleman? Wenn dieser Betrug nicht so unsäglich wäre, dann wäre er ein guter Witz.

Albert Speer in der Bundesrepublik. Vom Umgang mit deutscher Vergangenheit. Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände, Nürnberg. Bis 26. November. Begleitband (88 Seiten) 9,80 Euro.

© SZ vom 04.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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