"Vogelperspektiven" im Kino:Hier piept´s noch

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Ob ein junger Kuckuck wohl Probleme mit seinem Selbstbild hat? Hier füttert ein deutlich kleinerer Ersatzelternvogel ein Kuckucksküken. (Foto: if... Productions / Filmperlen)

Eine Reise durch die heimische Vogelwelt, die vom Aussterben bedroht ist: Jörg Adolphs Dokumentarfilm "Vogelperspektiven".

Von Martina Knoben

Alle Vöglein sind schon da? Von wegen. Jede achte Vogelart auf der Welt ist vom Aussterben bedroht, ein gewaltiges Verschwinden, das kaum jemand bemerkt. Brüten die Meisen nicht wie jedes Jahr im Garten? Und haben kürzlich am See nicht sogar Reiher nach Fischen gepickt? Vögel sind überall, in den Hecken, auf Dächern und Bäumen, auf dem Land und in der Stadt. Dass es trotzdem immer weniger werden, Deutschland in den letzten 60 Jahren fast die Hälfte seiner Vögel verloren hat, ist nicht gleich zu erkennen, man muss es wissen.

Jörg Adolph, der sich zuletzt in "Das geheime Leben der Bäume" hat einweihen lassen, von Peter Wohlleben, dem Autor des gleichnamigen Buches, lässt sich in seinem Dokumentarfilm nun von den Vögeln faszinieren. Um ihre Schönheit zu erkennen, muss man kein ausgefuchster Birdwatcher sein. Adolph zeigt die Tiere oft in Zeitlupe und aus der Nähe, das Teleobjektiv des Filmemachers ersetzt das Fernglas des Ornithologen. Und so ein Fernglas "vergrößert nicht nur, es versetzt den Betrachter in die Welt der Vögel", erklärt Arnulf Conradi, ehemals Verleger und vogelverrückt seit Kindertagen.

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Mit ihm und Norbert Schäffer, Ornithologe und Vorsitzender des Landesbundes für Vogel- und Naturschutz in Bayern (LBV), hat Adolph zwei Vogel-Nerds gefunden, die ihm als Vermittler dienen. Schon für seine vorherigen Filme hatte Adolph Menschen begleitet, die für ihre Sache brennen, den Verleger Gerhard Steidl etwa in "How to Make a Book with Steidl", den Theatermacher Christian Stückl in "Die große Passion" oder den Psychologen Dietmar Langer in der umstrittenen Dokumentation "Elternschule".

In von ihm selbst eingesprochenen, schönen poetischen Texten erzählt Conradi von der Leidenschaft für Vögel: Sie zu beobachten sei "eher eine Lebensform als ein Hobby - man tut es eigentlich immer". Und dass dieses Beobachten eine "Senkrechte in der Zeit" bilde. Man sei ganz im Hier und Jetzt. Der zentrale Protagonist von "Vogelperspektiven" ist allerdings Norbert Schäffer, der LBV-Vorsitzende. Adolph begleitet ihn ausführlich bei seiner Mission zur Rettung der Vögel: ins Donaumoos zu einer Pressekonferenz mit dem bayerischen Ministerpräsidenten oder beim Erstellen von Pressemitteilungen und Posts in den sozialen Medien.

Schäffer ist kein Charismatiker wie Conradi, aber ein großer Vogelfreund mit fundiertem Fachwissen, zudem ein Medienprofi, der weiß, wie er Menschen für seine Sache gewinnen kann. Ihn zu begleiten, vermittelt einen Einblick in das Klein-Klein des Artenschutzes, die zähe, mühsame Arbeit. Dass Vögel zwar Sympathieträger sind, viele Arten aber auch scheu und unscheinbar, macht die Sache nicht leichter. Zum Wachtelkönig etwa hat Schäffer eine besondere Beziehung, der grau-braune, in hohem Gras fast unsichtbare Vogel sei aber nun mal kein "Posterboy des Artenschutzes". Da haben es die Bartgeier Wally und Bavaria leichter, deren Auswilderung, mit viel Medientamtam, der Film detailliert beschreibt.

Spielt die Natur? Hier scheint sie es zu tun. Ein Vogelschwarm tanzt in den Lüften, kollisionsfrei wie ein Organismus. (Foto: if... Productions / Filmperlen)

"Vogelperspektiven" wirkt manchmal etwas unfokussiert, fliegt vom Lummensprung in Helgoland (bitte googeln!), zu den Zugvögeln nach Afrika, dann wieder zu Schäffer oder in die Uckermark, wo Conradi wohnt. Die Faszination für die allgegenwärtigen, dabei so andersartigen Luftwesen aber hält den Film zusammen - und die Warnung, dass deren langsames Sterben auch uns Menschen eine Warnung sein muss.

Dabei wahrt der Film, zumindest was die Vögel betrifft, im buchstäblichen wie im übertragenen Sinne Distanz. Selbst wenn er den Betrachter in die Welt der Vögel hineinzieht, bleiben diese immer auch fremd. Wie kann ein Kuckuck sich als Kuckuck fühlen, wo er doch von Ersatzeltern großgezogen wird, die ganz anders sind als er? Wie schaffen es Vögel im Schwarm zu fliegen? Als einmal Tausende Stare gemeinsam aufsteigen und als Schwarm hin und her zucken, tanzend beinahe und kollisionsfrei wie ein einziger großer Organismus, ist das ein berauschendes Naturschauspiel. Den philosophierenden Vogelfreund Conradi regt es zu grundsätzlichen Betrachtungen an. "Eine alte Frage des Menschen ist: Spielt die Natur? Hier scheint sie es zu tun."

Vogelperspektiven, D 2022 - Regie, Buch: Jörg Adolph. Kamera: Daniel Schönauer. Schnitt: Anja Pohl. Verleih: Filmperlen, 106 Minuten.

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